Die Rote Gefahr. Haiko Herden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Haiko Herden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738017786
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Puh, da war ich aber froh. Doch offenbar schien ihr meine Frage nicht zu gefallen. Wieso? Hatte ich da in ein Wespennest gestochen?

      »Ich verdiene Geld«, meinte sie dann nur kühl, »ich jobbe.«

      »Du gehst nicht mehr zur Schule?« Ich war etwas verwundert, muss ich sagen.

      »Nee, bin ich blöd?«, giftete sie mich an. »Schule hab ich schon lange hinter mir.«

      »So alt bist du doch aber noch gar nicht«, stellte ich etwas naiv fest.

      Sie guckte mich eisig an. Ich blickte zurück, doch dann wurde mir klar, dass sie entweder nur einen Hauptschulabschluss hatte und sich schämte, dass sie die Penne vorzeitig abgebrochen hatte oder von der Schule geworfen wurde. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ich wollte sie ja auch nicht beleidigen oder so.

      »Hast du denn einen Abschluss?«, fragte ich sie dann.

      Da riss sie die Augen auf und ich hatte das Gefühl, sie wollte mir das Bier ins Gesicht klatschen.

      »Wen interessiert denn das?«, schimpfte sie mich an, »spinnst du? Ist das in irgendeiner Form wichtig?«

      Sie schnaubte wie ein Pferd, unglaublich. Mir war das peinlich, wieso konnte ich auch nur so einen Scheiß fragen? Ich wollte doch nur wissen, weswegen sie nicht mehr in der Schule war. Der Start mit ihr war also komplett in die Hose gegangen, ich konnte mir nicht vorstellen, bei ihr jemals wieder auf einen grünen Zweig zu kommen. Ich war verwirrt und beschloss, später darüber nachzudenken, nicht jetzt. Sie schüttelte den Kopf, trank einen Schluck von ihrem Bier und guckte mit zugekniffenen Lippen in eine andere Richtung. Die anderen waren auch irgendwie in bisschen betreten und ich dachte nach, wie ich die Situation retten könnte. Mir musste irgendein anderes Thema einfallen.

      »Hatte einer von euch schon Musterung?«, fragte ich.

      Nun guckten mich alle an. Ihre Blicken schienen zu sagen: »Was bist du denn für einer?« Militarist? Eine, der gerne mit Waffen hantiert?

      »Ich weiß, doofe Frage«, begann ich mich zu rechtfertigen. »Ich finde Waffen doof, ich will nicht zum Bund, ich will niemals eine Waffe in die Hand nehmen. Das könnte ich überhaupt nicht.«

      »Vorhin wolltest du noch eine Atombombe auf Bayern werfen«, meinte der Keyboarder etwas aggressiv.

      »Ja, das stimmt. Ist aber nicht ganz ernst gemeint«, fügte ich widerwillig ein.

      »Und was ist, wenn ein Russe deine Freundin vergewaltigt«, fing der Igelhaarschnitt immer noch pissig hinzu, »und ihr an den Haaren zerrt und du hast zufällig eine Waffe in der Hand, was würdest du tun? Oder wenn ein Bayer deine Freundin vergewaltigt?«,

      »Die typischen Verweigerungsfragen. Witzbold. Da kann man natürlich nur drauf antworten: Es würde gar nicht so weit kommen, denn ich würde niemals rein zufällig eine Waffe in der Hand haben.«

      »Aber wenn da eine liegt?«

      »Wo sollte eine liegen?«

      »Auf einem Tisch zum Beispiel.«

      »Quatsch. Ich würde niemals irgendwo sein, wo rein zufällig eine Waffe auf einem Tisch liegen würde, weil ich mich gar nicht mit Leuten abgeben würde, die Waffen haben. Ich würde niemals eine Waffe nehmen und einen Menschen, ein lebendiges Wesen töten«, rief ich triumphierend, gegen ein solches Argument würde niemand ankommen.

      »Dann würden sie deine Freundin töten«, sagte der Igelhaarschnitt sachlich.

      »Das wäre ärgerlich, doch ich würde nicht schießen«, teilte ich abermals mit.

      »Du würdest also deine Freundin schutzlos einem Kommunisten überlassen?«, fing nun Betty auch noch an.

      »Ach Leute«, ich atmete erstmal tief durch, »was wollt ihr eigentlich? Wollt ihr mich überzeugen zum Bund zu gehen?«

      »Ich will nur wissen, ob du es ernst meinst mit der Verweigerung, oder ob du doch tief im Inneren das Herz eines Soldaten hast«, erklärte Betty.

