Redeflüssigkeit und Dolmetschqualität. Sylvi Rennert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sylvi Rennert
Издательство: Bookwire
Серия: Translationswissenschaft
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301158
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Aufgabe von DolmetscherInnen bestand für ihn darin, „to enable his audience to know accurately what the speaker intended to convey, and to make on the audience the impression which the speaker wishes to be made“ (Herbert 1952: 23).

      Ähnlich, wenn auch ohne Hinweis auf die Wirkung, formuliert es Seleskovitch (1988), die schreibt:

      Ziel des Dolmetschers ist es, seinen Zuhörern die Aussage absolut getreulich weiterzuvermitteln, das heisst, sie ihnen ebenso gut verständlich zu machen, wie sie von denen verstanden worden ist, die sich den Redner im Original anhören. (Seleskovitch 1988: 101)

      Auch Vuorikoski ist der Meinung, die Dolmetschung solle den ZuhörerInnen einen Eindruck der Rede vermitteln „which is equal to the one they would have created had they been listening to the original speech directly“ (Vuorikoski 2004: 71), analysiert dies aber über einen Vergleich des AT und ZT. Sie schlägt eine Neuformulierung der oben zitierten Qualitätserwartung von Déjean Le Féal vor:

      What the listeners receive through interpreters should convey the same arguments as expressed by the speaker. The genre, register, and illocutionary point should remain the same. In other words, the speaker’s logos, pathos and ethos should be conveyed to the listeners. (Vuorikoski 2004: 250)

      Das Prinzip der gleichen kommunikativen bzw. kognitiven Wirkung sieht auch Pöchhacker (2012: 23) als Qualitätsanspruch für Dolmetschungen. Bereits 1997 fordert Pöchhacker die Untersuchung des kognitiven Endergebnisses der Dolmetschung als Instrument der Qualitätsbeurteilung (Shlesinger 1997: 130). Gerade aufgrund der großen Bandbreite von Einsatzbereichen und Situationen spricht er sich gegen eine rein sprachliche Betrachtung von Qualität aus:

      (T)he concept of quality cannot be pinned down to some linguistic substrate but must be viewed also at the level of its communicative effect and impact on the interaction within particular situational and institutional constraints. (Pöchhacker 2001: 421)

      Kalina (2005: 774) stellt allerdings die kritische Frage, ob es zwischen den ZuhörerInnen des AT und ZT nicht auch aus kulturellen oder anderen Gründen zu einer unterschiedlichen Wirkung kommen könne, die nicht unbedingt auf die Dolmetschung zurückzuführen sei. Wie Reithofer (2014: 30) anmerkt, stellt sie damit auch die Forderung nach Äquivalenz in Frage – ein Begriff, der, anders als in der Übersetzungswissenschaft, in der Dolmetschwissenschaft bisher kaum kritisch hinterfragt wurde. In Anbetracht der von DolmetscherInnen wie NutzerInnen häufig gestellten Forderung nach „sense consistency“, die als „Forderung nach Aktivierung des gleichen kognitiven Inhalts bei AT- und ZT-Publikum“ (Reithofer 2014: 30) verstanden werden könne, sei die Verwendung des Äquivalenzbegriffs jedoch gerechtfertigt. Auch bei den im Rahmen des QuaSI-Projektes von Zwischenberger (2013) durchgeführten großangelegten Befragungen von Mitgliedern des internationalen Dolmetscherverbandes AIIC und des deutschen Verbands der Konferenzdolmetscher (VKD) ging „sense consistency with the original“ bzw. „Sinnübereinstimmung mit dem Original“ als wichtigstes Kriterium hervor (Zwischenberger 2013: 199f.). Daher wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff der kognitiven Wirkungsäquivalenz verwendet.

      Der Begriff kognitive Wirkung ist in der vorliegenden Arbeit der Wirkung der „Botschaft“ der Dolmetschung vorbehalten (vgl. Pöchhacker 2013: 41), während der allgemeinsprachliche Begriff Verständlichkeit in Fällen verwendet wird, in denen die zitierten AutorInnen nicht explizit von kognitiver Wirkung sprechen und somit nicht gesichert ist, dass in den entsprechenden Arbeiten diese Definition angewandt wurde. Die kognitive Wirkung bzw. Verständlichkeit als Eigenschaft der Dolmetschung muss auch vom Verstehen als kognitiver Leistung der RezipientInnen abgegegrenzt werden. Das kognitive Endergebnis bzw. Verständnis wiederum ist das Resultat des Verstehensprozesses. Im in der vorliegenden Arbeit beschriebenen Experiment wird das kognitive Endergebnis mittels Hörverständnistest gemessen und die ProbandInnen werden nach der subjektiven Einschätzung des eigenen Verständnisses gefragt, wofür in der Auswertung auch der Begriff subjektives Verständnis verwendet wird.

      Nachdem in diesem Abschnitt der Qualitätsbegriff für die vorliegende Arbeit herausgearbeitet und die dazugehörige Terminologie erklärt wurde, wird im nächsten Abschnitt dessen Operationalisierung besprochen.

