Mo Morris und der Staat der Flüchtlinge. Benedict Dana. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Benedict Dana
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752922332
Скачать книгу
trat an eines der schmalen, hohen Fenster und blickte für einen Augenblick versonnen in die Berge hinauf. Schließlich drehte er sich wieder um und sah sich gezwungen, ein sehr entscheidendes Geständnis zu machen.

      „Wisst Ihr, Freunde, es ist leider so… Alle verdeckten Ermittler, die bisher hier waren, sind bereits nach kürzester Zeit aufgeflogen. Die meisten von ihnen haben die Stadt ohne nennenswerte Untersuchungsergebnisse frühzeitig verlassen. Es ist fast so, als hätte der Teufel höchstpersönlich seine Hand im Spiel. Ich habe die große Hoffnung, dass wenigstens euer Einsatz länger als nur zwei bis drei Tage währen wird. Wir haben im Grunde nur viele Verdachtsmomente, aber bisher so gut wie keine konkreten Ergebnisse.“

      „Und wie sind sie aufgeflogen? Wie hat sich das geäußert?“, warf Sofia mit einer gezwungen Ruhe ein. In Wahrheit hatte sie alle Hände voll damit zu tun, ihre Erregung vor Greg zu verbergen, für die es wegen des Drohbriefes mehr als ausreichende Gründe gab.

      „Sie wurden durch anonyme Drohanrufe, -emails oder –briefe aufgefordert die Stadt zu verlassen, andernfalls würde ihnen etwas zustoßen. Dabei wurden sie mit ihrem richtigen Namen angesprochen, um zu beweisen, dass man über ihre wahre Identität im Bilde ist. Wir gaben diesen Drohungen in allen Fällen nach, da die Arbeit eines verdeckten Ermittlers sowieso keinen Sinn mehr macht, wenn seine Tarnung aufgeflogen ist.“

      Mo und Sofia tauschten vieldeutige Blicke aus. Nach Gregs letztem Satz waren sie insgeheim umso entschlossener, ihn zu diesem Zeitpunkt noch nicht in den Erhalt des Briefes einzuweihen.

      „Die möglichen Erklärungen, die es für die frühzeitige Enttarnung der Ermittler gibt, sind allesamt höchst unerfreulich“, fuhr Greg fort. „Möglicherweise verfügen unsere Gegner über exakte Informationen, was die Zahl und Identität der in der Stadt registrierten Flüchtlinge betrifft. Falls sie zu irgendeinem Zeitpunkt Zugriff auf das Melderegister Unitys hatten, hätten sie womöglich die Daten mit den Registern anderer Flüchtlingslager abgleichen können. Jeder überzählige Flüchtling, der vorher nirgendwo registriert gewesen war, müsste so sofort auffallen und unter dem Verdacht stehen, ein UN-Agent zu sein. Leider würde das bedeuten, dass UN-Mitarbeiter involviert sein müssten, da es nicht so aussieht, als ob das Register einem Hacker zum Opfer gefallen ist. Allerdings haben wir die entsprechenden Leute in unserer Melde- und Passabteilung mehrfach im Rotationsverfahren ausgetauscht, ohne dass sich eine Besserung eingestellt hat.“

      „Haben noch weitere Mitarbeiter Zugriff auf das Register?“

      „Ja natürlich, Morton. Fast alle höheren Mitarbeiter in Unity und Genf können von ihrem Dienstcomputer auf die Daten zugreifen. Insofern ist die Reihe der potentiellen Verdächtigen, die als Maulwurf tätig sein könnten, sehr hoch. Zu hoch, möchte ich fast sagen, um in der Richtung erfolgreiche Nachforschungen anstellen zu können. Natürlich fällt speziell auf die UN-Mitarbeiter ein besonderer Verdacht, die in die Identität der Ermittler eingeweiht gewesen sind.

      Einer der Gründe, warum sie aufgeflogen sind, könnte übrigens auch darin liegen, dass sie dabei entdeckt wurden, wie sie den Flüchtlingen in die Berge gefolgt sind. Das Gebirge ist jenseits der Baumgrenze weit zu überblicken. Womöglich wird das Gelände oberhalb der Stadt systematisch beobachtet, weil irgendwo da oben ein Unterschlupf für die Komplizen der Schlepper existiert.“

      „Na, dann wissen wir ja, was wir als nächstes zu tun haben! Ich hatte sowieso vor, demnächst eine Bergwanderung zu unternehmen!“, kam Mo aufgrund der neuen Informationen sofort zu einem festen Entschluss.

      Greg erhob sich, um sich zu seinen Besuchern an den kleinen Konferenztisch zu setzen und ihnen die ausgedruckte Liste der verdächtigen Flüchtlingsnamen vorzulegen. Dabei meinte er:

      „Eine solche Bergwanderung müsste gut vorbereitet sein, damit euch nicht das gleiche Schicksal wie euren früheren Kollegen blüht. Ich schlage vor, nur Mo wird gehen und Sofia hält die Stellung in der Stadt, falls ihm etwas zustößt. Damit ihr in Verbindung bleibt, gebe ich euch das hier.“

      Er überreichte Sofia einen Umschlag und als sie ihn öffnete, fand sie zwei SIM-Karten und einen Zettel mit zwei Passwörtern und Telefonnummern darin.

