Elfenkind. Daniela Baumann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daniela Baumann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753166094
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aus, um den rothaarigen Wirbelwind aufzufangen, als Schreie ihn weckten. „Feuer! Es brennt!“

      Die Mädchen kreischten, und er konnte Mrs. Duncans Stimme hören, die versuchte, ruhig zu bleiben und Anweisungen zu geben. „Steven, hol die Jungen zusammen und geht nach draußen. Die Mädchen folgen mir. Nehmt nichts mit, wir haben keine Zeit, aber drängelt nicht, damit niemand stürzt!“

      „Kriecht auf dem Boden!“, fügte Steven hinzu, der hellwach war und im Feuerschein sah, dass überall Rauch war, der aber nach oben hin dichter wurde.

      Er ließ die Jüngeren voran kriechen, folgte ihnen als Letzter. Der Rauch schmerzte in seinen Lungen, er konnte kaum atmen. Mühsam unterdrückte er den Hustenreiz und achtete auf die anderen Kinder, sodass niemand verloren ging. Nach endlosen Minuten, in denen es überall knackte und das Feuer sich ausbreitete, erreichten sie die Treppe. Von unten kam Rauch nach oben, was bedeutete, das Feuer wütete auch im unteren Stockwerk. Doch darum konnten sie sich gerade nicht kümmern, sie mussten zusehen, dass alle unversehrt nach draußen kamen. Vor ihm drehten sich die Kinder um und krabbelten folgsam, aber rückwärts die Treppen nach unten. Gegenüber war die Eingangstür, wenn sie die erreichten, hatten sie es geschafft.

      Plötzlich stolperte Ben, ein sechsjähriger Junge, der noch nicht lange hier war und die Treppen nicht gut kannte. Er schrie auf und versuchte noch, sich festzuhalten, doch er scheiterte und stürzte nach unten, riss dabei einige der anderen Kinder mit. Jetzt gerieten alle in Panik, standen auf und rannten auf die Eingangstür zu. Jemand riss sie auf, und plötzlich loderten die Flammen hell auf, fraßen sich viel schneller als zuvor durch das Holz, aus dem sie fast alles gebaut hatten. Das wiederum steigerte die Panik und alle drängten sich in Richtung Tür. Mit Mühe schaffte es Steven, gemeinsam mit Mrs. Duncan nach den kleineren Kindern zu greifen, die sonst überrannt worden wären.

      Endlich spürte Steven die frische Luft und hastete nach draußen. Er warf einen Blick zurück und konnte nur noch Flammen sehen. Eben stürzte die Treppe in sich zusammen und das Feuer leckte danach. Der Weg zu den Schlafräumen und dem Bad war abgeschnitten. Steven hoffte, dass alle inzwischen draußen waren.

      „Hierher!“, hörte er Mrs. Duncan. Sie stand auf dem Weg in Richtung des Ortes, etwa einhundert Fuß vom Haus entfernt. Man konnte hören, dass sie eine Menge Rauch eingeatmet hatte, denn ihre Stimme krächzte angestrengt. Die Kinder sammelten sich weinend um sie, und sie war bemüht, alle zu beruhigen. Wortlos ging Steven hinüber und half ihr, indem er einige der jüngeren Kinder, die völlig aufgelöst waren, zu sich holte, sich mit ihnen hinsetzte und versuchte, sie alle gleichzeitig zu trösten. Immer wieder hustete er, genau wie alle anderen. Nach einer Weile stand Mrs. Duncan wieder auf. Sie hatte sich ins Gras gesetzt gehabt. „Steven, lauf bitte in den Ort und hole den Mayor und den Sheriff.“, ordnete sie an. „Außerdem den Doktor, er soll sehen, ob alle es gut überstanden haben. Und dann müssen wir sehen, wo wir alle Kinder unterbringen.“

      Gehorsam stand auch Steven auf und lief eilig nach Supai. Er dankte Gott innerlich dafür, dass sie seit etwa einem Monat sogar einen Arzt in Supai hatten. Früher war der nächste Arzt in Flagstaff gewesen, ein Ort mehrere anstrengende Tagesreisen entfernt. Keines der Kinder in Mrs. Duncans Obhut hatte jemals einen Arzt gesehen. Für Notfälle gab es nur Karen, eine ehemalige Krankenschwester, die in einem Lazarett gearbeitet hatte und die Einwohner des kleinen Ortes versorgte. Sie waren hier in einem schmalen Tal, etwa auf halbem Weg zwischen Supai und den Mooney Falls. Kaum jemand siedelte hier, weil es nicht viel Platz zum Leben gab. Einmal hatte er Mrs. Duncan gehört, wie sie mit einem der Mädchen, die immer aus dem Dorf zum Helfen kamen, sprach. Das Mädchen hatte wissen wollen, wieso sie das Waisenhaus ausgerechnet in dieser Einöde aufgebaut hatte.

