Ich locke dich. Wolf L. Sinak. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wolf L. Sinak
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742758361
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war etwas gerötet – im Grunde genommen kein Anblick, der sie erschrecken ließ.

      „Was ist das?“, fragte sie.

      „Du musst noch meine Fesseln lösen!“ Er rüttelte mit Handgelenken und Unterschenkeln an den verbliebenen Stricken, wie um ihr zu zeigen, dass sie schwerfällig kapierte.

      Sie hatte mit einer Blutlache gerechnet, die von der Wolldecke gehindert wurde, über Jens’ Seiten abzulaufen, und darin zahlreiche Glassplitter oder so etwas Ähnliches, und sie hatte ein augenblickliches Zusammenschlagen seiner Zähne erwartet, als sie die Decke abzog – eine Reaktion auf den Schmerz, in den sich dieser Mann verbeißen würde. Stattdessen, kaum zu glauben, war der Rücken mit Ingredienzen glasiert, die aus Honig- und Marmeladegläsern und einer Tube Sonnenschutzcreme stammten. Und es handelte sich nur um eine Decke, wenn auch abstoßend grob und unschön in ihrer grauschmutzigen Farbe.

      Sie befreite seine Arme und Beine und hockte sich direkt vor Jens, der sich aufgesetzt hatte.

      „Was geht hier vor, Jens?“

      „Das siehst du doch. Ich wurde gefoltert.“ Seine Augen waren Gruben des Unverständnisses. „Ist von meiner Haut noch was übrig?“ Er sah verzerrt über seine Schulter, mehr schematisch als effektiv.

      „Außer dass du schweißnass bist, fehlt deiner Haut gar nichts. Die sämige Schönheitspackung auf deinem Rücken ist gewiss kein Grund zum Sterben.“

      „Gut, lassen wir das. Ein andermal.“ Sein leerer Blick füllte sich mit Substanz.

      „Jens, einer der Kerle hat mich erwischt und hätte mich fast … Ich meine, mir ist es gelungen, ihn von mir fernzuhalten. Da sagst du ein andermal?“

      Keine Antwort. „Gut, dann rufe ich jetzt die Polizei.“ Sie stand auf, aber er drückte ihre Schultern wieder nach unten.

      „Mädel, du siehst ja selbst, das hier ist alles mehr oder weniger ein Scherz. Honig: wie giftig. Sonnenschutzmittel: wie schädlich. Lachhaft, nicht war? … Welcher der Männer war es?“

      „Der mit dem weißen Hemd, kräftig gebaut. Ich habe ihn in den Schwitzkasten meiner Beine genommen.“ Sie kam gegen den Stich Röte an Ohren und Jochbeinen nicht an. Jens schmunzelte und nahm ihren Kopf zwischen seine Hände. „Es ist doch nichts passiert, oder?“

      Sie schlug die Hände weg und stand auf.

      „Warte!“ Er wankte einen Moment und holte sie an der Tür ein. „Hör zu, wir haben beide noch mal Glück gehabt. Die Sache ist verdammt kompliziert. Einfach die Polizei zu verständigen, aus dem Affekt heraus, macht alles noch komplizierter.“

      „Kompliziert? Bei mir war die Sache einfach. Das Schwein hat mich an den Arsch gefasst. Hätte ich mich nicht gewehrt, stünde ich jetzt entweder stundenlang unter der Dusche oder wäre tot!“

      „Quatsch, hier geht es nicht um Mord.“

      „Wenn ich für die nun eine unliebsame Zeugin bin?“

      „Eine Zeugin wofür? Für einen Schabernack? Ich kenne die – unter anderen Umständen ganz passable Kerle. Die bereuen sicher jetzt schon ihren Ausrutscher und du siehst sie nie wieder.“

      „Ja, weil ich mich verstecke oder die Polizei mich in Schutzhaft nimmt.“

      „Unsinn, Unsinn, Unsinn.“

      „Und wer sind die?“

      „Lass mich erst mal duschen, ich klebe wie ne frisch geteerte Straße.“ Jens verschwand hinter dem Raumteiler, der die Kaltduschen abschirmte. Das Wasser plätscherte. Er stöhnte nicht wie im Kälteschock, eher wollüstig.

      Was geschah hier wirklich? Marlies bemühte sich gedanklich, Perlen der Vorkommnisse auf einen Faden zu schieben.

      Erste Perle: Jens wird gewaltsam eingeschmiert und eingewickelt wie ein Palatschinken.

      Zweite Perle: Wer dem zusieht, wird gejagt.

      Dritte Perle: Die schrecken nicht vor sexueller Gewalt zurück.

