Lisanne. Julia Beylouny. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julia Beylouny
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847619697
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„Du wolltest mir was verraten, damit ich dich liebe.“

      Jill grinste, während die Sonne golden in die Keltische See eintauchte.

      „Wenn du Lust hast, begleite ich dich morgen in den Ort. Vor etwa einem dreiviertel Jahr hat dort ein Antiquariat eröffnet. Die Inhaberin ist furchtbar nett und die Bücher werden dir ...“

       „Ein Antiquariat?“, unterbrach Lisanne begeistert. Fin erschrak und um ein Haar hätte sie die Balance verloren.

      „Ja“, erwiderte Jill. „Und der Witz an dem Ganzen ist, dass es sich in unserem Nest hält!“

      „Oh, Mann, Jill! Das macht es wirklich leichter, dich zu lieben. Morgen, also?“

       „Ja, morgen. Und jetzt erzähl mir alles von London. Wir haben uns so lange nicht gesehen.“

      Es gab tatsächlich viel zu erzählen. Das erste Jahr fern der Heimat war aufregend gewesen und schnell verflogen. Umso mehr freute Lisanne sich auf die Wochen, die vor ihr lagen.

      Der Ausritt hatte gut getan. Ohne Zweifel würde sie am kommenden Tag schrecklichen Muskelkater haben. Es würde ein paar Tage dauern, bis sie sich wieder an das Reiten gewöhnt hätte. Aber Jill und Bernadette zu sehen, mit Fin durch die Dämmerung zu galoppieren, das war es ihr wert gewesen. Ganz wie in alten Zeiten.

      Zurück im Stall sattelte sie das Pferd ab, führte es zufrieden in die Box. Draußen war es dunkel geworden. Finlay schwitzte kaum noch, sie hatte ihn die letzte Meile bis zum Hof im langsamen Schritt gehen lassen. Alfie begrüßte ihn mit leisem Wiehern. Lisanne warf ihnen ein paar Hände Heu in den Trog und zupfte sich die Halme aus den Haaren.

      „Gute Nacht, ihr Hübschen.“

      Sie verschwand über den Innenhof in den Garten, nahm ihr Buch von der Bank und lief ins Haus. Drinnen war es merkwürdig still. Nur in der Küche brannte Licht und jemand schien in der ersten Etage unter der Dusche zu stehen. Vermutlich Dad, der aus dem Stall gekommen war.

      „Ma?“, rief Lisanne und biss in ein Stück Weißbrot, das auf dem Küchentisch lag. Sie legte Das Haus am See ab, nahm je zwei Stufen gleichzeitig, als sie die Treppe hochlief und auf Antwort ihrer Mutter wartete.

      „Bist du zu Hause?“, fragte sie in die Stille. Oben war alles dunkel, bis auf den Lichtschein, der aus dem Bad drang. Lisanne ging in ihr Zimmer, schlüpfte aus Pulli und Jeans und lauschte, wann Dad die Dusche abstellen würde. Sie brauchte ebenfalls eine. Erfahrungsgemäß hatte er das Bad vierzig Sekunden, nachdem der letzte Wassertropfen aus der Brause getropft war, verlassen. Während sie darauf wartete, warf sie einen Blick auf die Silhouette, die sich im Halbdunkel in ihrem Spiegel abzeichnete. Sie erinnerte sich an das Bild einer Fünfjährigen, die im Kies einen Sturz mit dem Rad gedreht und sich dabei die oberen zwei Milchzähne ausgeschlagen hatte. Oder das Bild der Halbwüchsigen, die sich die langen Zöpfe abgeschnitten und ihre Haare rot gefärbt hatte. Solche Zeiten lagen hinter ihr. Sie lächelte. Ihre Haare waren honigblond nachgewachsen und hatten ihre ursprüngliche Länge – bis zur Taille – wieder erreicht. Die bleibenden Zähne hatten die ausgeschlagenen ersetzt und das runde Kindergesicht hatte sich in die weichen Züge einer Zwanzigjährigen verwandelt.

      Dad stellte die Dusche ab. Lisanne zog sich das Haarband aus dem Zopf, ließ die langen Strähnen über ihre Schultern fallen und zählte die Sekunden leise in Gedanken mit. Zehn, fünfzehn, sie schmiss die Socken in die Wäschetonne, zwanzig, fünfundzwanzig, tapste in Slip und BH über den dunklen Flur, dreißig, fünfunddreißig, sie öffnete die Tür. Ein wohlriechender Dunst schlug ihr entgegen. Im Nebel des Wasserdampfes stand jemand und es war ganz sicher nicht Dad. Lisanne erschrak, unterdrückte einen Schrei, während sie nach ihrem Bademantel griff und ihn hastig überzog. Irgend so ein wildfremder, triefnasser Kerl hatte sich ein Handtuch um die Hüften gewickelt und strich sich in dem Augenblick die feuchten Haare aus der Stirn.

