Die Rote Gefahr. Haiko Herden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Haiko Herden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738017786
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blöde.

      »Er kommt aus Berlin«, meinte der Typ von gestern.

      »Berlin?«, das war der Langhaarige.

      Wow, das ist knorke«, rief der punkige Schlagzeuger, »so sagt man doch da, oder? In Berlin, meine ich. Knorke.«

      »Ich sag das nicht so oft«, meinte ich, ich fand das Wort total beknackt.

      »Ich hab gehört, da soll alles voller Ruinen sein«, sagte der Keyboarder.

      »Was meinst du?«, fragte ich.

      »In Berlin«, erklärte er, »alles kaputt. Häuser, Straßen. Da sollen noch Einschusslöcher in den Wänden sein vom Zweiten Weltkrieg.«

      »Quatsch. Nicht bei uns.«

      »Doch!«, widersprach er.

      »Vielleicht in Ostberlin«, fiel mir ein.

      »Ach so. Wo kommst du denn her?«, frage er. Das hatte ihm wohl etwas den Wind aus den Segeln genommen.

      Ich sagte etwas entrüstet: »Westberlin natürlich.«

      »Ist das so viel anders?«, kam da plötzlich links von mir von meinem neuen Freund.

      »Natürlich! Spinnst du?«, das konnte ja wohl nicht wahr sein. »Du warst noch nie in Berlin, oder?«

      »Nein«, antwortet der Typ nach kurzem Überlegen.

      Dann sagte der Schlagzeuger: »Hast du keine Angst davor, dass die Russen da eine Atombombe raufwerfen?«

      »Wieso denken alle, dass die Atombomben auf Berlin werfen?«, fing ich an. »Das ist total unlogisch, die schaden sich doch selbst damit. Überlegt doch mal: Die Radioaktivität zieht doch auch nach Ostberlin, also in den Russischen Sektor, und dann fallen da den Leuten die Haare aus, du glaubst doch wohl nicht, dass die das machen würden.«

      »Da fallen nicht nur die Haare aus«, mischte sich Betty ein, »wenn man verstrahlt ist, ist das richtig Kacke. Guck doch mal Hiroshima.«

      »Ja, genau, Hiroshima?«, rief der Schlagzeuger.

      »Ja, Hiroshima, da haben die Amerikaner vor einiger Zeit eine Atombombe raufgeworfen«, ereifert sich Betty, »und das hat da voll gebrannt. Eine Feuerwalze hat sich durch die Stadt gefressen. Und die Schatten der Toten waren in die Wände gebrannt. Und dann waren die Leute, die noch lebten, richtiggehend verstrahlt. Sind total krank geworden. Das ist echt große Scheiße. Ich möchte das hier nicht erleben.«

      »Ich auch nicht«, sagte der Typ von gestern und rülpste. »Aber das klingt nach Hippiescheiße.«

      »So krank, dass man die nicht mehr heilen kann«, erklärte Betty weiter, »ich habe das mal gelesen neulich. Die hatten alle jede Menge Eiter und waren voller Brandverletzungen und so weiter. Wenn die das hier auf Berlin raufwerfen, dann aber gute Nacht. Das schadet uns allen, das spürt man selbst bis nach München.«

      »Na, um die wäre das ja nun wirklich nicht schade«, meinte der Keyboarder mit dem Igelhaarschnitt und grinste breit. Eine Bayern-Aversion, diagnostizierte ich. Aber die hatten Berliner auch.

      »Das stimmt«, meinte der Typ von gestern, »da kann von mir aus ruhig mal eine Atombombe raufgeworfen werden. Das müssten nicht mal die Russen sein, ich schätze mal, die Länder würden sich drum kloppen, da eine abzulassen.«

      »Ich finde das gar nicht lustig«, meinte Betty und guckte ihn strafend an.

      »Es war auch gar nicht lustig gemeint«, meinte der Typ von gestern beleidigt und trank leicht verlegen einen Schluck von seinem Hopfengetränk.

      »Witzbold«, stieß Betty dann noch hervor und er antwortete kleinlaut: »Eben nicht!«

      »Anderes Thema«, meinte ich, »habt ihr Lust auf einen zweiten Keyboarder? Ich habe einen MS-20 von Korg, neues Teil, supergut.«

      Ich guckte erwartungsvoll in die Runde. Der Keyboarder guckte mich an. Ich konnte den Blick nicht deuten, wollte er mich damit womöglich töten? Die Augenbrauen hatten sich zusammengezogen. Die Lippen pressten sich so komisch aufeinander. Aber ich wollte doch gar nicht seinen Platz streitig machen! Dachte er das etwa? Das war nicht meine Absicht. Ich wollte noch schnell etwas derartiges sagen, da kam schon die Antwort von ihm: »Nee, denke nicht.«

      »Nein, noch ein Keyboarder ist unnötig«, meinte der Typ von gestern, »einer reicht echt.«

      »Was heißt hier ›einer recht echt‹?, brauste der Keyboarder auf.

