Wotans Schatten oder Herr Urban und Herr Blumentritt beschimpfen sich. Jo Hilmsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jo Hilmsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742782397
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Sie sich ruhig Zeit“, antwortete Schmidt und widmete sich im Foyer der Betrachtung der Skulpturen.

      Nach wenigen Minuten kam Freiherr Graf von Wiltberg mit einem in Geschenkpapier gewickelten Päckchen zurück.

      „Diesem Herrn, den Sie den Ausguss reparieren, schulde ich noch eine Dankbarkeit. Allerdings müsste dies ebenso diskret behandelt werden. Wenn Sie verstehen?“

      Der Klempner verstand und nickte gerührt.

      „Also würden Sie für mich vielleicht diese kleine Aufmerksamkeit bei dem Herrn irgendwo hinterlegen, wo er sie nicht gleich findet. Natürlich erst, wenn Sie mit Ihrer Arbeit fertig sind. Es soll so etwas wie eine Überraschung werden.“

      „Da fällt mir bestimmt etwas ein.“

      „Vielen Dank!“ Graf von Wiltberg reichte Schmidt die Hand und lächelte. „Ich stehe in Ihrer Schuld!“

      „Wenn hier jemand in einer Schuld steht, dann ich in Ihrer.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Schmidt.

      Dieses Problem war erledigt. Das kleine Überraschungspaket würde seinen ehemaligen Kurier zwar nicht töten, aber ihn wohl sein Leben lang daran erinnern, dass es elementarere Dinge gab, als Toilettenverstopfungen.

      Das war das eine Problem. Der neue Kurier würde dessen Platz einnehmen. Menschen waren austauschbar. Die andere Sache war komplexer.

      Für das Problem mit dem jüdischen Journalisten benötigte es einer Strategie, die ein bisschen zeitaufwendiger war, soviel stand fest.

      Graf von Wiltberg sank in seinem Sessel nieder und rieb sich mit beiden Händen die Schläfen. Er hätte seine Wanderung wieder aufnehmen können, zum Beispiel. Diese Art der Meditation, bei der die linke und die rechte Gehirnhälfte in Einklang kamen und damit eine effizientere Problemlösung ermöglichte, hatten inzwischen auch die verfluchten Amerikaner für sich entdeckt. Er wusste, dass sich mittlerweile in New York ganze Gruppen trafen, um durch kleine oder größere Labyrinthe zu laufen. Manche waren nicht größer als zehn Quadratmeter.

      Aber Graf von Wiltberg hatte jetzt keine Lust zu wandern und Schuld daran hatten nicht einmal die Amerikaner. Schuld daran war noch etwas anderes.

      Es war der Zweifel, der in ihm hochkam, dessen Ursprung Angst war.

      Nicht die Angst, die das Gewissen belastet, etwas Falsches zu tun. Nicht einmal Angst, ertappt zu werden. Es war eine andere Angst. Eine existenziellere. Die Angst, vielleicht doch nicht zu den Auserwählten zu gehören. Zu denjenigen, die in der neuen Welt die Logenplätze beanspruchten.

      Wotan-Luzifer, durchfuhr es ihn fast fröstelnd. Mach mich zum Werkzeug deines Geistes. Führe und segne mein Handeln. Meine Seele gehört dir.

      Dann betrachtete Graf von Wiltberg sehnsüchtig die Karte der Antarktis. Neuschwabenland war dort irgendwo. Geschützt im ewigem Eis. Ein Lächeln stahl sich über sein Gesicht. Neuschwabenland bewachte einen der Eingänge in das Gebiet der Hohlen Erde – der Heimat der Arianni, die seit dem Untergang des urzeitlichen Kontinents Hyperborea dort ausharrten, um eines Tages wieder zurück an die Erdoberfläche zu kommen und der jüdischen-christlichen Weltverschwörung den endgültigen Todesstoß zu versetzen.

      Eines Tages, dachte er, und er spürte plötzlich eine Wärme, die seine soeben empfundene Angst wegglühte, werde ich es sehen. Und dann beginnt das neue Zeitalter.

      In Gedanken zitierte er die Worte von Hildebert von Tours, der bereits im 11. Jahrhundert in einem Sinngedicht einen Hinweis auf die Eingänge zur Hohlen Erde gegeben hatte. Zum Reich der Schwarzen Sonne.

       Dreifach wohnet der Gute: zuerst im Bereich der Lüfte,

       Unter der Erde sodann, über den Sternen zuletzt.

       Erst in dem Haus, und sodann in dem Grab, und zuletzt an dem

       Pole.

       Jenes verfällt, aufhört dieses, es bleibet der Pol.

