Mo Morris und der Staat der Flüchtlinge. Benedict Dana. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Benedict Dana
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752922332
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zu mir hereinspaziert kommt. Am besten gehen wir unten durch die Tiefgarage und fahren mit dem Aufzug in mein Büro rauf. Das dürfte etwas unauffälliger sein.“

      Greg sprang bei dieser Erklärung bereits wieder auf und führte sie in Richtung einer gerundeten Natursteinmauer, die links des Gebäudes in die betonierten Wände einer Garageneinfahrt überging. Die moderne Tiefgarage, die sie bald darauf durch ein offen stehendes Gittertor betraten, wirkte ziemlich fremdartig an einem Ort, an dem es außer den Wagen der UN-Angestellten keine privaten Fahrzeuge gab. Mo fiel sofort ein großer, weißer Mercedes der Luxusklasse mit Genfer Kennzeichen auf, der nach seinem Empfinden im starken Widerspruch zu dem sozialen Anspruch des Flüchtlingsstaates stand. Als er neugierig vor ihm stehen blieb, klärte Greg ihn auf:

      „Der gehört Elisabeth de Verneuil, die bereits im Gründungsjahr zur ersten Generalsekretärin der UN-RN berufen worden war. Sie pendelt ständig zwischen Genf und Unity hin und her. Die meisten Angestellten parken ihre Wagen außerhalb der Stadt, während die Tiefgarage für die leitenden Mitarbeiter reserviert ist.“

      Sie durchquerten die Garage und gelangten durch eine Glastür in ein schmuckloses Betontreppenhaus, in dem sich auch der Zugang zu einem Aufzug befand. Sofia wollte keine weitere Zeit mit Nebensächlichkeiten verlieren und rückte bereits während der Fahrt nach oben mit einem entscheidenden Punkt heraus.

      „Morton hat gestern Abend das Gespräch einiger Italiener im Café Grand Golliat belauscht und auf Tonband aufgezeichnet. Könntest du es für uns übersetzen?“

      „Aha, dann habt ihr also schon eine erste Spur? Das ist ja großartig! Selbstverständlich kann ich das!“, versicherte Greg mit seinem typischen Elan.

      Sie erreichten das Stockwerk, in dem sich sein Büro befand, und folgten einem hellen Gang, von dem rechts und links moderne, mit getönten Glasscheiben voneinander abgetrennte Räume abzweigten. Allein Gregs Büro, das am Ende des Gangs lag, besaß massive Wände und eine eindrucksvolle, zweiflügelige Eingangstür. Es erwies sich als ein heller, puristisch eingerichteter Eckraum, dessen schmale, bodenlange Fenster zu der hinter dem Gebäude entlang führenden „Rue des Nations“ und der Fassade eines gegenüberliegenden Touristenhotels namens „Hotel des Nations“ hinauswiesen. Im Hintergrund konnte man hinter den letzten Häuserzeilen der Stadt in die Berge hinauf sehen.

      Greg wies ihnen zwei Plätze an einem kleinen Konferenztisch zu und warf sich selber schwungvoll auf einen Drehstuhl vor seinem breiten Schreibtisch. Während er in ein paar Papieren herumkramte und seinen Computer einschaltete, fragte er mit einer Begeisterung, die Bestätigung von ihnen zu verlangen schien:

      „Und, wie gefällt euch die Stadt? Ein unglaublicher Ort, nicht wahr? Vor allem wenn man bedenkt, dass sich noch vor vier Jahren nichts als die Überreste eines verlassenen italienischen Bergdorfes an dieser Stelle befanden! Der Dorfplatz war etwa dort, wo heute der Unity Square ist. Diese Vorgeschichte ist auch einer der Gründe, warum die Stadt wie ein Dorf geplant wurde. Der Hauptgrund ist allerdings der, dass sich das Stadtbild in die Natur einfügen und den Flüchtlingen ein Gefühl von Geborgenheit und Heimat vermitteln soll. Meiner Meinung nach beweist die UN-City wie kaum ein anderes Projekt, was die Kooperation vieler Nationen in kurzer Zeit bewirken kann!“

      „Obwohl ich in New York auf Unity vorbereitet wurde, hatte ich keine so hoch entwickelte Stadt erwartet. Was hier innerhalb von vier Jahren geschehen ist, ist wirklich unglaublich!“

      Mo gelang es, für einen Augenblick begeistert zu klingen, obwohl seine Laune wegen des Drohbriefes noch immer stark eingetrübt war. Greg machte sich an seinem Computer zu schaffen und kurz darauf sprang der neben seinem Schreibtisch stehende Drucker an.