      „Es sind italienische Karten, mit denen eure Telefone hier oben klaren Empfang haben werden. Ich empfehle Morton, sich für die Wanderung als Tourist zu verkleiden und sich einer Wandergruppe anzuschließen. Bei einer günstigen Gelegenheit wirst du dich von der Gruppe trennen, dir irgendwo ein geeignetes Versteck suchen und die Nacht in den Bergen verbringen. Am nächsten Tag hast du dann genügend Zeit, mit dem Fernglas deine Beobachtungen zu machen. Sobald die nächste Gruppe kommt, kannst du mit ihr wieder in die Stadt zurückgehen. Unauffälliger könnte es kaum sein. Es wird allerdings ein bisschen ungemütlich sein, weil die Temperaturen nachts unter den Gefrierpunkt fallen.“

      „Das werde ich schon überstehen. Hat eigentlich niemals die italienische Polizei dort oben Nachforschungen angestellt?“

      „Die Polizei? Ich bitte dich, Morton! Die werden von sich aus gar nichts unternehmen. Die bleiben schön unten in ihrer warmen Stube im Tal und warten, bis einer Anzeige erstattet, was aber nie passiert. Dass irgendwer irgendeinem Schlepper Geld gibt, ist ja noch nicht einmal direkt verboten.

      Nein, das müssen wir schon selbst in die Hand nehmen. Allerdings habe ich vor kurzem mit Goldsworthy in New York telefoniert. Er hat mich bei dieser Gelegenheit nochmals daran erinnert, dass die CIA und das FBI grundsätzlich bereit sind uns Unterstützung zu geben, wenn wir ihnen ein paar erste Hinweise geben. Was wir brauchen sind Namen und Verbindungen zu Hintermännern, die wiederum Verbindungen zu weiteren Hintermännern haben. Wir müssen die ganze Kette bis zum Mittelmeer und nach Afrika zurückverfolgen. Wenn uns die Amerikaner helfen, haben wir sogar eine reelle Chance!“

      Nachdem Greg auf diese Weise Zuversicht verbreitet hatte, erhob er sich wieder und lief einige Mal unruhig vor dem Fenster hin und her. Schließlich forderte er:

      „Und jetzt spielt mir mal dieses Tonband vor, das ihr im Café Grand Golliat aufgenommen habt!“

      Mo gehorchte sofort dem Befehl und schaltete das Tonbandgerät ein. Das Band lief eine längere Zeit, bis Greg plötzlich hellhörig wurde und ein paar Worte auf einen Zettel kritzelte. Es war nur ein kurzer Höhepunkt, da darauf keine weiteren Notizen folgten. Am Ende der Aufzeichnung resümierte er:

      „Nun, ich denke, das ist schon ein recht schönes Ergebnis für den ersten Tag. Du hast einen guten Riecher gehabt. Die Kerle reden zwar die meiste Zeit nur irgendwelche Nebensächlichkeiten, aber irgendwann stellt einer von ihnen eine sehr interessante Frage. Und zwar will er wortwörtlich von irgendeinem Anderen wissen, ob er schon die Adressen der neu eingetroffenen Flüchtlinge hätte. Der Andere verneint es, sagt aber, er würde sie bald erhalten. Das ist recht aufschlussreich, nicht wahr? Was schließt ihr daraus?“

      „Dass sie unter Umständen die Namen der Flüchtlinge schon haben, sonst hätte der Betreffende vielleicht nicht allein nach den Adressen gefragt. Auf jeden Fall ist völlig klar, dass die Typen höchst verdächtig sind“, gab Sofia anstatt Mo Antwort darauf.

      „Dem pflichte ich selbstverständlich bei. Falls diese Kerle regelmäßig im Café Grand Golliat anzutreffen sind, sollte man sie auf jeden Fall systematisch observieren. Die wichtigste Frage, die das Ganze für mich aufwirft, ist natürlich, von wem sie die Adressen erhalten werden. Falls es einer unserer Mitarbeiter ist, möchte ich das so schnell wie möglich wissen, verdammt noch mal!“

      Greg schlug seine geballte Faust auf den Tisch und schaute sie mit grimmiger Entschlossenheit an.

      „Die Observation werde ich übernehmen!“, kündigte Sofia entschieden an. „Vielleicht würden sie Mo wieder erkennen. Schließlich hat er ja direkt am Nachbartisch gesessen. Außerdem soll er ja in die Berge gehen, dann hätte ich in der Zwischenzeit eine Aufgabe.“

      Mo willigte in den Vorschlag ein und versah ihn sofort mit einigen Anweisungen:

      „Du solltest nicht direkt ins Café Grand Golliat gehen. Gegenüber gibt es eine Snackbar. Setz dich täglich dort rein und versuch so viele Fotos wie möglich von den Kerlen mit deinem Smartphone zu machen. Versuch auch herauszufinden, mit wem sie sich in