       Drei sind Meister des Baus: der Meister, der Gräber, der Heiland

       Dort gibts Steine, und hier Würmer, am Ende den Lohn.

       Jenes stürzt leicht ein, dies liegt fest, ewig der Pol steht.

       Dort ist Leiden, hier Asche, doch Freuden am Pol.

      Einst gab es mindestens drei Eingänge. Nord- und Südpol und der Himalaya. Die deutsche Expedition zum Naga Parbat im Himalaya um Heinrich Harrer hatte im Sommer 1939 den Auftrag gehabt, diesen Eingang zu finden, dessen war sich der Graf sicher. Ein Jahr vorher, Weihnachten 1938 hatte das Forschungsschiff „Schwabenland“ unter dem Kommando von Alfred Ritscher Hamburg auf den Weg in Richtung Antarktis verlassen, um dort ebenfalls nach dem Eingang zur Hohlen Erde zu suchen, oder wenigstens das Gebiet zu sichern. Neuschwabenland.

      Und mit Sicherheit gab es noch mehr Eingänge. Möglicherweise im Kaukasus, möglicherweise ganz in der Nähe.

      „Ich will euer Diener sein“, flüsterte er. „Nehmt Kontakt zu mir auf.“

      Mit diesen Gedanken begab sich Graf von Wiltberg zu seinem Schreibtisch und legte ein leeres Blatt Papier vor sich hin. Zärtlich strich er darüber und machte eine Geste, als müsste er es glätten. Dabei war das Blatt Papier so glatt wie eine Eisfläche. Er griff nach einem Federhalter und legte ihn sorgfältig auf das Papier. Dann stand er auf, ging zu seiner Bibliothek und entnahm ihr Das goldene Band von Miguel Serrano. Er kehrte zu seinem Schreibtisch zurück, schlug eine bestimmte Seite auf und las:

       Es ist ein Kreislauf. Die Geschichte der Erde lehrt uns die Ewige Wiederkehr. Das, was einmal war, wird wieder sein. Wenn die Erde nicht durch den vergöttlichten Menschen verwandelt, verklärt werden kann, wird sie sich selbst zerstören, denn die Schöpfung ist ein Gedanke. Wotan-Luzifer, der angeblich gefallene Engel, war ein Gott der Verlierer und doch hatte er stets die außerordentliche Möglichkeit gehabt, sich in den Gott der Sieger zu verwandeln. In diesem Zeitalter ist es ihm noch nicht gelungen. Doch eines Tages werden sich die Dinge ändern, denn er ist der wahre Gott – der Stärkere, der Reinere und der Schönere. Die gegenwärtige Menschheit ist ihren tierischen Trieben, den Söhnen der Erde, dem Tiermenschen ausgeliefert. Die Halbgötter und die göttlichen Hyperboreer halten sich verborgen in den Weiten des Reiches der Hohlen Erde. Und von dort werden sie wiederkommen, das Banner Wotan-Luzifers vor sich hertragend.

      Freiherr Graf nahm seinen Federhalter in die Hand und schrieb folgende Worte: Luzifer (Teufel) = Wotan (Verlierer) = göttlicher Plan = Reinheit

      Nach einer Weile lehnte sich Graf von Wiltberg entspannt zurück. Ein Plan war Dank der Harmonie zwischen seiner rechten und der linken Gehirnhälfte entstanden.

      Ein guter Plan.

      Kapitel 9

      Nachdem Karl Munkelt beschlossen hatte, seinen Laden heute nicht zu öffnen und sich einen doppelten Whisky eingeschenkt und bereits getrunken hatte, betrachtete er weiter sprachlos den Inhalt des Koffers.

      Sechs Videokassetten. Allesamt unbeschriftet.

      Karl sah immer wieder wie paralysiert auf den Kurzzeitwecker im Koffer. Nicht viel hätte gefehlt, und seine geliebte Küche läge jetzt wahrscheinlich in Trümmern. Nicht viel hätte gefehlt, und er hätte sich über seine Trümmerküche gar keine Sorgen mehr machen brauchen.

      Ich nehme noch einen, entschied er. Ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass zwei Whisky um diese Uhrzeit möglicherweise auch den restlichen Tag ruinieren konnten, kippte er ihn auf Ex. Endlich ließ das Zittern seiner Hände nach. Karl holte tief Luft und rieb sich kräftig mit den Fingern die Augenbrauen, so, als müsste er sich noch einmal vergewissern, dass er tatsächlich unbeschadet geblieben war.

      „Wer denkt sich so ´nen Scheiß aus?“, fragte er