22 Und sie kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre. 23 Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, spuckte in seine Augen, legte ihm die Hände auf und fragte ihn: Siehst du etwas? 24 Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen umhergehen, als sähe ich Bäume. 25 Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht und konnte alles scharf sehen. 26 Und er schickte ihn heim und sprach: Geh aber nicht hinein in das Dorf!
Mk 8,22–26 Die Heilung eines Blinden (Joh 9,1–7) 8,22 Betsaida, am oberen Ende des Galiläischen Meeres, im Hoheitsgebiet von (Herodes) Philippus, einem der Söhne von Herodes dem Großen, der von 4 v.u.Z. bis 34 u.Z. geherrscht hat. Philippus errichtete die Stadt wieder und gab ihr den Namen „Betsaida Julias“, benannt nach Julia, einer der Töchter von Augustus. Matthäus und Lukas lassen diese Episode aus, vielleicht weil hier Jesu Unvermögen, unmittelbar zu heilen, explizit geschildert wird. Diese zweistufige Heilung könnte auch das zweistufige Verständnis der messianischen Identität durch die Jünger erahnen lassen: Den Jüngern fehlt noch eine klare Vorstellung (sie verstehen, dass Jesus der „Messias“ ist, aber sie verstehen nicht, was dieser Begriff bedeutet) und sie begreifen die volle Realität erst nach dem Tod Jesu (und nach dem Ende des Markusevangeliums, vgl. Anm. zu 16,8.).
27 Und Jesus ging fort mit seinen Jüngern in die Dörfer bei Cäsarea Philippi. Und auf dem Wege fragte er seine Jünger und sprach zu ihnen: Wer, sagen die Leute, dass ich sei? 28 Sie aber sprachen zu ihm: Sie sagen, du seiest Johannes der Täufer; andere sagen, du seiest Elia; wieder andere, du seiest einer der Propheten. 29 Und er fragte sie: Ihr aber, wer, sagt ihr, dass ich sei? Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: Du bist der Christus! 30 Und er bedrohte sie, dass sie niemandem von ihm sagen sollten.
31 Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. 32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. 33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
Mk 8,27–33 Das Petrusbekenntnis und Jesu erste Passionsankündigung (Mt 16,13–23; Lk 9,18–22). Markus ordnet die Erwartung des machtvoll erscheinenden Menschensohns der Vorstellung des leidenden und gekreuzigten Menschensohnes unter. Obwohl Jesus bis jetzt von den Pharisäern angefeindet wurde, klang ihre mörderische Absicht nur an einer Stelle an (Mk 3,6). Von jetzt an werden es die Ältesten, Hohenpriester und Schriftgelehrten sein, die Jesus ablehnen und ihn dem römischen Statthalter überliefern, damit er getötet würde. Die Pharisäer tauchen in der Passionserzählung nicht mehr auf, weil sie vielleicht als Gruppe wahrgenommen wurden, die zwar mit den Anhängern Jesu in Konkurrenz stand, aber nicht an seinem Tod mitgewirkt hatte (nur in Mk 3,6 konspirieren die Pharisäer [mit den Herodianern], um ihn umzubringen). 8,27 Cäsarea Philippi, wurde ursprünglich „Panion“ genannt, nach dem Gott Pan, dem dort eine wichtige Kultstätte gewidmet war. Unter Herodes‘ Sohn Philippus wurde die Stadt neu gegründet und erhielt zu Ehren des Kaisers und seiner selbst einen neuen Namen. In der Nähe wurde ein großer Tempel entdeckt, der vermutlich dem Kaiser gewidmet war. Das Gebiet wurde zu einem heiligen Ort für verschiedene Götter, vermutlich weil es nahe einer den Jordan speisenden Quelle sowie unter einem heiligen Berg (Hermon) lag. Dort befand sich der antike israelitische Schrein von Dan. In äthHen 13,7 wird diese Stelle als der Schauplatz beschrieben, an dem Henoch seine Offenbarungen empfing. Nicht nur das Petrusbekenntnis, sondern auch die Verklärung (Mk 9,2–10) wird in diesem Gebiet lokalisiert, das sowohl für Juden als auch für Nichtjuden bedeutsam ist. Der Berg der Verklärung wird zwar nicht benannt, jedoch deutet die textliche Nähe für eine antike Hörerschaft an, dass es sich um den Berg Hermon handelt. Nach der Verklärung und der Heilung in Mk 9,14–29 ziehen Jesus und seine Jünger nach Galiläa und kommen nach Kapernaum (Mk 9,35), das an der nordwestlichen Küste des Galiläischen Meeres unweit der Grenze zur Tetrarchie des Philippus liegt. 8,28–29 Die Jünger sagen, dass Jesus mit prophetischen Gestalten in Verbindung gebracht wurde (Mk 6,15), aber Petrus verkündet, dass er der Christus ist (vgl. Anm. zu 1,1; Mt 16,16–22 bietet ein ausführlicheres Bekenntnis). 8,30–32 Hier wird das Messiasgeheimnis am deutlichsten; Jesus spricht frei und offen darüber, was mit ihm geschehen wird, aber nur zu seinen Jüngern. 8,31 Muss viel leiden, bringt die Vorbestimmtheit von Gottes Plan zum Ausdruck, wie sie auch in apokalyptischen Texten wie Daniel, 4Esr und äthHen zu finden ist. 8,32–33 Vgl. Sach 3,2, wo Gott in Anwesenheit des Hohepriesters Jeschua – im Griechischen Jesus! – Satan mit vergleichbaren Worten schilt. Petrus kann sich einen leidenden und scheiternden Messias nicht vorstellen, während die scharfe Reaktion Jesu diese Perikope als zentralen und entscheidenden Abschnitt des Evangeliums kennzeichnet. Die jüdische Tradition hat häufig über das Leid von guten Menschen nachgedacht (Spr 3,12: „Wen der Herr liebt, den weist er zurecht“; bSan 101a–b), hier aber geht es um die Rolle des Messias. Andere Texte haben sich das Leiden des Messias erklären können, indem sie auf Jes 52,13–53,12 verweisen (Mt 8,17; 1Petr 2,24–25), aber Markus zitiert die Passage nicht, sondern deutet sie in Mk 10,45; 14,12–25 nur an.