Die Rote Gefahr. Haiko Herden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Haiko Herden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738017786
Скачать книгу
dass wir eine Fernbeziehung führen könnten. Sie liebte mich sehr, das beteuerte sie mir ständig, und sie zwang mich auch am laufenden Band, ihr die unterwürfigsten Liebesschwüre zu hauchen. Gott, wie peinlich. Ich hatte ihr angedeutet, dass ich nicht daran glauben würde, dass es auf diese riesige Entfernung klappen könnte, doch sie war nicht davon zu überzeugen, dass unsere Liebe den Bach runtergehen würde. Elende Romantikerin. Sie wollte mir täglich einen Brief schreiben. Um Himmels willen, dann würde Montag ja schon der erste kommen. Brauchen Briefe durch die DDR nur einen Tag? Und das Schlimme war, dass sie Antworten darauf wollte.

      Kurz bevor ich wegdämmerte, musste ich noch an meine Freunde denken. Da waren Matthias, Ali, Knut und noch jemand, dessen Namen mir grade nicht einfiel. Wir waren eigentlich sehr gute Freunde, doch auch da war ich überzeugt davon, dass es nicht halten würde. Niemand kann einen regen Kontakt über 300 oder gar 350 Kilometer aufrechterhalten, das war unmöglich. Besonders dann nicht, wenn auch noch ein gutes Stück gruselige DDR dazwischen lag. Mir kam aber eine tolle Idee, um diese These mal zu überprüfen: Ich würde mich bei keinem dieser Leute melden, ich würde warten, bis die sich melden, erst dann würde ich mich auch melden. Mal gucken, wie schnell die mich vergessen. Ich hatte ihnen meine Adresse in der Stresemannstraße hinterlassen, und da mein Vater sich schon zeitig darum gekümmert hatte, wusste ich auch bereits die neue Telefonnummer, die ich ihnen gegeben hatte. Wenn sich dann einer per Brief oder Telefon melden würde, wüsste ich, dass vielleicht eine Chance besteht, die Freundschaft aufrecht zu erhalten. Ihr kapiert? Ich war gespannt, wer der erste sein würde. Ich tippte auf Matthias, denn Ali und Knut waren meist zu besoffen. Und der andere war eh nur so ein Mitläufer. Mir fiel sein Name grade wieder ein: Trottel. So hatte Ali ihn jedenfalls hin und wieder genannt.

      Dann endlich schlief ich ein. Die Kopfschmerzen kündigten sich schon an.

      31. MÄRZ 1979, SAMSTAG

      Am nächsten Morgen weckte mich meine Mutter. Sie riss die Tür auf und schrie: »Der Umzugswagen ist da!«

      Ich hatte tatsächlich Kopfschmerzen, und vor allem hatte ich keine Lust. Wie spät mochte es sein? In welchem Körper mochte ich stecken? Es fühlte sich nicht wie meiner an. Es fühlte sich nicht einmal nach einem Körper an.

      »Was muss ich denn tun? Muss ich etwa mittragen?«, fragte ich verquollen.

      »Nein, das weißt du doch«, erklärte meine Mutter, »den Umzug zahlt Papas Firma. Das ist eine Umzugsfirma, die trägt alles rauf.«

      »Aber wieso muss ich denn dann wach sein?«

      »Du kannst doch nicht schlafen, wenn hier Möbelpacker in der Wohnung herumrennen«, schalt mich Mutter. »Komm, steh auf. Hurtig.«

      Ich guckte sie entgeistert an und meinte: »Mama, echt. Das ist denen doch völlig egal, wenn ich hier penne.«

      »Nein, das ist nicht egal. Das ist unhöflich den Leuten gegenüber. Die müssen schwer schuften.«

      »Ja, aber die kriegen doch auch Geld dafür.«

      »Trotzdem.«

      »Ach so.«

      »Genau.«

      Da kam mein Vater um die Ecke, er hatte den Dialog mit angehört.

      Er stand da, hatte ich extra einen Blaumann angezogen, wahrscheinlich, um Solidarität mit den Arbeitern zu zeigen. Er guckte mich mit seiner befremdlichen Art an und meinte: »Es ist herablassend, wenn man schläft, während andere arbeiten. Damit zeigst du, dass du was Besseres bist als die. Da sind Handwerker sehr empfindlich.«

      »Ich glaube eher, das zeigt, dass ich später ins Bett gegangen bin als die«, meinte ich verschlafen und gähnte. »Das ist doch nichts Schlimmes.«

      »Aber du zeigst damit, dass du es dir leisten kannst, spät ins Bett zu gehen, während die Handwerker früh ins Bett müssen, um ihr Geld zu verdienen. Und damit zeigst du, dass du was Besseres bist als die«, belehrte er mich weiter. Er glaubte wohl, dass die Arbeiter es gut finden, wenn er im Blaumann daneben steht und zuguckt, wie sie schuften.

