Wenn Licht die Nacht durchdringt. Sandra Andrea Huber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Andrea Huber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847678014
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doch er hatte keinerlei Bedenken, dass sie ihm entweichen, zu stark auswuchern oder ihn gar verletzten würde. Er verstärkte die Hitze in seiner Handfläche und ließ das Feuer abermals größer werden, sich biegen, tanzen, singen.

      Der Hauch eines Lächelns zog über seinen Mund. So unbefriedigend sein letztes Vorhaben auch geendet hatte, so zuversichtlich und gelassen war er in diesem Moment. Zwar war das Mädchen nicht tot, wie sie es sein sollte, aber diesen Fehlschlag würde er bald bereinigen. Oder: Er würde ihn bereinigen lassen.

      Merkas hatte ihn gehört. Nicht klar und deutlich, nicht unmissverständlich, aber er hatte seine Stimme, sein Flüstern gehört. Es war nicht vorgesehen, dass man von anderen Ebenen aus auf die Erde, beziehungsweise ihre Bewohner, zugreifen konnte. Viel mehr als ein enorm abgeschwächtes Gefühl, oder eine blasse Ahnung an die gewünschte Person war nicht drin. Immerhin war die Erde „der Planet des freien Willens“. Furchtbar lästig, diese Regelung. Er konnte sich nicht mal auf Erden materialisieren, um direkt einzugreifen, das ließen die Barrieren nicht zu.

      Natürlich gab es immer irgendwo ein kleines Schlupfloch, für denjenigen, der beharrlich genug danach suchte. Das hatte bereits sein Abstecher in Céstines Körper bewiesen. Sensaten trugen einen Großteil seines Wesens in sich. Er war mit ihnen auf besondere Art und Weise verbunden. Zwar würde er nicht so weit gehen, sie als seine Kinder zu bezeichnen, aber als seine Schöpfungen oder Kreaturen durchaus. Ihr Charakter verkörperte jeweils einen bestimmten Abgrund der Menschen, doch kamen diese Abgründe, Begehren und Sehnsüchte seinem Wesen sehr nahe. Dieser Tatsache, und dem Zustand Céstines körperlichen Befindens, war es zu verdanken gewesen, dass er Besitz von ihr hatte ergreifen können. Sie war kurz vorm Sterben gewesen, weder ihr Körper, noch ihr Geist waren schwer zu überwinden oder in den Hintergrund zu drängen gewesen. Obendrein hatte sie sich nicht direkt auf der Erde befunden, sondern in der Zwischenwelt. Hier gab es kein Licht – wortwörtlich und im übertragenen Sinne. Keine goldene, warme Sonne strahlte vom Himmel, ließ den Tag anbrechen oder vergehen. Immerwährende Dunkelheit. Im Außen, wie im Innen.

       Schlupflöcher.

      Merkas war zwar weder verletzt, noch stand er kurz davor, zu Sterben, doch sein Inneres war in Aufruhr, befand sich in einem großen Chaos, das erhitzt und geleitet wurde von Rachsucht und dem Durst nach Blut und Schmerz. Das konnte er zu seinen Gunsten nutzen. Denn, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen heraus, wollten sie doch das Gleiche: Das Mädchen tot sehen. Durch diese Gemeinsamkeit konnte er sich Zugang in Merkas Geist verschaffen und ihn beeinflussen. In welchem Umfang und wie ausgeprägt würde sich noch zeigen. Klar war, je mehr der Sensat darauf einging, desto deutlicher würde er ihn erreichen und lenken können.

      SECHS

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      „Ist sie immer noch weggetreten?“

      „Sieht ganz so aus“, entgegnete Jonathan murmelnd.

      „Sollen wir vielleicht mal rechts ranfahren und sie an die frische Luft bringen? Vielleicht hilft das ja?“

      „Ich denke, dafür ist es inzwischen zu spät. Wenn du mich fragst, dann kann ihr weder Frischluft noch sonst was helfen.“

      Der Van machte einen Schlenker und holperte über den Bordstein, als Marah den Kopf ruckartig nach hinten wandte, einen erschrockenen Ausdruck auf dem Gesicht tragend.

      „Verdammt noch mal, schau auf die Straße!“, mahnte er sie und hielt Gwen fest, damit sie nicht herumflog, wie eine Schaufensterpuppe und mit dem Kopf gegen das Fenster knallte.

      „Was meinst du mit „kann ihr weder Frischluft noch sonst was helfen“? Sie ist doch in Ordnung, oder? Atmet sie? Hat sie Farbe im Gesicht?“, ratterte Marah alarmiert herunter und sah über ihre Schulter nach hinten.

      Abermals machte der Wagen ein paar Auswüchse und schlenkerte herum.