      „Wer ... sind Sie und was tun Sie in unserem Badezimmer?“, fuhr sie ihn an.

      Er schaute mindestens so überrascht wie Lisanne, machte aber keine Anstalten, seinen muskulösen Oberkörper vor ihr zu verstecken. Er musterte sie einfach, als wäre es das Normalste der Welt, in fremden Häusern zu duschen. Sein Blick durchleuchtete sie. Und seine Augen ... Seine Augen waren so grün wie die Seele Irlands.

      „Ich habe geduscht“, sagte er, als wäre das nicht offensichtlich. „Drüben im Cottage ist der Warmwasserboiler kaputt. Mister O’Nare war so freundlich, mir sein Bad anzubieten bis ich den Defekt behoben habe.“ Er betrachtete sie von oben bis unten. „Ich nehme mal an, du bist Lisanne.“

      Damit verschwand er über den Flur in die Dunkelheit. Sie blieb sprachlos zurück. Als sie wieder klar denken konnte, verriegelte sie die Tür und wartete fünf Minuten, bevor sie ihren Bademantel und die Unterwäsche abstreifte. Wer wusste schon, ob der Typ nicht zurückkommen und sie überfallen würde? Wo steckten ihre Eltern und wieso hatte Dad ihr nichts davon gesagt, dass der Untermieter bei ihnen duschen durfte? Und seit wann war das Cottage wieder bewohnt? Vielleicht hatte Breda Antworten auf die Fragen. Lisanne nahm sich vor, sie später anzurufen.

      Breda hatte den Suppentopf, wie versprochen, auf dem Herd stehenlassen. Lisanne betrat die Küche mit nassen Haaren und hatte ihre Eltern noch immer nicht ausgemacht.

      „Ma? Dad?“, rief sie.

      Niemand antwortete. Das war seltsam. Ihr Blick fiel auf einen Zettel, der neben dem Buch und dem Brot auf dem Tisch lag. Anscheinend hatte sie ihn zuvor übersehen.

      Lass es dir schmecken, kleine Miss!

      Es wäre lieb, wenn du Logan etwas von der Suppe rüberbringen würdest. Er hat sicher einen Bärenhunger nach dem harten Tag. Morgen komme ich leider nicht. Wenn du am Dienstag Hilfe brauchst, ruf mich an.

      Breda

      Logan? Sie verstand nicht, griff zum Telefon und wählte die Nummer der alten Frau.

      „Belforce, guten Abend.“

      „Hallo, hier ist Lisanne.“

      „Oh, kleine Miss, hallo. Hat euch die Suppe geschmeckt?“

      Sie öffnete den Deckel des Kochtopfes und ließ den herzhaften Geruch von geräucherter Mettwurst und Linsen in ihre Nase steigen.

      „Hm, noch nicht, aber sie riecht fantastisch! Sag mal, Breda, weißt du zufällig, wo meine Eltern sind und wer dieser ... Logan ist?“

      Am anderen Ende der Leitung wurde es mucksmäuschenstill.

      „Hallo? Bis du noch dran?“

      „Ich wusste es!“ Die alte Frau schnaubte. „Ich wusste es und habe Liberty gewarnt. Aber sie wollte mir ja nicht glauben. Schade, dass sie jetzt nicht da ist, um mir recht geben zu müssen.“

      „Wovon redest du?“

      „Ich habe am Stubenfenster gestanden und zugeschaut, während sie im Garten mit dir gesprochen hat. Ich hatte sie gewarnt, dass du nicht zuhörst, wenn du nebenbei ein Buch in der Hand hältst. Tja, da haben wir also den Beweis. Du hast nicht zugehört, was deine Mutter dir gesagt hat. Stimmt’s? Die alte Breda weiß doch, wie verträumt die kleine Miss ist, wenn sie liest.“

       „Wo sind Ma und Dad?“ Sie verlagerte ungeduldig ihr Gewicht.

      „Sie sind rauf nach Wales gefahren. Deine Tante Maggie hat morgen Geburtstag. Sie wird fünfzig.“

       „Rauf ... nach ... Wales ...?“ Lisanne verschlug es die Sprache. Davon hatte ihr keiner was gesagt. „Wieso haben sie mich nicht gefragt, ob ich mit will? Ich wäre gern zu Tante Maggies Geburtstag gefahren. Das ... das ist gemein! Wann kommen sie zurück?“

       „Liberty hat dich gefragt. Aber, wie gesagt, du hast gelesen und warst irgendwo anders, nur nicht in diesem Garten. Sie kommen am Dienstagabend zurück. Es wird sicher sehr spät werden.“

      Dienstagabend. Sie schaute traurig zu Boden. Wie gern wäre sie mitgefahren.

      „Dad hätte auf mich warten können. Sie müssen gleich nach dem Melken losgefahren