      »Die könnten doch aber auch was anderes arbeiten«, sagte ich zu ihm. »Die könnten zum Beispiel Barkeeper werden, dann bräuchten die auch nicht so früh ins Bett. Und könnten morgens länger schlafen, weil der Job eh erst abends anfängt.«

      »Barkeeper ist doch aber kein richtiger Job«, meinte Vater und verschwand. Mistkerl, so hatte er wieder das letzte Wort, ohne auch nur ein zündendes Argument vorzubringen. Der Ärger bewog mich dann aber doch, endlich aufzustehen. In voller Montur von gestern Nacht ging ich ihm wütend hinterher.

      »Wieso ist Barkeeper denn kein richtiger Job?«, pöbelte ich los, meine Kopfschmerzen verhinderten, dass ich die Augen richtig aufbekam. »Das kann total anstrengend sein. Möbelpacker haben auch einen anstrengenden Beruf, das sehe ich ein, aber Barkeeper ist auch anstrengend. Stell dir vor, du stehst den ganzen Abend hinter der Theke und die Leute sind alle total besoffen, aber du kannst nichts trinken und musst immer guter Laune sein und die auch noch bedienen. Und alle blasen dir den Zigarettenrauch ins Gesicht. Und anderes womöglich. Da schert sich auch niemand darum, ob der Barkeeper glaubt, dass die Gäste sich womöglich für was Besseres halten.«

      »Okay«, gab mein Vater zu, »ich einige mich darauf, dass Barkeeper auch einen anstrengenden Beruf haben.«

      »Und dass sie spät ins Bett kommen und morgens länger schlafen können, da die Arbeitszeiten anders sind als bei Handwerkern, oder?«

      »Ja, darauf lasse ich mich auch ein«, meinte er genervt.

      Ich war der Meinung, einer der Möbelpacker hatte uns gerade eben komisch angeguckt, aber ich könnte mich auch getäuscht haben.

      »Gut, Papa, ich lege mich jetzt wieder hin. Bitte sag denen, ich jobbe als Barkeeper und dürfe deshalb länger schlafen, okay? Dann sind die nicht beleidigt.«

      »Tim, das mache ich nicht«, meinte er. »Ich lüge nicht für dich. Das musst du schon selbst ausbaden. Wer lange aufbleiben kann, kann auch früh aufstehen.«

      Eine Logik, die sich mir zwar nicht unbedingt erschloss, aber um den Friedens willen sagte ich nichts und ging zurück in mein Zimmer. Doch ich konnte nicht sofort wieder einschlafen, dazu rumpelte es hin und wieder einfach zu laut. Mein Vater guckte noch kurz rein und seinem Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, dass er dachte, er hätte unseren kleinen Streit gewonnen mit seinem finalen klugen Spruch. Wenn der wüsste. Als ich gerade etwas eingedöst war, polterte es erneut heftig und zwei Typen trugen meinen alten Jugendzimmerschrank in mein Zimmer.

      »Wo soll der hin?«, fragte der eine mürrisch. Ich öffnete erstmal nur ein Auge, man weiß ja nie. So ein ziemlich feister Kerl mit tätowiertem Unterarm, der dicker am mein Unterschenkel war, hatte da gesprochen.

      »Egal«, meinte ich verschlafen.

      Ich erntete einen verächtlichen Blick, dann guckten sich die zwei Typen an und schüttelten fast unmerklich mit dem Kopf.

      »Hey Jungs«, meinte ich und öffnete das zweite Auge, »nicht böse sein. Ich musste bis tief in die Nacht arbeiten. Barkeeper. Bier ausschenken, kapiert?«

      Bier, da hellte sich das Gesicht der Möbelleute etwas auf, das hatten sie verstanden.

      »Aber wo soll das hin hier?«, fragte der eine Typ noch einmal, schon etwas freundlicher. Sie standen da beide und hatten diesen dunkelbraunen Schrank an ihren Gurten baumeln, sie hatten ihn bislang noch nicht abgesetzt und man merkte den zwei Menschen deutlich an, dass sie das Möbelstück gerne langsam irgendwo abgestellt hätten.

      »Hmm«, überlegte ich und guckte mir das Zimmer an. So richtig hatte ich es ja noch gar nicht inspiziert.

      »Echt egal, Leute«, sagte ich schließlich nach einigem Nachdenken, »stellt das irgendwie alles hier ab, ich schieb mir das dann schon irgendwie zurecht, okay?«

      »Gut«, meinte der Kerl, dann stellten sie den Schrank einfach an eine der Wände.

      Nach und nach brachten sie meine