Mo Morris und der Staat der Flüchtlinge. Benedict Dana. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Benedict Dana
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752922332
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die sind!“

      Greg ließ ein paar zustimmende Worte fallen und erklärte schließlich mit abschließendem Ton:

      „Wie ihr im Einzelnen vorgehen wollt, überlasse ich euch, schließlich seid ihr ja die Detektive. Nur Eines wäre mir sehr wichtig: Sobald ihr erste relevante Ergebnisse habt, wendet euch direkt an mich. Und zwar ausschließlich an mich und an niemand Anderen! Ruft mich auf meiner privaten Nummer an, ihr findet sie in dem Umschlag, den ich euch gegeben habe. Wir müssen sehr leise und vertraulich arbeiten, da es wie gesagt eine undichte Stelle unter den UN-Leuten geben könnte. Das ist essentiell wichtig!“

      Die Unterredung warm damit beendet und nachdem Greg sie zur Tür begleitet und ihnen für ihre Ermittlungen viel Glück gewünscht hatte, hielt er sie noch einmal kurz zurück und gab ihnen zwei letzte Sätze mit auf den Weg. Sie ließen sie unbeantwortet, um ihn nicht zu belügen.

      „Ach übrigens, falls auch ihr so einen Drohbrief bekommen solltet, in dem ihr aufgefordert werdet Unity zu verlassen, teilt mir das bitte umgehend mit! Ich möchte es vor niemandem in Genf verantworten müssen, das Leben von zwei unserer Geheimermittler aufs Spiel gesetzt zu haben!“

      -

      Die Gruppe der vier Männer, die plötzlich in den beschlagenen Linsen seines Fernglases Gestalt gewann, kam ihm im ersten Augenblick wie ein schemenhaftes und unwirkliches Schattenspiel vor. Als er sich zitternd erhob, fürchtete er, er könnte es nicht schaffen, den Fremden mit seinen steif gefrorenen Füßen schnell genug zu folgen. In der Nacht war es so außerordentlich kalt geworden, dass er gegen drei Uhr morgens kurz davor gewesen war, zurück in die Stadt zu gehen. Davon hatten ihn vor allem der eiserne Wille seines höheren Ichs, ein Fläschchen mit hochprozentigem Schnaps und ein spezieller Handwärmer für Bergwanderer abgehalten. Sein ganzer Ehrgeiz bestand im Moment nur darin, noch vor dem Verstreichen der durch den anonymen Drohbrief gesetzten Zwei-Tages-Frist herauszufinden, wohin einige der vorwiegend jungen Flüchtlingsmänner gingen, wenn sie die Stadt verließen und in die Berge hinaufstiegen.

      Mo lenkte den Blick in das Tal hinunter und konnte dabei weite Strecken des Weges übersehen, dem die Meisten folgten, wenn sie von Unity aus in Richtung des 1944 Meter hohen Schweizer Berggipfels „Tête de Ferret“ aufstiegen. Bis auf die vier Männer sah er keine weiteren Wanderer, sondern nur das schier unendliche Grün der Gräser und Kräuter eines lang gestreckten, sanft abfallenden Hanges, der erst am Beginn der Baumgrenze endete. Die Dächer von Unity, die hinter dem Wald in einem der äußersten Ausläufer des Tales zu erkennen waren, sahen aus der Ferne wie Kieselsteine aus, die wie in einem großen Flussbecken vor die Hänge der gewaltigen Bergmassive geschwemmt worden waren. Die Stadt passte sich in ihrer leicht länglichen und schmalen Form exakt dem Tal an und wirkte wie das letzte Bollwerk der Zivilisation, bevor die reine, gewaltige Natur der majestätischen Bergwelt begann. Wo er auch hinsah, hoben sich felsige Berggipfel bis zum Horizont empor, zwischen denen sich grasgrüne, schneeweiße und felsgraue Flächen abwechselten.

      Irgendwann waren die tiefschwarzen Gesichter der Vier unter ihren dicken Wollmützen klar genug zu erkennen, um sie eindeutig als afrikanische Flüchtlinge zu identifizieren. Sie schienen keine bessere Orientierung als er selber zu haben, da sie häufig unschlüssig stehen blieben, sich kurz berieten und dann die Richtung wechselten. Sie wanderten einen schmalen, sich langsam absenkenden Bergrücken entlang, dessen Schnee bedeckte Flächen tiefer unten langsam in ein spärliches Grün übergingen. Er ging ihnen auf der anderen Seite des Bergkammes nach, so dass er für sie unsichtbar blieb. Bald wanderten die Afrikaner einen breiten, flach abfallenden Hang hinunter, der in die Richtung des auf der anderen Seite der Berge liegenden Schweizer Tales wies. Er verließ die Deckung des Bergkammes und folgte ihnen am Rand eines abseits gelegenen Geröllfeldes, bis sie einen Weg erreichten, der ins Tal hinunterlief und auf einen Tannenwald zuführte. Er wartete ab, bis sie nicht mehr zu sehen waren, und lief dann entlang des Waldrandes bis zu der Stelle, wo die Vier zwischen den Tannen verschwunden waren, um ihnen direkt auf der Spur zu folgen.