      »Ich habe nie gesagt, dass ich verweigern würde, »sagte ich verwundert. »Wieso geht ihr automatisch davon aus, dass ich nicht zum Bund will?«

      Nun guckten mich alle erst recht verachtend an. Und ich musste schnell richtig stellen: »Klar will ich nicht zum Bund, ich frage nur, wieso ihr davon ausgeht?«

      »Weil ein normaler Mensch da nicht hingeht«, giftete Betty erneut. »Und ich frage mich die ganze Zeit, was für ein Typ du eigentlich bist. Du bist undurchsichtig.«

      »Ist doch gut, dass ich nicht durchschaubar bin«, freute ich mich. »Also, wie alt seid ihr?

      Der Keyboarder war 17, der Schlagzeuger 18 und der Typ von gestern ebenfalls 17. Betty sagte gar nichts, der Langhaarige ebenfalls nicht. Ich war mir auch nicht ganz klar, ob er überhaupt zuhörte. Der hatte bestimmt Drogen genommen. Hippies nehmen ständig Drogen, schrecklich.

      »Ich frage mich nur«, erklärte ich, »ob die mich vielleicht vergessen mit der Musterung. Ich musste hierher ziehen, weil mein Vater einen neuen Job hier hat. In Berlin muss man nämlich nicht zum Bund, wenn man da wohnt. Ich wohne aber auf dem Papier noch in Berlin, sodass die mich nicht kriegen werden.«

      »Im Zweifelsfall verpetzte ich dich«, sagte Betty abfällig. Die anderen sagten gar nichts.

      »Und was ist?«, fragte ich noch einmal«, war schon jemand bei der Musterung?«

      Der Schlagzeuger bejahte, der Rest schüttelte mit dem Kopf.

      »Wie war das?«, bohrte ich weiter.

      »Die fassen dir da an die Eier. Wieso?«, fragte der Schlagzeuger.

      »Ja, ich will das wissen. Ich will da auf keinen Fall hin. Ich hoffe, ich bin untauglich, falls doch, mach ich auf jeden Fall Zivildienst. Ist auch nur einen Monat länger als Kriegsdienst.«

      »Echt«, sagte der Schlagzeuger, »ich mach auch Zivi, aber ich hab noch nicht verweigert.«

      »Bund ist Schund, ist doch ganz klar«, meinte der Igelhaarschnitt.

      »Ja, voll peinlich«, fügte der Typ von gestern dazu, »da darf man echt nicht hin, da geht man menschlich und charakterlich total zugrunde. Ich würde mit diesen waffengeilen Affen auch gar nicht zurechtkommen, ich muss mich echt schütteln, wenn ich dran denke. Bund ist totale scheiße, sollte sofort abgeschafft werden.«

      »Und was ist, wenn die Russen angreifen?«, fragte der Schlagzeuger provokant, »dann bist du im Altersheim und wischt den alten Leuten den Hintern ab, bist aber total froh, dass andere ihre Ärsche für dich hinhalten.«

      »Was? Was erzählst du denn da für ein Scheiß? Die alten Leute halten mir doch auch ihre Ärsche hin«, meinte der Keyboarder und lachte blöd über seinen dämlichen Witz.

      »Spaßvogel, aber mal im Ernst. Wenn der Russe einmarschiert, dann bist du garantiert über jeden Soldaten froh, der deine Freiheit verteidigt«, rief der Schlagzeuger.

      »Meine Freiheit? Das ich nicht lache. Scheißstaat hier, echt. Ich bin froh, wenn der Russe kommt und hier voll Kommunismus einkehrt.«

      »Du weißt doch gar nicht, was das ist«, stellte Betty fest.

      »Spinnst du? Das weiß doch jeder. Alles gehört allen, das ist doch super. So muss das sein. Dann geht es allen besser.«

      Ich verfolgte die Unterhaltung etwas ratlos, meine Gedanken schweiften ab. Auch der Typ von gestern guckte etwas verwirrt in die Runde. Bei ihm war es aber wahrscheinlich auch ein bisschen Schwipps.

      »Was meinst du denn?«, fragte ich ihn.

      »Ich? Zu was?«

      »Bund. Gehst du hin?«

      »Bin doch nicht bescheuert. Ich habe gelesen, die Zeugen Jehovas müssen nicht zum Bund. Ich trete da ein, und wenn ich 32 bin und nicht mehr eingezogen werden kann, trete ich da wieder aus. Ist doch total einfach. Verstehe gar nicht, warum das nicht alle so machen.«

      »Weil die Zeugen