Tödliche Geschwister. Jo Caminos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jo Caminos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738076936
Скачать книгу
es!, durchfuhr es sie. Die Frau, die ihrer Mutter so unglaublich ähnlichsah, blickte in ihre Richtung, doch da war kein Erkennen, nichts. Für die Frau war Sheila eine Fremde. Höchstwahrscheinlich eine sehr ungepflegt wirkende, fette Fremde, eine heruntergekommene Schlampe, die hier im Steakhaus nichts verloren hätte. Abschaum … Sheila steigerte sich immer mehr in ihre negativen Gefühle. Wenn sie jetzt ein Messer hätte … Oh, Mami, ich habe dich ja so gar nicht lieb. Oh, Mami, ich werde dir jetzt, sehr, sehr wehtun, Mami. Wirst du weinen, Mami. Ja? Schrei nur, niemand wird dich hören. Niemand wird dir helfen …

      „Komm!“, drängte Eugene. „Du bist schon mehr als genug aufgefallen!“

      Die beiden Livrierten warfen sich einen schnellen Blick zu, dann sagte einer von ihnen: „Können wir Ihnen helfen?“

      Eugene schüttelte den Kopf. „Nein, nein, alles in Ordnung.“

      Sheila warf den beiden Angestellten einen giftigen Blick zu. „Wohl nicht vornehm genug, das fette Mädchen, was?“

      Eugene verdrehte die Augen. „Sheila, mach jetzt keinen Aufstand. Wir wollen doch unseren Spaß haben …“

      Sheila schluckte. Sie trat ganz nah zu Eugene hin und zischte: „Sie wird mein erstes Opfer. Sie - und keine andere. Es wird lange dauern. Sie wird leiden. Sie wird kreischen!“

      Eugene sah an seiner Schwester vorbei zu der Frau, die arglos mit ihrem Mann plauderte. Ein Kellner kam und nahm die Bestellung der beiden entgegen. Eugene nahm Sheila bei der Hand und führte sie vom Eingang weg. Wenigstens wehrte sie sich nicht. Die beiden Livrierten sahen ihnen mit ausdrucksloser Miene hinterher.

      „Von mir aus, aber nicht so Hals über Kopf. Und vor allen Dingen nicht jetzt. Los, lass uns nach oben gehen!“, sagte Eugene, als sie an einer Informationstafel stehengeblieben waren. Er sah zurück zum Eingang, doch die beiden Livrierten schienen den Zwischenfall schon vergessen zu haben. Sie begrüßten ein Ehepaar, das kurz darauf das Steakhouse betrat.

      Sheila hätte ihm am liebsten eine runtergehauen. Sie mochte es nicht, wenn man sie bevormundete. Das hatten zu viele in ihrem Leben versucht. Sie hatten alle bereut - auf die eine oder andere Art. Wehgetan, das hatte es immer, sehr weh sogar.

      „Okay. Gehen wir … Ich bin satt.“ Sie hängte sich bei Eugene ein und sah ihn lächelnd an. Sheila wirkte wieder völlig normal. Sie strich sich eine Strähne zurück. Sie wirkte liederlich. Ihr Top war völlig durchschwitzt, die Haare klatschnass. Und in ihren Augen brannte ein wildes Feuer. Sie rang um ihre Beherrschung, auch wenn sie lächelte, das konnte er spüren. Sie mussten weg von hier, bevor jemand auf sie aufmerksam wurde.

      Denkst du, bei dir wäre es anders?, höhnte Black in Eugenes Innerem. Denkst du das wirklich? Du solltest deine Visage mal sehen, wenn du Blut geleckt hast, Junge! Also nerv jetzt nicht!

      Das fette Sheilalein hat sein Opfer gefunden. Bist du etwa neidisch? Ist es das? Eugene schüttelte irritiert den Kopf. Dann war es vorbei, die Stimme verschwunden. Black.

      Ein Pärchen trat an ihnen vorbei. Ein gut aussehender Mann und eine sehr schlanke, sehr sexy wirkende Blondine, die Sheila einen vernichtenden Blick zuwarf.

      Sheila lächelte nach wie vor, doch sie schäumte innerlich vor Wut. Sie musste hier raus, sonst würde sie nach einem Messer greifen. Nach irgendeinem, es lagen doch genug im Steakhouse herum. Sie könnte hineinrennen, ein Messer nehmen und Mami dann die Kehle durchtrennen. Sie wollte Blut sehen, oh ja.

      Eugene zog sie hinter sich her. Sie folgte ihm mit ausdrucksloser Miene. Plötzlich standen Tränen in ihren Augen. Hässlich, das ist es. Hässliche Menschen werden nie geliebt, denen verpasst man immer nur einen Tritt - und dann noch einen.

      „Ein seltsames Pärchen“, murmelte Barbra nachdenklich.

      „Wie bitte?“ Dan sah von der Speisekarte auf.