      »Ja, weißt du«, fing der Typ von gestern an, »mehr als einen Synthesizer sollte man in der Band nicht haben. Hey, wir spielen Punk und keinen Scheiß-Avantgarde!«

      »Avantgarde! Hey, das ist Synthiepunk, was ich spiele«, hier schien Streit aufzukommen.

      »Ja, ist ja auch gut. Aber ein Keyboard reicht echt«, sagte der langhaarige Schnauzbartträger, der den Bass bediente, wie aus heiterem Himmel. Der hatte die ganze Zeit nichts gesagt, ich hatte den schon völlig vergessen, er saß auch etwas ab von uns. Der Igelhaarschnitt wurde rot im Gesicht. Hey, das wollte ich nicht, ich wollte keinen Streit provozieren. Allerdings fände ich es auch nicht schlecht, wenn der Igelhaarschnitt sich derart daneben benehmen würde, dann könnte ich den Job vielleicht haben.

      »Ja, finde ich auch«, griff Betty beschwichtigend ein, »ich finde auch, dass ein Keyboard reicht.«

      Der Keyboarder hielt die Klappe, zündete sich eine Zigarette an und guckte beleidigt zur Seite. Was für ein kindisches Verhalten, die gekränkte Diva zu spielen und zu rauchen, das machen doch nur Dreijährige. Ich hielt aber auch lieber den Rand, war aber ein wenig enttäuscht. Das wäre wirklich toll gewesen, in einer Band zu spielen. Und die »Kassenschläger« fand ich sogar noch ganz gut. Bis auf den Bandnamen natürlich.

      »Kennt ihr denn eine Band, die eventuell einen Keyboarder sucht?«, fragte ich nach einiger Zeit in die Runde. Alle machten betretene Gesichter.

      Dann fiel meinem Kumpel was ein: »Ja, bei mir an der Schule hat sich grade eine Band zusammengefunden, wie ich gehört habe. Ein Schlagzeug, zwei Gitarren, ein Bass. Ich glaube, da fehlt noch ein Synthesizer. Die nennen sich die ‘Gebrüder Wright’. Wenn ich morgen in der Schule bin, frage ich die mal nach einer Telefonnummer.«

      »Du gehst zur Schule?«, fragte ich ihn, »welche denn?«

      »Das Gymnasium Rispenweg in Lurup.«

      »Hey, prima«, freute ich mich, »weißt du, da werde ich ab morgen auch hingehen. Welche Klassenstufe?«

      »Ich mache nächstes Jahr Abi, wieso? Und du?«

      »Wow, ich auch«, freute ich mich weiter. »Dann sind wir ja in einem Jahrgang. Das ist ja dufte. Oder knorke, wie ihr Hamburger so gerne denkt, dass wir Berliner das ständig sagen.«

      »Ja, echt super! Welche Leistungsfächer hast du denn?«

      »Englisch und Physik«, meinte ich.

      »Physik? Was ist das denn? Spinnst du?«

      »Ich weiß auch nicht. Ich hatte zufällig in der 11. Klasse eine einigermaßen gute Zensur in Physik bekommen und dachte, ich könnte das deshalb als Leistungsfach nehmen, war aber eine absolute Fehlentscheidung.«

      »Das glaube ich. Und was machen wir jetzt?«, fragte er abschließend.

      Dann war plötzlich wieder Ruhe. Minutenlang. Offenbar wurde alles gesagt. So viel, dass das erst einmal verdaut werden musste. Alle tranken an ihren Bieren, ich zündete mir eine Zigarette an, eine ungesunde. Ich freute mich, dass ich schon jemanden kennen würde an der neuen Schule. Vielleicht gingen die anderen ja auch auf das gleiche Gymnasium?

      »Hey, Betty, was machst du?«, fragte ich sie. Mist, so in ein Schweigen reinzuquatschen ist blöd, da gucken alle gleich, denn wenn man ein so intensives Schweigen unterbricht, dann muss es schon was sehr gewichtiges sein.

      Sie guckte mich an. Sagte aber nichts. Im Hintergrund lief »Pretty Vacant« von den »Sex Pistols«.

      Hatte