Elfenkind. Daniela Baumann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daniela Baumann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753166094
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bewohnteren Gegend noch mehrere Tagesreisen waren, wenn man, so wie er, zu Fuß unterwegs war. Doch ihn hielt nichts mehr in der Nähe von Supai. Schon immer hatte er dort weg gewollt, auch wenn ihm die Havasu und die Mooney Falls fehlen würden. Das war alles, was er an der Umgebung des Waisenhauses vermissen würde. Ohne Kristina bedeutete es aber nicht mehr das Gleiche.

      Schnell schob er den Gedanken an Kristina von sich, er hatte gerade keine Zeit, um sie zu trauern, denn er musste auf seine Umgebung achten. Soweit es ihm möglich war, ging er geradewegs Richtung Süden, denn er wusste, dort gab es irgendwo wieder mehr Grün, was lebensnotwendig für Farmen oder Ranches war. Er wusste, dort gab es große Betriebe, die Holz fällten und verarbeiteten, aber auch Farmer, die Felder bewirtschafteten, und Rancher, die Vieh hielten. Einer dieser Betriebe würde ihn sicher einstellen, und dann könnte er bestimmt auch irgendwo wohnen. Meistens gab es kleine Lodges, also grob gefertigte Holzhäuser, in denen mehrere Arbeiter gemeinsam lebten.

      Nach dem Essen löschte er das Feuer, auch wenn er es lieber weiter hätte brennen lassen, denn in den Nächten war es empfindlich kalt. Und doch widerstrebte es ihm, diese Gefahr herauf zu beschwören. Er hatte gesehen, wie schnell es gehen konnte. Die Vermutung des Sheriffs war dahin gegangen, dass wohl das Feuer im Herd nicht gelöscht worden oder aber eine Kerze umgefallen war. Er wickelte sich in seine Decke und behielt das Messer in der Hand, schließlich konnte man nie wissen. Mit dem Ohr auf dem Boden schlief er ein. Somit würde er hören, sollten Soldaten auftauchen, denn die Hufe der Pferde waren so schon von weitem zu hören.

      Die Nacht blieb ruhig, und am Morgen machte sich Steven erneut auf den Weg. Bisher war ihm niemand begegnet, doch er ahnte, dass sein Glück nicht ewig anhielt. Außer Soldaten gab es hier auch Bären, Berglöwen, vereinzelte, streitlustige Indianer, und verschiedene Abenteurer, die nicht immer alle auch ehrlich waren. Nicht umsonst hieß es, dass viele Verbrecher aus dem Osten in den Westen kamen, weil es hier nur sehr geringe Risiken gab, erwischt zu werden. Aber wer wusste schon, was diese Leute mit ihm anstellen würden? Zwar konnte er hier in dem Gelände – ein bisschen Buschwerk, aber kaum Bäume – weit sehen, aber zu Fuß gab es auch kaum einen versteckten Ort, an den er fliehen konnte.

      Steven wollte nicht weiter darüber nachdenken und beeilte sich, weiter zu gehen. Immerhin wollte er eine Anstellung finden. Seit Tagen lief er über steinigen Boden, auf dem nur vereinzelte Büsche wuchsen. Die Landschaft änderte sich kaum, es war absolut trostlos. In diesen Stunden hatte er viel zu viel Zeit, um seine Gedanken schweifen zu lassen. Immer häufiger landeten diese Gedanken bei Kristina.

      Schon immer hatte das Mädchen ihn fasziniert, seit sie an diesem einen Morgen im Waisenhaus aufgetaucht war. Sie war so anders, aber dennoch absolut liebenswert. Ihre dunklen Augen und die schwarzen Haare, die so kontrastreich mit der hellen Haut harmonierten und sie bereits optisch zu etwas Besonderem machten. Ihre Hilfsbereitschaft, die einfach jeden einschloss, egal ob Menschen oder Tiere. Selbst vor giftigen Schlangen und unheimlichen Fledermäusen machte sie nicht Halt. Nicht selten hatte sie deshalb Ärger mit Mrs. Duncan bekommen, aber sie ignorierte es einfach. Zwar hatte sie nach einer Weile – Amanda war von einer verletzten Schlange gebissen worden – keine Tiere mehr ins Haus bringen dürfen, aber sie hatte sie im Wald nahe des Waisenhauses weiterhin gepflegt. Alle Kinder wussten davon, und sie hielten Abstand. Obwohl niemand jemals wirklich zu Schaden gekommen war, selbst Amanda nicht, denn die Schlange war ungiftig. Steven lächelte leise, als er sich an Kristina und ihre Tiere erinnerte.

      Eine Bewegung vor ihm riss ihn aus seinen Gedanken, und er konzentrierte sich auf seine Umgebung. Gerade hatte er eine kleine Anhöhe erklommen, von wo aus er Umschau halten wollte, doch er war nicht der Einzige hier. Seine Augen weiteten sich vor unterdrückter Angst, als er sich Auge in Auge mit einem Puma sah. Und doch blieb er stehen, denn er wusste, wenn er weglief, reizte er den Jagdtrieb des Pumas und würde unweigerlich zerrissen. Immerhin war ein Puma weitaus schneller als ein Mensch. Der Puma schien genauso überrascht wie er selbst zu sein, er hatte gerade seine Beute zerrissen und war offenbar am Fressen.