      „Sieh verdammt noch mal nach vorne, Marah! Sonst können wir uns gleich alle drei in ein Krankenbett oder einen Sarg legen!“

      „Was ist nun mit ihr?“, beharrte sie.

      Jonathan gab ein Seufzen von sich. „Ich meinte nicht, dass sie auf dem Weg ins Jenseits ist. Tut mir leid, wenn es für dich so geklungen hat“, schloss er teils reuevoll, teils genervt. „Damit meinte ich nur, dass jemandem wie ihr wohl nicht mehr zu helfen ist. Wenn sie regen Verkehr mit Sensaten pflegt und wir sie aus der Klemme holen müssen.“

      Marah gab ein leises Seufzen von sich. „Jo, ich weiß, dass du … wie du über sie denkst. Ich weiß, dass dich die Sache mit…“

      „Nicht!“, fuhr er ihr über den Mund. „Lass gut sein.“

      Einen Moment schwieg sie, dann setzte sie abermals an: „Jo – es wird nicht besser, wenn du jedem Gespräch darüber aus dem Weg gehst. Vielleicht solltest du genau das tun: Darüber reden und es nicht in dich hineinfressen.“

      „Ich will nicht darüber reden! Wenn du das endlich akzeptieren würdest, wäre ich dir sehr dankbar.“

      „Ich meine es nur gut.“

      „Und ich meine es ernst, wenn ich sage, dass ich nicht darüber reden will. Sei froh, dass ich hier bin und spuck aus, was wir jetzt mir ihr machen sollen.“ Er spürte, dass Marah nicht zufrieden mit dem Verlauf ihres Gesprächs war, doch sie war so besonnen, nicht weiter auf ihn einzureden.

      „Ich denke, zuerst werden wir dafür sorgen müssen, dass es ihr besser geht. Was auch immer sie tun soll, welche Aufgabe auch immer auf sie wartet: In ihrem Zustand wird das nichts. Wir müssen sie aufpäppeln und auf sie aufpassen. Ich fürchte, dass nicht nur der Sensant vom Krankenhaus versuchen wird, sie in die Finger zu kriegen.“

      Er zog die Stirn in Falten. „Was genau soll das heißen? Wer will sie denn alles in die Finger kriegen? Von wie vielen Verfolgern und potenziellen Todfeinden reden wir hier?“

      „Ich weiß nicht, von wie vielen“, gab sie zögernd zu. „Allerdings kommt es nicht immer auf die Masse an …“

      Jonathan sah, dass sie sich auf die Lippe biss. „Marah! Ich hab mich abspeisen und einlullen lassen, als du gesagt hast, dass du weg musst, um einer jungen unerfahrenen in Schwierigkeiten steckenden Hexe zu helfen. Das heißt jedoch keineswegs, dass ich weiter blind in der Gegend rumlaufen werde. Ich will wissen, was Sache ist. Ich will, dass du mir alles sagst, was du weißt. Ich bin nur hier, um…“

      „Auf mich aufzupassen und mich zu beschützen“, beendete sie seinen Satz.

      Er ballte die Fäuste, entgegnete aber nichts. Schuldgefühle schnürten ihm die Kehle zu. Es war, als stecke plötzlich ein Batzen Beton in seinem Hals.

      „Hör zu, Jo. Was ich weiß, ist, dass sie unsere Hilfe braucht. Ich weiß, dass sie etwas tun soll – etwas, dass mit der Schöpfung der Sensaten und ihrem Wesen zu tun hat. Doch zuerst muss sie sich erholen. Und dann, wenn sie sich erholt hat, wird sie Unterstützung benötigen, um sich für was auch immer bereit zu machen. Ich werde tun, was immer ich für sie tun kann, werde ihr zeigen und lernen, was immer ich ihr beibringen kann. Und was ich noch weiß, weil es auf der Hand liegt, ist, dass es einige geben wird, die sie tot sehen wollen. Sie braucht also Unterstützung und Schutz.“

      Er schwieg eine Weile, ehe er bitter entgegnete: „Und warum bin ich dann hier? Du bist die Hexe. Ich kann ihr keine Zaubertricks beibringen. Und was den Schutz angeht … wir wissen beide, dass ich auch in dieser Hinsicht keine Hilfe bin.“

      Einen Moment lang herrschte Stille.

      „Sie wusste, dass du mich begleiten würdest.“

      Er sah auf. „Sie?“ Er brachte das Wort voller Verachtung über die Lippen. „Sie kann mir gestohlen bleiben. Sollte ich ihr einmal persönlich begegnen, werde ich ihr das auch ins Gesicht sagen, darauf gebe ich dir mein Wort.“

      „Du bist auf Gott und die Welt wütend, aber das