Tödliche Geschwister. Jo Caminos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jo Caminos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738076936
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ablegen sollen. Bei meinen Büchern verwende ich diverse Pseudonyme. Aber eine Namensänderung wirft zu viele Fragen auf. Oder glaubst du vielleicht, ich hätte nicht mehr als einmal daran gedacht? Und die gefälschten Pässe nutzen mir jetzt auch nichts mehr, wo mein Name schon durch die Medien geistert …“ Sie wischte sich kurz über die Augen. „Aber es ist unheimlich. Was du da beschreibst, entspricht genau dem, was ich empfinde. Die anderen werden geliebt. Sie werden begehrt. Seit ich zurückdenken kann, bin ich fett, fett und widerlich. Man hasst mich. Das wird sich wohl niemals ändern …“

      „Nicht, wenn du weiter so viel frisst. Fang doch mal an, nach dem Essen zu kotzen, das soll eine probate Methode sein, abzunehmen …“, erwiderte Eugene augenzwinkernd.

      Sheila lachte trocken auf. Komisch, normalerweise macht es mich immer stinksauer, wenn jemand sagt, ich würde fressen. Bei Eugene ist es mir egal …

      Wieder fuhren sie eine Zeit lang schweigend durch die hereinbrechende Dämmerung. Nicht mehr lange, und sie würden Primm erreicht haben.

      „Sheila?“

      „Was?“

      „Spürst du es nicht auch?“

      „Was?“

      „Wir sind Geschwister. Du bist meine Schwester. Wir wurden in der Kindheit getrennt.“

      Das war es also … Sheila war noch nicht einmal überrascht. Sie hatte es nicht wirklich wissen können, doch da war eine seltsame Vertrautheit, eine Seelenverwandtschaft.

      „Du siehst mir aber gar nicht ähnlich, glücklicherweise“, meinte sie schließlich. „Du bist viel zu hübsch …“ Sie lachte.

      „Unterschiedliche Väter. Unsere leibliche Mutter muss eine ziemliche Hure gewesen sein.“

      „Was sonst …“, erwiderte Sheila. Sie hatte nichts anderes erwartet.

      Nein, sie war nicht wirklich überrascht. Irgendwie erschien ihr die Begegnung mit Eugene wie ein Wink des Schicksals. Sie hatte sich in seinen Augen gesehen, in diesen dunklen Untiefen, gestern Abend vor dem Kino, bei ihrer ersten Begegnung.

      Er war böse.

      Sie war böse.

      Sie waren das perfekte Team …

      8. Kapitel

      „Dan, mir ist nicht gut. Ich glaube, die Frikadellen waren nicht mehr ganz frisch. Bitte fahr bei Primm raus. Ich muss aufs Klo.“

      „Ist dir übel?“, fragte Dan besorgt. Barbra hatte sich nach dem letzten Snack ziemlich schweigsam verhalten. Zuerst hatte er angenommen, sie wäre müde, doch dann waren ihm die feinen Schweißperlen auf ihrer Stirn aufgefallen. Barbra gehörte zu dem Menschentyp, der niemals jammerte. Sie würde erst etwas sagen, wenn es gar nicht mehr ging.

      „Ja. Dan, bitte halte mal am Seitenstreifen. Mein Kreislauf spielt verrückt. Ich muss mich übergeben …“

      Dan setzte den Blinker und fuhr rechts ran. Barbra war kaum aus der Tür, als sie sich auf den Seitenstreifen übergab. Keuchend richtete sie sich kurz darauf wieder auf und lehnte sich gegen den Wagen. Sie hielt die Augen geschlossen, doch als ihr schwindlig wurde, öffnete sie sie wieder und konzentrierte sich auf einen imaginären Punkt in der Ferne. Hitzeschlieren hingen über der kargen Wüstenlandschaft. Das grelle Licht blendete.

      Dan wollte aussteigen und zu ihr kommen, doch sie winkte ab. „Lass nur, ich komme besser wieder in den Wagen. Hier draußen ist es unglaublich heiß …“

      Einen Moment später ließ sie sich in den Sitz zurückfallen. Die Hitze draußen war wahrhaft mörderisch. Ihr Kreislauf war schon immer ihre Achillesferse gewesen, besonders mit großen Temperaturschwankungen hatte sie so ihre Schwierigkeiten. Langsam legte sich der Schwindel etwas. Sie schloss die Wagentür und atmete mit geschlossenen Augen tief durch. Schweiß perlte auf ihrer Stirn. Sie sah kurz zu Dan und rang sich ein Lächeln ab.