      Beide zögerten und schienen nicht genau zu wissen, was sie nun tun sollten. Einige Momente starrten sie sich einfach nur an, dann knurrte der Puma leise. Steven zuckte zusammen, ließ die Raubkatze aber nicht aus den Augen, als er sich Schritt für Schritt langsam zurückzog, nicht in die Richtung, aus der er gekommen war, sondern nach Süden hin. Ein eigenartiges Gefühl bemächtigte sich seiner. Er musste an Kristina denken, sie wüsste genau, wie sie mit dem Tier umgehen müsste, doch das Mädchen war leider nicht mehr an seiner Seite.

      Gewaltsam unterdrückte er die Tränen, die in ihm aufsteigen wollten. Nein, er würde nicht um Kristina weinen, er glaubte weiterhin daran, dass sie es irgendwie geschafft hatte und mit Raven und seinen Leuten verschwunden war. Immerhin hatte er sie an dem Tag, bevor es brannte, weglaufen sehen. War sie vielleicht dort geblieben und mit den Indianern aufgebrochen? Aber wäre das nicht den Mädchen aufgefallen, wenn sie abends nicht im Schlafsaal aufgetaucht war? Oder hatten die Mädchen einfach nicht aufgepasst, weil sie so müde waren? Oder es ignoriert, weil Kristina ohnehin öfter draußen als drinnen schlief. Der Jugendliche schüttelte unwillig den Kopf, er stand einem gefährlichen Raubtier gegenüber und musste sehen, wie er fliehen konnte, doch er dachte einfach nur an ein Mädchen, das ihm fehlte. Das konnte er später auch noch, wenn der Puma ihm nicht mehr gefährlich wurde.

      „Bleib stehen, Junge!“, überraschte ihn eine tiefe, männliche Stimme. Der Sprecher war hinter ihm und saß offenbar auf einem Pferd, da die Stimme von oben kam. Seltsam, dass der ihm vorher nicht aufgefallen war, auch die Tritte des Pferdes hatte er nicht gehört. „Und jetzt langsam zu mir, steig zu mir auf mein Pferd, aber nicht so hektisch.“

      Steven gehorchte, und ging Schritt für Schritt zurück, bis er das Pferd im Rücken spürte. Jetzt kam der kritische Moment, denn um aufzusteigen, musste er sich umdrehen. Er schenkte dem Reiter keinen Blick, als er sich eilig auf das Pferd schwang und hinter dem Mann aufsaß. Kaum, dass er seine Arme um dessen Taille geschlungen hatte, drückte der dem Pferd die Schenkel in die Seiten, und sie galoppierten davon. Der Puma stieß hinter ihnen ein kurzes Brüllen aus, das Steven als ‚Ja, verschwindet und kommt mir nicht noch einmal zu nahe‘ interpretierte, dann war Ruhe.

      Erst jetzt spürte er, wie sein Herz raste. „Vielen Dank, Sir.“, sprach er seinen Retter an. „Das war wirklich sehr knapp.“

      „Schon gut, Junge. Du hast Glück, dass ich gerade hier auf dem Heimweg bin, ich war in Willaha, um einige Dinge zu erledigen. Der Puma hat sich geholt, was er zum Leben braucht. Ich hätte ihn erschießen können, aber ich denke nicht, dass er hier bleibt, er wird weiter ziehen. Also nehme ich sein Leben nicht, er ist nicht böse. Aber was ist mit dir? Was machst du hier draußen?“, wollte der Mann brummend wissen.

      Abschätzend musterte Steven seinen Retter. Etwa Mitte vierzig , braungebrannt, raue und schwielige Hände, die von Arbeit zeugten, dunkelbraune Haare, die ihm auf die Schulter fielen, und ein gepflegt aussehender Vollbart. Er war nur wenig größer als er selbst, aber deutlich breiter gebaut. Seine braunen Augen blickten aufmerksam, ihnen entging sicherlich so schnell nichts. Über die Schulter hinweg sah er seinen Hintermann abwartend an.

      Steven fiel auf, dass er etwas gefragt worden war. „Ich war auf dem Weg nach Süden, weil ich nach Arbeit und Wohnung suchen will.“, antwortete er schließlich. „Ich bin im Waisenhaus von Supai aufgewachsen, aber es ist vor einigen Tagen abgebrannt. Da habe ich beschlossen, aufzubrechen und neu anzufangen.“

      „Und was willst du machen?“, fragte der Fremde.

      „Ich kann zupacken und lerne schnell. Ich werde auf den Farmen und Ranches fragen, ob sie Arbeit für mich haben.“, versicherte Steven zuversichtlich.

      „Wie heißt du?“

      „Oh, Verzeihung, ich bin Steven. Steven Sexton. Und wer sind sie?“

      „Aaron Cromwell. Ich habe eine Ranch noch etwa drei Stunden südlich von hier.“, berichtete der Braunhaarige. „Ich werde sehen, ob du arbeitswillig bist, und wenn ja, dann kannst du bei mir bleiben.“

      „Ich danke euch, Sir.“, lächelte Steven dem Rancher zu.

      Schweigend ritten sie weiter, bis der Rancher kurz vor Sonnenuntergang erneut das Wort ergriff. Er deutete vorwärts,