Die Rote Gefahr. Haiko Herden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Haiko Herden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738017786
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zwei Stunden dauerte der Spuk insgesamt, dann war es vorbei. Die Möbelleute waren weg und es wurde stiller im Haus, nur meine Eltern schienen sich bereits auf die Kisten zu stürzen und sie auszuräumen. Kurz darauf stand meine Mutter wieder in der Tür.

      »Willst du nicht auspacken?«, fragte sie.

      »Nein, noch nicht. Später vielleicht.«

      »Vielleicht, welch komische Antwort«, sagte sie kopfschüttelnd, »als wenn du deine Sachen nur vielleicht auspacken würdest. Irgendwann musst du die Kartons doch eh leeren.«

      »Ach so«, sagte ich.

      »Ja«, meinte Mutter und schloss die Tür hinter sich. Ich hörte es weiter rumpeln.

      Ich schlief dieses Mal sehr schnell ein und erwachte gegen 16:15 Uhr. Leider immer noch mit Kopfschmerzen. Ich stand langsam auf, aber so langsam, dass ich nicht sofort kotzen musste. Gegen 16:56 Uhr laut meiner Armbanduhr, keine von diesen neumodischen Digitaluhren, die sündhaft viel Geld kosteten, stand ich aufrecht. Ich schlich mich in den Flur, wo meine Eltern immer noch damit beschäftigt waren, Kartons zu leeren.

      »Wo sind die Aspirin?«, fragte ich.

      »Hast du Kopfschmerzen?«, fragte meine Mutter und guckte äußerst besorgt.

      »Ja.«

      »Das kommt doch hoffentlich nicht vom Alkohol?«, nun guckte sie verärgert. »Denk dran, du bist noch nicht volljährig!«

      »Ja, ich weiß«, krächzte ich, nachdem ich alle meine Lebensgeister zusammengenommen hatte.

      »Wenn die rauskriegen, dass wir dich bis in die Puppen rauslassen und du dann auch noch zu viel Alkohol trinkst, können wir echt Ärger kriegen, Tim! Ich sage nur: Aufsichtspflicht. Die hat man als Eltern.«

      »Nein, Mama, das kommt sicher nur durch die ganze Aufregung hier. Man zieht ja nicht so oft um.«

      »Das kommt davon, weil du so spät im Bett warst«, fing sie mit leicht keifigem Unterton erneut an. »Ich habe dich gehört, als du nach Hause gekommen bist. Das war ganz schön spät.«

      Mein Vater hörte dem Dialog nur zu und packte seine Sammlung aus. Er hatte einen Setzkasten, in dem er irgendwelchen Kleinkram sammelte, mit dem er irgendwelche Erinnerungen verband. Da fand man kleine Flachmänner, Schlümpfe, eine Super-8-Filmrolle, Passfotos, kleine Zeitungsartikel und einiges mehr. Einen Sinn für Kitsch hatte er schon, obwohl es im Ganzen auch sehr viele Flachmänner waren. Leer natürlich.

      »Was ist denn jetzt, haben wir irgendwo Aspirin?«, fragte ich noch einmal.

      »Ja, guck mal im Bad, da steht der Karton mit den Badsachen. Der ist noch nicht ausgepackt, aber irgendwo da drin müssen die Tabletten sein.«

      Ich wankte ins Bad und fand die Tabletten Gott sei Dank sehr schnell. Ich nahm eine, wankte ins Zimmer zurück und schloss meine Tür. Ich setzte mich hin und starrte die Kartons an. Ich würde mich nicht herablassen und jetzt so spießig Umzugskartons auspacken, die gerade mal ein paar Stunden hier rumstanden.

      Kurz darauf klopfte es und meine Mutter rief: »Packst du deine Sachen schon aus?«

      »Nein, Mama, ich glaube, ich werde krank. Ich ruhe mich noch etwas aus.«

      »Na schön.«

      Dann war sie verschwunden.

      Ich schlief noch etwa eine Stunde, dann waren die Kopfschmerzen fast weg. Ich setzte mich auf meiner immer noch nicht aufgepumpten Luftmatratze aufrecht hin und guckte mir erst einmal in Ruhe mein Zimmer an. Die Tapete hatte ja ein ganz hässliches Muster, grün mit einem goldenen Schlickelschlackel drin. Wer hatte sich so was ausgesucht? Meine Mutter hatte recht, es war ganz klar, dass hier eine von diesen modernen Raufasertapeten ran musste. Und weiß sollte sie sein. Oder sogar schwarz. Dann stand ich auf und öffnete den Karton, in dem ich meine Stereoanlage vermutete. Die hatte ich einst zur Konfirmation bekommen. Jeder hatte die Konfirmation nur gemacht, um eine Stereoanlage zu kriegen. Tatsächlich hat jeder ohne Ausnahme sich von dem Konfigeld eine gekauft. Ich hatte auch echt Glück, dass ich nicht durch die Konfirmandenprüfung gefallen bin, ich hatte am Prüfungstag eine leichte Antistimmung gegen die Kirche und deshalb die Prüfungsfragen ein wenig blöde beantwortet. Auf die Frage, wofür Jesus Christus denn stehe, hatte ich geschrieben: »Friede, Freude, Eierkuchen« Das fand der Pastor nicht lustig, er hatte mich aber trotzdem konfirmiert, weil ich alle Gottesdienste besucht hatte. Und außerdem, weil man im christlichen Glauben ja verzeiht. Und das hatte er ganz offenbar getan.

