Ich wollte nicht über alles lügen, was in meinem Leben vorging und beschloss, dass Lennie mit meiner Verhaftung vermutlich besser umhergehen konnte, als damit, dass ich schwul war. Außerdem konnte man heutzutage alles googeln.
„Ich, äh, war ein paar Monate im Gefängnis. Körperverletzung.“
Wie erwartet wirkte Lennie unbeeindruckt. „Ach, echt? Mein bester Freund sitzt wegen Autodiebstahl. Sollte eigentlich nur ein Scherz sein, weißt du? Aber dann hatte er einen Unfall, hat jemanden angefahren und dann war es wohl nicht mehr so witzig. Er wird in zwei Monaten wieder draußen sein. Was hast du angestellt?“ Er kniff die Augen zusammen. „Du hast nicht deine Freundin oder deine Mutter verprügelt, oder so was?“
„Oh, nein, niemals. Eine Kneipenschlägerei. Ich war wütend über etwas und habe es an der nächstbesten Person ausgelassen. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Kein Grund, ihm von Frankie zu erzählen.
„Okay. Dann erinnere mich daran, dich niemals aufzuregen. Wir haben alle schon mal Mist gebaut.“ Er klopfte mir auf den Rücken. „Lass uns mit diesen Büschen anfangen, bevor Paps zu rufen anfängt.“
Ich lächelte ihn an, erleichtert darüber, dass mein dunkles Geheimnis niemanden zu kümmern schien. „Ich bin bereit. Zeig mir den Weg.“
Um sieben Uhr abends war ich schmutzig, verschwitzt und brauchte unbedingt eine Dusche. Ich wischte den gröbsten Schweiß von meiner Stirn und atmete zufällig meinen Geruch ein. „Igitt. Ich stinke.“
„Du hast dich heute gut angestellt.“ Lennie gab mir einen freundschaftlichen Schubs, während er an mir vorbei zu seinem Schließfach ging. „Und Paps gefällt dein Vorschlag, die Pflanzen danach zu sortieren, wie viel Licht sie brauchen. Dadurch sind wir ein paar losgeworden, von denen wir befürchtet hatten, wir müssten sie wegwerfen.“
Ich lächelte Lennie an, dankbar für das Lob. „Danke. Es schien logisch, weißt du? Alles an einem Ort kaufen zu können.“
„Ja.“ Er zog sein fleckiges T-Shirt aus und ein sauberes an. „Ich kann es nicht erwarten, nach Hause unter die Dusche zu kommen, und dann mit den Jungs auf einen Drink auszugehen.“ Lennie stopfte das T-Shirt in seine Sporttasche und warf die Schließfachtür zu. „Hast du irgendwelche Pläne? Magst du mitkommen?“
Mein erster Impuls war, Nein zu sagen. Das ging mir irgendwie zu schnell und ich wollte nach Hause gehen und Frankie alles über meinen ersten Tag erzählen. Außerdem hatte ich geschworen, nicht mehr zu trinken. Ich bin keiner von diesen fröhlichen Betrunkenen. Wenn ich betrunken bin, erinnere ich mich an den hässlichen, schlechten Scheiß und werde wütend. Doch Frankie arbeitete heute Nacht und würde vor eins nicht zurück sein. Von mir wurde nicht erwartet, zu Hause zu sitzen und mir einen runter zu holen, oder?
„Ja, das wäre cool. Wo wollt ihr hin? In die Stadt?“
„Scheiße nein. Ich bezahl doch keine zwanzig Lappen für Drinks, nur um so ne hochnäsige Zicke zu treffen, die der Meinung ist, ich würde nicht genug verdienen. Wir gehen in einen Pub in der Nähe meines Apartments in Brooklyn. Gib mir deine Nummer, dann schicke ich dir die Adresse.“
Ich unterdrückte ein Lächeln, schloss meine Schließfachtür und sagte Lennie meine Nummer, der sie mit seinen rauen Fingern vorsichtig in sein Telefon tippte. Wenn sie wüssten, wie viel man in dem Club bezahlte, in dem Frankie arbeitete. Als er mir damals erzählte, dass man vierhundert Dollar die Flasche zahlte, hatte ich fast mein Essen ausgespuckt.
„Klingt nach einem Plan. Ich werde heimgehen und treffe euch dann später.“
Wir verabschiedeten uns und ich ging zu meinem Auto. Die Sonne ging in einem feurigen Rot unter und obwohl ich von Mülltonnen und leeren Kisten umgeben war, war es ein wunderschöner Moment für mich. Mein Telefon klingelte und ich sah, dass es Frankie war. Ich wollte hier draußen nicht mit ihm reden, also huschte ich zu meinem Auto und stieg ein.