      „Ach, diese … na ja, dick trifft es nicht wirklich … Diese fette Frau mit dem seltsamen Mann, der viel zu viel Haargel in den Haaren hatte. Sie haben bis eben an der Tür gestanden und in unsere Richtung gesehen. Na ja, wahrscheinlich hältst du mich mal wieder für bigott oder konservativ oder beides …“ Barbra schenkte Dan einen langen Blick. Sie wusste, dass er sie hin und wieder für elitär hielt. Und es stimmte ja auch. Aber der Mann und die Frau waren schon ein außergewöhnliches Gespann. Sie brachte bestimmt 120 Kilo oder mehr auf die Waage - und das bei nur etwas an die einssechzig. Und der Mann sah aus wie ein Zuhälter oder Mafioso - oder so etwas. Besonders seine Augen wirkten kalt. Trotzdem flackerte irgendetwas darin. Selbst auf die Entfernung hin war es Barbra aufgefallen. Vielleicht war es auch nur der starre Blick, mit dem er in ihre Richtung gesehen hatte. Nein, Bekanntschaft möchte sie mit den beiden keine schließen. So jemand wollte sie noch nicht mal in der Nähe sitzen haben.

      Barbra ahnte nicht, wie nah sie Eugene und Sheila bald schon sein würde. Bald, so bald …

      13. Kapitel

      

      „Bist du wirklich so gut, wie Charlene immer tut?“

      Tobey verdrehte die Augen. Er saß mit Rizzie zusammen in der Nähe eines Infoterminals. Charlene würde sich verspäten. Am liebsten hätte er die Frage einfach überhört, doch Rizzie war hartnäckig - und neugierig. Nervös kaute sie auf einem Kaugummi herum und sah hin und wieder auf ihre Armbanduhr. „Dass Charlene nie pünktlich sein kann …“ Sie sah zum Eingang, dann musterte sie einige der Gäste ziemlich abfällig. Dicker Arsch, flache Titten, geiler Hund, den würde ich auch nicht von der Bettkante stoßen …, kommentierte sie ohne Ende und nicht sehr leise, offensichtlich in der Annahme, es würde Tobey interessieren.

      „Was ist nun? Sehr gesprächig bist du nicht“, meinte sie schließlich.

      „Meine Songs sind gut - manche davon Spitze. Jetzt zufrieden?“ Tobey klang etwas genervt, doch er hatte nicht an sich halten können. Es war ihm im Augenblick egal, ob Rizzie eingeschnappt sein würde oder nicht. Als sie sich vor einer halben Stunde am Infoterminal trafen, um auf Charlene zu warten, war es ihm zuerst so vorgekommen, als wolle sie ihn anmachen, als er jedoch wenig später durchblicken ließ, dass er finanziell ziemlich abgebrannt sei, war ihr Interesse sehr schnell erloschen. Mit ihr zusammen zu wohnen, konnte lustig werden. Tobey mochte gar nicht daran denken. Wenigstens hatte jeder ein eigenes Schlafzimmer. Trotzdem. Rizzie war ihm zu oberflächlich - vor allem aber viel zu neugierig. Sie führte sich auf, als wäre sie ein Megastar, dem alle Beachtung schenken mussten. Schlecht sah sie gewiss nicht aus, allerdings wäre es gewiss kein Nachteil, wenn man ihr die Stimmbänder herausoperieren würde. Aber bei welcher Frau war das nicht so? Tobey grinste innerlich. Hoffentlich sagte er das niemals laut. Man galt sehr schnell als Chauvi - in diesen Zeiten.

      „Hey, nur nicht gleich sauer sein. Man wird ja noch fragen dürfen, oder?“

      Tobey reagierte nicht. Er sah stur geradeaus zum Empfang. Noch immer keine Charlene. Dafür sah er ein seltsames Pärchen - eine fette und ungepflegte Frau und einen Mann, der irgendwie nach Mafia aussah. Unschöne Erinnerungen an Carlo Moretti krochen in Tobeys Innerem hoch. Er erkannte diesen Menschenschlag selbst mit verbundenen Augen. So etwas wie die beiden da bedeutete Ärger, sehr großen Ärger.

      „Mann, ist das eine fette, hässliche Kuh“, sagte Rizzie eine Spur zu laut.

      Die dicke Frau sah in ihre Richtung. Tobey fiel auf, dass der Mafiosotyp sie am Arm festhalten wollte, doch die Frau ließ sich nicht zurückhalten. Offensichtlich hatte sie Rizzies Bemerkung gehört.

      „Meinst du mich?“, fragte die dicke Frau, als sie vor Tobey und Rizzie stehen geblieben war. Tobey tat bewusst desinteressiert und sah in die andere Richtung. Dämliche Rizzie, da hast du den Salat.

      „Ich rede mit dir, Flittchen!“

      Rizzie riss die Augen auf. „Also, bitte - das muss ich mir wirklich nicht anhören, und …“

      „Hast du mich eben fette Kuh genannt - oder nicht?“ Die Fette stemmte die Arme in die Hüften. Sie roch ziemlich streng.