      Ich baute die Stereoanlage von »Schneider« auf einem der Kartons auf und suchte aus einem anderen meine Schallplatten raus. Ich legte dann »The Scream« von »Siouxsie And The Banshees« auf und hörte das, allerdings in gedämpfter Lautstärke, da ich immer noch sehr lärmempfindlich war. Irgendwie musste ich die Zeit bis zum Abendessen totschlagen, danach wollte ich wieder Richtung »Fabrik« geben, um möglichst diesen Typen von gestern zu treffen. Ich hoffte, ich würde ihn wiedererkennen. Vielleicht würde er mir noch ein paar interessante Plätze hier in Hamburg zeigen.

      Meine Eltern ließen mich jetzt wenigstens in Ruhe, niemand klopfte mehr an die Tür.

      Tatsächlich hatte meine Mutter um Punkt 19 Uhr das Essen fertig. Allerdings keine ausgewogene Mahlzeit, vielmehr eine Ravioli-Dose, doch es schmeckte.

      »Hast du schon angefangen, deine Sachen auszupacken?«, fragte meine Mutter abermals.

      »Nein, noch nicht. Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich die Möbel hinstelle«, log ich. »Ich muss da noch ein wenig drüber nachdenken.«

      »Da gibt es doch gar nicht so viele Möglichkeiten«, meinte mein Vater und schnitt ein Ravioli klein.

      »Das sagst du«, begann ich zu klugscheißern, »vielleicht gibt es im herkömmlichen Sinne nur wenige Möglichkeiten, diese gewöhnlichen Möbel sinnvoll anzuordnen, mir schwebt da aber was Interessanteres vor.«

      »Was denn?«, fragte er.

      »Ich weiß es noch nicht. Ich muss da erst in aller Ruhe drüber nachdenken.«

      »Na gut, Tim«, er stach mit der Gabel ins kleingeschnittene Ravioli und aß weiter.

      Wir führten unsere Mahlzeit fort, niemand sprach ein Wort.

      »Was arbeitest du eigentlich genau, Papa?«, fragte ich dann irgendwann, als es zu ruhig wurde. Und immerhin musste ich doch wissen, wofür wir von Berlin nach Hamburg gezogen waren. Ich hoffte auf eine interessante Information.

      »Weißt du doch, wieso fragst du?«; sagte er mit vollem Mund und spülte den Happen mit einem Bier runter. Aha, mein Vater war also schon gleich losgezogen heute Morgen, um Bier zu kaufen. Da erkannte ich, dass mir meine Vorliebe für dieses Getränk in die Wiege gelegt wurde. Biergene.

      »Ich gehe übrigens gleich noch einmal weg«, begann ich vorsichtig.

      »Ja, ist okay«, meinte mein Vater gönnerhaft, »heute ist ja Samstag. Morgen allerdings bist du zeitig im Bett, du musst am Montag ja zur Schule.«

      »Ja, denk dran, das ist deine neue Klasse«, ergänzte meine Mutter, »da musst du einen guten Eindruck machen, immerhin wirst du hier nächstes Jahr dein Abitur machen.«

      »Ja ja, Mama«, irgendwie deprimierte sie mich.

      Nach dem ansonsten sehr wortlos vonstattengehenden Abendessen verschwand ich sofort. Mir war klar, dass ich viel zu früh war, doch ich musste raus aus der Wohnung und die frische Luft hatte ich auch dringend nötig. Langsam ging ich zur »Fabrik«, holte mir unterwegs Zigaretten und rauchte eine. Es schmeckte wie immer widerlich, ich wusste gar nicht, warum ich ständig rauchen musste, eigentlich war das gar nicht nötig, machte einen doch nur krank, jedenfalls hörte man das ja immer wieder. Aber egal, es musste jetzt einfach sein. Ein junger Mann meines Standes musste so etwas auch tun, das gehörte sich einfach so. Aus einer Snackbar holte ich mir ein Sechserpack Bier, dann setzte ich mich vor der »Fabrik« auf den kleinen Platz und machte es mir erst einmal gemütlich. Ich war froh, dass ich mich einigermaßen warm angezogen hatte, denn es wurde arschkalt. Und das