      Stellte sich nur noch die Frage, wer die Männer waren. Sie hatte von studentischen Umtrieben gehört, von diesen ewigen Pennälern, die Streiche ausheckten, wenn andere ihres Alters schon arbeiten gingen. War es nicht so, dass man sich zwanzig Jahre später wieder traf und sich nach ein paar Bierchen der Kommilitoninnen erinnerte, deren Slipeinlagen man mit weißem Pfeffer bestreut hatte oder Tampons mit einem Wasserstoffperoxid-Präparat, damit das Blut schäumte? Sicher gab es das. Aber die Männer, so kurz sie ihrer auch ansichtig geworden war, waren von einem anderen Schlag, als dass sie in einen Zusammenhang mit Jens’ Vergangenheit passten. Tut mir leid Jens, aber ich glaube, es steckt was anderes dahinter.

      Das Plätschern hörte auf. „Könntest du mir bitte ein Handtuch geben?“, bat Jens. Marlies ergriff die Wolldecke, die sich nasskalt und hart anfühlte, und hielt stattdessen sie an den Raumteiler.

      „Hier.“

      Jens nackter Arm griff um die Ecke, fasste zu und ließ die Decke sofort wieder fallen. Wurfsterne von Augen erschienen neben dem Raumteiler. „Immer gut für einen Scherz, die kleine Marlies.“

      Sie ging und holte ein Handtuch aus dem Regal. Beim Abtrocknen hinter dem Raumteiler sprach er mit ihr.

      „Verrückte Burschen, die vom Sportclub damals. Ich musste mal erwähnt haben, dass das Schlimmste am Mittelalter für mich das Teeren und Federn war. Und weil sie jetzt glaubten, noch eine alte Rechnung begleichen zu müssen, strengten sie ihr Gedächtnis an und wurden fündig. Statt Teer und Federn nahmen sie Honig, Marmelade und Wolle. Schwamm drüber. Jetzt ist es vorbei, dank deiner Entschlossenheit.“ Er kam hervor und hatte die Unterhose an.

      Sie sagte nichts, betrachtete nur ihre Fingernägel, weil es ihr angebracht erschien, nicht sein Dummerli zu spielen.

      „Werner wird dir das bestätigen, denn der kennt die Typen auch.“

      „Ausgerechnet an dem Abend in zehn Jahren, an dem Werner mal nicht anwesend ist, passiert hier was“, sagte Marlies.

      Jens kam auf sie zu. „Wie siehst du denn aus?“ Er hob vorsichtig einen ihrer Arme hoch.

      „Wenn dir das jetzt schon auffällt“, sagte sie, „dass meine Klamotten nicht mal mehr für die Rotkreuzsammlung taugen, dann herzlichen Dank für das Mitgefühl.“

      „Selbstverständlich komme ich für den Schaden auf.“

      „Ich glaube, der Schaden ist größer.“

      „Verzeihung, ich habe die Angst vergessen, die dich sicher noch eine Weile quälen wird.“

      Wurde auch Zeit, dass er verstand. Aber er war nicht mehr der, zu dem sie sich vorbehaltlos hingezogen fühlte. „Und welche Rolle spielt deine Oma?“

      Seine Lippen schienen zu einer Antwort bereit zu sein, mehr aber auch nicht.

      „Gut, lassen wir das.“ Sie war zu anständig, in einer frischen Wunde zu bohren.

      Ohne etwas zu sagen, begannen beide mit dem Aufräumen. Jens rückte die Liegen und die Pritschen zurecht, Marlies hob die Wolldecke auf und wischte die klebrigen Überreste zusammen. Jens’ Blick, der sie dabei verfolgte, befand sich in der schaurigen Faszination von etwas Ekelerregendem, die einen üblicherweise nicht angesichts einer lumpigen Wolldecke ergreift, sondern eher bei einer sich im Stadium der Verwesung befindlichen Kuhhaut.

      Nur zwei Minuten später hatte Jens die Hand am Lichtschalter und schaute sich noch einmal detektivisch um. „Bist du sicher, keine Marmelade übersehen zu haben?“ Er wischte über seine Arme, die von einer Gänsehaut überzogen waren. Marlies wunderte sich darüber, denn im Saunabereich war es noch warm.

      Vorn am Tresen half er ihr beim Abputzen der Kleidung und übernahm die Rückseite. Seine Gedanken aber loteten den eigenen Rücken aus. Von wegen sämige Schönheitspackung. Überdeutlich spürte er Wollhaare im Hackfleisch seiner Haut.

      Maries würde sich nicht