      Die Antwort war damals überraschend gewesen. „Mein Mann und ich wollten den Waisenkindern helfen, und wir zogen von Ort zu Ort mit dieser Idee, doch niemand wollte uns die Möglichkeit geben. Bis wir hier in Supai landeten. Nun, es war nicht das, was wir uns vorstellten, aber wir hatten über ein Jahr gesucht, daher nahmen wir das Angebot schließlich an. Deshalb ist das Waisenhaus hier im Nirgendwo. Es ist schwer, hier alles zu erreichen, was wir wollten, aber besser, es ist schwer, als unmöglich. Und überall anders wäre es genau das geworden: unmöglich. Ich bin den Menschen hier zu Dank verpflichtet, vor allem, weil ich hier auch Unterstützung erhalte, ohne die diese Kinder nicht überleben könnten.“

      Jetzt, als er durch die dunkle Nacht lief – den Weg kannte er beinahe im Schlaf – dachte er darüber nach. Ja, sie waren wirklich weit draußen. Um in einen anderen Ort zu kommen, musste man diese verwirrende und verworrene Welt aus verschiedenen Canyons erst einmal verlassen, damit man oben auf dem felsigen Boden, der sich im ständigen Sonnenschein unglaublich erhitzte, laufen konnte. Tagelang war man dann unbarmherzig der Sonne ausgeliefert, wenn man niemanden hatte, der eine Kutsche oben hinschickte. In Supai gab es nur eine Kutsche, die nutzten der Mayor und der Sheriff, wenn sie schnell irgendwohin mussten. Als er den Ort erreichte, rannte er zum Haus des Sheriffs und klopfte laut an der Haustür. „Sheriff? Sheriff, wachen sie auf! Das Waisenhaus brennt!“

      Tatsächlich dauerte es nur etwa eine Minute, bis der Sheriff vor Steven stand. „Was sagst du, Junge?“, fragte er entsetzt.

      „Das Waisenhaus, es brennt!“, keuchte Steven und hustete. Mit seiner Hand deutete er in die Richtung, in der das Waisenhaus war. Ein heller Schein zeigte, dass es immer noch brannte.

      „Wecken wir den Mayor.“, zog der Sheriff ihn mit sich zum Haus des Ortsvorstehers. „Mayor Grant! Aufwachen! Das Waisenhaus brennt!“

      Der Mayor, der ebenfalls nur wenige Minuten brauchte, um angezogen zu sein, musterte den Jugendlichen, den er vom Waisenhaus kannte. Steven wirkte – soweit man das in der Nacht sagen konnte – blass. Sein Gesicht zeugte von dem Rauch, denn es war leicht geschwärzt. Er hustete immer wieder. Auf dem Weg weckten sie noch den Arzt, der früher in einem Lazarett der Soldaten gearbeitet hatte und nun in seinen Heimatort zurückgekehrt war. Er war schon um die siebzig Jahre alt und hatte entschieden, er müsse nicht mehr arbeiten. Seine Nichte und ihr Mann hatten ihn aufgenommen, und nun unterstützte er die Bewohner des Ortes mit seinen Kenntnissen, die ihn dafür wiederum mit Holz oder Lebensmitteln bezahlten. So schnell wie möglich eilten sie zurück. Diesmal fiel es Steven etwas leichter, weil es nicht mehr bergan ging. Auch konnten sie den Trail wesentlich besser sehen, da es zu dämmern begann.

      Schon von weitem sahen sie, dass das Feuer inzwischen nur noch leicht glimmte. Mrs. Duncan und die Kinder hatten offenbar Wasser rund um das Haus verteilt, dass es sich nicht ausbreitete. Die Heimleiterin wirkte ziemlich verzweifelt, fand Steven. Der Arzt wandte sich sofort den Kindern zu, konnte aber glücklicherweise keine schweren Verletzungen feststellen.

      Währenddessen sprachen der Sheriff und der Mayor mit Mrs. Duncan. „Ich habe die Kinder gezählt. Drei fehlen.“, wisperte sie. „Celia, Kristina und Connor.“

      Steven wurde blass. Kristina war noch drinnen gewesen? Aber vielleicht hatte sie draußen geschlafen, wie so oft? Schnell hastete er unter die Bäume, er wusste, wo das Mädchen schlief, wenn sie nicht in ihrem Bett war. Sie war doch sonst so aufmerksam, hatte sie nichts mitbekommen? Das konnte sich Steven nicht vorstellen. Doch auch unter den Bäumen war keine Spur der Achtjährigen zu finden. Allerdings hörte er leises Weinen aus einer kleinen Höhle. Er blickte hinein. Celia und Connor, Geschwister, kauerten darin und weinten. Vorsichtig holte er sie heraus und beruhigte sie.

      „Wart ihr alleine?“, wollte er wissen. Connor, mit zwölf Jahren nur wenig jünger als er selbst, nickte. Steven schluckte, schickte die Kinder zu den anderen, und rannte noch eine Weile durch den Wald, in der Hoffnung, die Kleine zu finden, doch es blieb still, auch als er nach ihr rief.

      „Steven?“, hörte er schließlich Mrs. Duncan.

      Er ging zu ihr, sah die Geschwister erleichtert an ihrer Seite. „Sie ist weg.“, hauchte er. „Kristina ist weg, sie hat nicht draußen geschlafen.“ Mit einem Mal schluchzte er auf. Das Mädchen war tot, sie war offenbar verbrannt.

      Mrs. Duncan schickte Celia und Connor zum Arzt, er sollte sich alle Kinder ansehen, und zog Steven in ihre Arme. „Es tut mir leid, Steven. Ich weiß, du mochtest sie sehr gerne.“, murmelte sie beruhigend in sein Ohr. Die Heimleiterin musste sich strecken, um das