      Als nach zweihundert Metern plötzlich eine kilometerlange Lichtung bis ins Tal abfiel und der Wald nur noch rechter- und linkerhand weiter in die Tiefe lief, sah er eine rustikale Almhütte vor sich und wusste instinktiv, dass er das Ziel seiner Wanderung erreicht hatte. Wenig später konnte er durch das Fernglas erkennen, wie sich die vier Männer auf einer Holzbank vor der zweistöckigen, aus halbierten Baumstämmen errichteten Hütte niederließen und Proviant aus ihren Jackentaschen holten. Nur wenige hundert Meter hinter der Hütte begannen sich saftige, grüne Almwiesen zu erstrecken, auf denen weiter unten dicke, grasende Kühe zu sehen waren. Im Tal war eine kleine Ortschaft zu erkennen und ganz weit im Hintergrund stieg eine riesige weiße Rauchsäule aus irgendeinem Fabrikschlot empor. Irgendetwas auf dieser Seite des mächtigen Gebirgskammes war anders, und obwohl es schwer in Worte zu fassen war, was es war, war es klar, dass es mit dem Überschreiten der italienisch-schweizerischen Grenze zusammenhing.

      Seine Geduld wurde fast eine Stunde auf die Folter gespannt, bis auf dem unbefestigten Weg, der sich in Serpentinen durch die Wiesen schlängelte, ein sich nähernder, schwarzer Geländewagen im SUV-Stil zu sehen war. Als der Wagen die unmittelbare Nähe der Hütte erreicht hatte, filmte Mo alles mit der Kamera seines Smartphones: Wie das Auto vor der Hütte hielt, vier dunkelhaarige, mit schwarzen Anzügen bekleidete Männer ausstiegen, sich eine Weile mit den vier Flüchtlingen unterhielten und dann alle gemeinsam in der Hütte verschwanden. Es dauerte nicht lange, bis alle wieder herauskamen, und die Afrikaner dieselbe Richtung einschlugen, aus der sie gekommen waren. Die anderen Männer, die wahrscheinlich Italiener waren, stiegen sofort wieder in den Wagen und brausten in einer großen Staubwolke davon.

      Nach einer Weile wagte er es, die Deckung des Waldes zu verlassen und sich der Hütte gebückt zu nähern. Er trat durch eine schwere, unverschlossene Holztür in einen großen Raum, der durch herumliegenden Müll und mehrere Sitzgruppen aus dicken, groben Holzbänken samt Tischen verriet, dass die Hütte als Rastplatz für Wanderer diente. Er ließ sich an einem der Tische nieder, wobei ihm sofort eine Streichholzschachtel auffiel, die neben einem überquellenden Aschenbecher lag. Ein paar Zahlen und arabische Schriftzeichen deuteten auf irgendeine Adresse in Libyen hin, die für ihn nicht näher zu entziffern war. Er steckte sie ein und kam durch den Aschenbecher auf den Gedanken, sich eines der Zigarillos anzustecken, die er in einem Tabakladen in Unity gekauft hatte. Er gab sich mit ruhigem Paffen einer Reihe von Überlegungen hin und wurde irgendwann darin gestört, als sich die Tür mit leisem Knarren langsam öffnete.

      Im ersten Moment hatte er einen Wanderer erwartet, doch dann führte der Anblick eines breit und süffisant grinsenden Gesichts dazu, dass er entsetzt seine Augen aufriss und sich hustend an dem Rauch des Zigarillos verschluckte. Bei den vier Männern, die nun hintereinander eintraten, handelte es sich um keine Anderen als die Italiener, die er kurz zuvor beobachtet hatte. Ihre noblen, schwarzen Anzüge ließen sie in der leicht verwahrlosten Berghütte wie die Protagonisten eines gänzlich anderen Filmes wirkten und die schallgedämpfte Pistole, die einer von ihnen in den Händen hielt, wies sie als Kriminelle der besonders gefährlichen Art aus. Der Kerl mit der Waffe war offensichtlich der Anführer, da ein kurzes Fingerschnippen von ihm genügte, damit einer der drei Anderen sofort auf Mo zustürmte und ihn und seinen Rucksack gründlich durchsuchte.

      Nachdem sein Telefon und sein Taschenmesser in den Sakkotaschen des Bewaffneten verschwunden waren, näherte sich dieser dem Tisch und redete ihn das erste Mal an. Dabei verrieten schon seine ersten Worte in einem holperigen Englisch, wie wenig Mos Identität für ihn noch ein Geheimnis war.

      „Sie sind doch dieser bekannte Detektiv aus New York, nicht wahr? Was führt sie denn bloß hier in die Berge hinauf, mein Freund? Denken Sie nicht, es ist hier oben ein bisschen zu gefährlich für Sie? Sie könnten sich doch verletzten und das wollen wir doch alle nicht…“

      Der kräftige, bärtige Kerl vermischte in seiner Stimme eine freundlich-gefährliche Ironie, die die drei übrigen Männer mit einem spöttischen Grinsen untermalten. Er ließ sich Mo gegenüber am Tisch nieder und tat so, als fiele ihm erst jetzt das qualmende Zigarillo auf. Er nahm es ihm kurzerhand ab, zog ein paar Mal daran, rümpfte dann die Nase und beschwerte sich:

      „Oh mein Güte, schmeckt ja fürchterlich! Wenn Sie schon nach Europa reisen, sollten Sie die Gelegenheit