      „Ich druck euch zuerst einmal eine Liste all derjenigen Flüchtlinge aus, die wir für verdächtig halten, sich ihren Aufenthaltstitel mit der Hilfe von Schlepperbanden und korrupten Beamten erkauft zu haben. Es handelt sich, was Unity betrifft, vor allem um allein stehende beziehungsweise allein reisende junge Männer, die von Nordafrika über das Mittelmeer nach Sizilien übergesetzt hatten. All diejenigen, die etwa aus dem arabisch-syrischen Raum stammen, können wir zurzeit vernachlässigen. Wir benötigen mehr Informationen über die Schlepperbanden, die die Überfahrten von Nordafrika aus organisieren und die Mitarbeiter in den italienischen Flüchtlingslagern und Behörden dahingehend bestechen, eine Berechtigung für eine Blue Card und damit zur Weiterreise in die UN-RN auszustellen. Nach den Erkenntnissen verschiedener Geheimdienste sind die Schlepperbanden Teil eines weit gespannten, mafiaähnlichen Netzwerkes, das mehrere große Operationsbasen im größeren Mittelmeerraum betreibt. Wie ich vorgestern Abend in dem Gasthof schon sagte, ist dieses Netzwerk nicht mit der italienischen Mafia zu verwechseln. Die ist lediglich auf italienischem Boden an dem Schleppergeschäft beteiligt.“

      Er drückte den Knopf einer Sprechanlage auf dem Schreibtisch, um Getränke für seine Besucher zu ordern, und fuhr danach fort:

      „Da ihr völlig neu in der Stadt seid, ist die Liste der beste Weg, mit euren Nachforschungen zu beginnen. Ihr werdet die Namen und Adressen aller Männer auf ihr finden, die den genannten Kriterien entsprechen. Diejenigen, die wir für besonders verdächtig halten, haben wir entsprechend gekennzeichnet. Es sind die, von denen wir wissen, dass sie regelmäßig größere Summen in bar von ihren Sozialleistungen oder ihrem Arbeitslohn bei unserer UN-City-Bank abheben. Diese Personengruppen fallen auf, weil die meisten der Anderen ihr Geld entweder als Startkapital für ein neues Leben auf ihrem Konto sparen oder es direkt an Familienangehörige in ihre Heimat überweisen. Alle, die in Unity mit größeren Bargeldsummen umgehen, stehen im Verdacht, mit ihnen die Schulden bei den Schleppern zu bezahlen, die sie nach Europa brachten. Natürlich ist es auch möglich, dass sie das Geld einsetzen, um irgendwelche krummen Geschäfte zu betreiben. Wenn ihr die Verdächtigen systematisch beobachtet, werdet ihr früher oder später sicher zu Ergebnissen kommen.“

      „Mir sind mehrmals Gruppen von jungen Männern aufgefallen, die in Richtung der stadtauswärts führenden Treppen gehen und in den Bergen verschwinden. Machen sie nur eine harmlose Bergwanderung oder wollen sie sich vielleicht mit irgendwem da draußen treffen?“

      „Ich bin wirklich froh, dass dir das bereits aufgefallen ist, Morton. Es beweist, wie richtig es war, einen echten Detektiv anzuheuern“, belohnte Greg die Frage mit einem freundlichen Lob. „Tatsächlich könnten sie die Geldeintreiber der Schlepper irgendwo da oben treffen. Allerdings könnten diese Ausflüge auch mit Drogenhandel oder sonstigen kriminellen Geschäften zu tun haben.

      Natürlich halte ich Flüchtlinge nicht generell für krimineller als andere Menschen. Es ist nur so, dass die Not und die Einsamkeit in der Fremde manche zu falschen Dingen verführen.“

      „Natürlich, natürlich. Drogenhandel ist ein Kaliber für sich, aber ansonsten ist es ja kein Verbrechen, sich von einer Schlepperbande zur Flucht verleiten zu lassen. Die wahren Schuldigen sind die, die das große Geschäft damit machen und mit dem Schicksal hunderttausender Menschen spielen. Davon abgesehen halte ich es für kritisch, wenn vorwiegend Männer ihre Heimat verlassen und womöglich sogar Frauen und Kinder zurücklassen. Auf diese Weise verliert die Bevölkerung in den Herkunftsländern wichtige Beschützer und Ernährer und verarmt tendenziell noch mehr.“

      „Da stimme ich dir zu, Morton. Die ganze Sache hat eine Größenordnung, die über einen normalen Kriminalfall weit hinausgeht und eine weltpolitische Dimension aufweist. Eine vollständige Aufklärung wird daher kaum möglich sein. Wenn du auch nur etwas Licht in das Dunkel bringen kannst, würde das dem Renommee des berühmten Inspector Mo bereits sehr gut stehen.

      Sag mal, wie bist du eigentlich zu diesem Spitznamen gekommen?“

      Greg lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und blickte Mo mit einem viel sagenden Lächeln neugierig an, so als hätte er an diesem Morgen eine ganz besonderes Exemplar von Mensch in seinem Büro zu Gast. Mo hatte jedoch keine Lust auf nebensächliche Konversation und drang darauf, bei der Sache zu bleiben.

      „Diese Geschichte werde ich ein anderes Mal erzählen. Im Augenblick bin ich vor allem an der Beantwortung einer Frage interessiert: Sind eigentlich die Ermittler, die bereits vor uns in Unity gewesen sind, nie den Flüchtlingen in die Berge gefolgt? Es dürfte doch nicht allzu schwer herauszufinden sein,