      „Bin ne Memme, was?“

      „Ach, Barbra … Du immer und dein Perfektionismus … Mit einer Lebensmittelvergiftung ist nicht zu spaßen, Schatz.“

      Barbra winkte ab. „Jetzt mal nicht den Teufel an die Wand, Dan. Ich habe mir etwas den Magen verdorben, das ist alles. Und du weißt doch, dass ich große Hitze noch nie gut vertragen habe, oder?“

      Dan ließ ihr Zeit, durchzuschnaufen. „Denkst du, du hältst durch bis Vegas? Mir wär´s lieber, wir würden in Primm Rast machen. Ich meine ja nur - für den Fall der Fälle …“

      Barbra lächelte verzerrt. „Ich will nicht jammern, doch mir ist wirklich hundeübel. Ja, lass uns in Primm anhalten. Abgesehen davon muss ich noch immer aufs Klo, und hier draußen will ich nicht. Sind ja auch keine Hecken da, hinter denen ich mich hinsetzen könnte. Und auf eine Begegnung mit einer Klapperschlange habe ich auch keine Lust …“ Sie verzog das Gesicht.

      Dan lachte kurz. „Kein Problem.“

      Barbra verdrehte die Augen. „Und das an unserem fünfundzwanzigsten Hochzeitstag. Blöd, was?“

      „Der ist erst morgen, Schatz. Mach dir keine Gedanken. Wir kommen schon früh genug nach Vegas. Fahren wir weiter! Vorhin sind wir am Hinweisschild für das Primm Desert Experience Resort vorbeigefahren. Die Abfahrt müsste bald kommen. Schatz, so grün, wie du um die Nase bist, denke ich, es wäre wirklich besser, wenn wir im Resort übernachten und morgen früh erst weiterfahren. Deal?“

      Barbra lächelte ihn an. „Deal …“ Sie konnte sich selbst nicht leiden, wenn ihr übel war. Vielleicht lag es daran, dass sie niemandem zur Last fallen wollte. Das war bei ihr schon immer so gewesen, von Kindheit an. Kind, hilf deinen Mitmenschen, wo du kannst - aber falle ihnen niemals mit deinen Sorgen zur Last! Ihre Großmutter Ashley hatte ihr das immer wieder gepredigt - und sie hatte es verinnerlicht. Der Satz war so etwas wie ein ungeschriebenes Familiengesetz, ein stoischer Ansatz, der bei den Dawsons großgeschrieben wurde.

      Dan strich ihr sanft über die Wange. „Spätestens morgen Abend sitzen wir im Kasino am einarmigen Banditen. Dann sprengen wir beide die Bank und verabschieden uns ins Luxusleben …“

      Barbra lachte, obwohl ihr noch immer übel war. Wenigstens drehte sich nicht mehr alles um sie herum, wie noch vor ein paar Minuten. Vielleicht brauchte sie wirklich nur etwas Ruhe, Kühle und Dunkelheit.

      Dan sollte sich irren. Sie würden morgen Abend nicht im Kasino sitzen. Sie würden niemals in Las Vegas ankommen …

      9. Kapitel

      

      „Warum fahren wir nicht bis Vegas durch?“, fragte Sheila, als sie sich langsam dem Parkplatz des Primm Desert Experience Resort näherten. Etliche Passanten waren unterwegs. Viele lachten und schienen auf einen großen Gewinn in einem der Casinos zu hoffen. Das Grün der parkähnlichen Anlage lenkte davon ab, dass man sich hier in der Mojave befand, nah an der Grenze von Kalifornien zu Nevada Es war mittlerweile kurz vor achtzehn Uhr, der Thermostat am Armaturenbrett zeigte noch immer fast 45 Grad im Schatten an.

      „Ich will zuerst noch mal die Nachrichten kontrollieren. Habe keine Lust, der Polizei in Vegas in die Hände zu laufen, wenn ich am Schließfach vorbeisehe. Vielleicht konzentrieren sich die Ermittlungen ja auf Los Angeles. Entspann dich, Sheila. Ich habe uns ein Doppelzimmer im Resort gebucht. Morgen früh fahre ich nach Vegas rein, hole das Geld aus dem Schließfach - und dann verschwinden wir - zumindest vorläufig.“

      „In den Radiomeldungen ist bis jetzt nur die Rede, dass wir verschwunden sind. Noch gelten wir nicht als Verdächtige“, sagte Sheila.

      „Da wäre ich vorsichtig. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Cops eine Falschmeldung rausgeben. Die sind raffiniert. Abgesehen davon - was erwartest du? Wir wurden im Kino gesehen! Beide. Die Cops mögen blöd sein, aber so blöd auch wieder nicht. Abgesehen davon: Du warst ja vor ein paar Jahren lange Zeit