„Hey. Ich bin gerade erst fertig geworden.“
„Wie lief es? Ich hatte gehofft, dass du vielleicht zwischendurch eine Chance hättest, mir eine Nachricht zu schicken. Ich habe den ganzen Nachmittag hier gesessen und an dich gedacht.“
Es lag mir auf der Zunge, ihn anzufahren und zu sagen, er solle die Leine von meinem Hals nehmen. Doch das hätte Frankie verletzt, und als ich eine Sekunde darüber nachdachte, verstand ich, dass er das nur wissen wollte, weil ihm etwas an mir lag. Nicht, weil er mir nicht vertraute. Außerdem war das mein altes Ich. Der Aaron, der sich nicht die Zeit nahm, darüber nachzudenken, was Frankie wirklich wollte. Der Aaron, der nur nahm und niemals gab.
„Tut mir leid, Babe. Es lief wirklich gut. Ich habe mir den Arsch aufgerissen, aber sie mögen mich. Ich glaube, das wird funktionieren.“
„Ich wusste, du kannst das. Ich bin so stolz auf dich. Außerdem liebst du es, mit Pflanzen zu arbeiten. Win-Win also. Bist du auf dem Heimweg?“
Auch wenn ich eine eigene Bleibe hatte, so war es doch eine winzige, hässliche Einzimmerwohnung, in der man sich mit den Kakerlaken um den wenigen Platz streiten musste.
„Ja. Ich werde duschen und mich waschen. Ich stinke.“
„Mmm, ich wünschte, ich könnte da sein und dir beim Rücken waschen helfen und bei … anderen Sachen. Aber ich werde mich vor dem Tanzen mit Austin zum Essen treffen. Er will mir Bilder von der Obdachlosenunterkunft zeigen, an der er arbeitet. Er hat mir davon erzählt und es klingt wahnsinnig toll.“
„Garantiert“, sagte ich leichthin. Ich wusste, dass Austin mich immer noch hasste und nur darauf wartete, dass ich es mit Frankie vermasselte. Austins Freund Rhoades war immerhin nett und schien mir gegenüber keine Vorurteile zu haben. Das gefiel mir. Rhoades ließ sich nicht von seinem Freund vorschreiben, wen er zu mögen hatte und wen nicht. „Muss schön sein, unbegrenzt Geld zu haben.“
„Du weißt doch, dass ich das alles nicht brauche, solange du und ich zusammen sind, wo auch immer wir sein mögen. Geld ist nicht alles. Nicht wahr?“
Wenn er so etwas sagte, dann fühlte ich mich wichtig. So als könnte ich meine alte Haut abwerfen und in eine neue hineinwachsen, jemand werden, bei dem es anderen gleich ist, wer er einst war und woher er kam.
„Gut. Du und ich gegen den Rest der Welt.“ Ich wusste, dass Frankie hoffte, ich würde ‚Ich liebe dich‘ sagen, wie ich es zuvor schon getan hatte. Doch diesmal wollte ich es nicht versauen. Ich wollte, dass es etwas bedeutete.
„Ich seh dich dann später. Ich werde nicht länger bleiben, also sollte ich so um halb zwei zu Hause sein.“
„Ich werde noch mit ein paar Leuten von der Arbeit rumhängen, aber ich werde zu Hause sein, wenn du kommst.“
„Ich zähle darauf.“
***
Ich schaffte es in unter dreißig Minuten zu Frankies Wohnung, doch er war schon weg. Die Dusche fühlte sich himmlisch an. Ich beobachtete das dreckige Wasser dabei, wie es durch den Abfluss verschwand, und fühlte mich zufrieden mit meinem Tag voll ehrlicher Arbeit. Ich zog mir ein langärmliches Shirt und Jeans an und rieb ein wenig Gel in mein handtuchtrockenes Haar.
Die Sachen, an denen er gearbeitet hatte, lagen noch immer auf dem Tisch, doch ich konnte ihm nicht böse deswegen sein. Das hier war seine Wohnung, und er hatte keinen anderen Arbeitsplatz. Also aß ich das Sandwich, das er mir übrig gelassen hatte, saß auf dem Sofa und wünschte mir, ich könnte ein Bier trinken.
Mein Telefon klingelte und ich sah, dass es eine Nachricht von Lennie war.
Wir sind hier. Heißt ‚Pints bei Pʼs‘. Wir werden gegen 20.30 Uhr da sein.
Ok, schickte ich zurück. Werde da sein.
Ich hatte gerade zugestimmt, meinen Abend mit einer Horde Heterotypen zu verbringen, die gerne tranken. Das konnte interessant werden, oder sehr, sehr schiefgehen.