      2.1.3 Operationalisierung des Qualitätsbegriffs

      In der wissenschaftlichen Diskussion muss zwischen einem theoretischen Konstrukt und dessen Operationalisierung unterschieden werden. In den vorhergehenden Abschnitten wurde das Konstrukt der Qualität herausgearbeitet: In 2.1.1 wurde festgestellt, dass zur Bestimmung der Qualität der Dienstleistung Dolmetschung sowohl der produktbezogene Qualitätsbegriff als auch die subjektive Bewertung durch die KundInnen (ZT-RezipientInnen) berücksichtigt werden sollten. Aufbauend darauf wurde in 2.1.2 Dolmetschqualität für die Zwecke der vorliegenden Arbeit als kognitive Wirkungsäquivalenz definiert, die hier als produktbezogener Qualitätsbegriff betrachtet werden soll. Bis auf die stets als sehr wichtig eingestufte Sinnübereinstimmung mit dem Original, die bereits im produktbezogenen Qualitätsbegriff enthalten ist, variieren KundInnenerwartungen, wie bereits erwähnt, unter verschiedenen Zielgruppen sehr stark (siehe auch 3.2.1). Man kann also nicht von einer allgemeingültigen, homogenen Definition von Qualität für DolmetschnutzerInnen ausgehen. Vielmehr ist es sinnvoll, die wahrgenommene Dienstleistungsqualität für die jeweiligen NutzerInnen individuell zu erheben. In diesem Abschnitt soll nun festgelegt werden, wie diese Aspekte messbar gemacht, also operationalisiert, werden sollen.

      Wie in 2.1.2 gezeigt wurde, postulieren verschiedene Dolmetschwissen­schaft­lerInnen und PraktikerInnen (z.B. Herbert 1952, Seleskovitch 1988, Déjean Le Féal 1990), dass AT und Dolmetschung die gleiche Wirkung auf ihre jeweiligen RezipientInnen haben sollten; Methoden zur Messung der Erreichung dieses Ziels werden jedoch nicht immer besprochen. In der Skopostheorie (Vermeer 1978: 101) gilt eine Translation als erfolgreich, wenn vom Empfänger kein Protest eingelegt wird. Dies lässt sich jedoch schwer messen und Protest von RezipientInnen kommt in der Praxis zumindest in nicht-dialogischen Dolmetschsettings wohl kaum vor. Déjean Le Féal merkt an, dass man bei Diskussionen auch das Funktionieren der Kommunikation als Zeichen einer geglückten Dolmetschung ansehen könne, was aber nicht mit der Erfüllung der Qualitätsstandards gleichgesetzt werden dürfe (Déjean Le Féal 1990: 156). Sie schlägt daher zur Beurteilung der Verständlichkeit einer Dolmetschung vor, das Verständnis einer „typischen“ DolmetschrezipientIn mit jenem einer vergleichbaren RezipentIn des AT zu vergleichen (Déjean Le Féal 1990: 159). Auch Kalina (2009) spricht sich für einen Vergleich von AT- und ZT-Wirkung aus, da Beurteilungen des ZT durch die RezipientInnen lediglich der Überprüfung der ZT-Rezeption dienen könnten (Kalina 2009: 172):

      Dieser Vergleich wäre jedoch eine wichtige Größe für die Bestimmung des Erfolgs der Wirkung des ZT, da die intendierte Wirkung des Originals auf die AT-Rezipienten für die mit der ZT-Produktion intendierte Wirkung eine Rolle spielt (…). Wenn die Relation zwischen ZT und Rezipienten im Mittelpunkt steht, so sind die Verstehensprozesse der Rezipienten einzubeziehen. (Kalina 2009: 170)

      Eine tatsächliche Operationalisierung im Bereich des Lautsprachdolmetschens erfolgt zunächst allerdings nur durch Gerver (1972), der die Verständlichkeit verschiedener Dolmetschmodi mittels Hörverständnistests vergleicht, sowie über zwei Jahrzehnte später durch Shlesinger (1994). Sie setzt Hörverständnistests ein, um die Verständlichkeit von Dolmetschungen und vorgelesenen Transkripten derselben Dolmetschungen zu messen (siehe 3.3.1).

      Im Bereich des Gebärdendolmetschens ist die Verwendung von Tests zur Beurteilung der Verständlichkeit von Dolmetschungen jedoch wesentlich weiter verbreitet (siehe 3.3). Bereits seit den 1970er-Jahren wurden hier einerseits verschiedene Dolmetschmodi (z.B. Murphy & Fleischer 1977, Cokely 1990, Livingston et al. 1994) oder Dolmetschungen von muttersprachlichen vs. nichtmuttersprachlichen GebärdensprachdolmetscherInnen (z.B. Llewellyn-Jones [1981]/2015) untereinander verglichen, andererseits wurde auch untersucht, ob gehörlose Personen die gebärdete Dolmetschung gleich gut verstehen wie hörende Personen die in Lautsprache gesprochenen Inhalte (z.B. Marschark et al. 2004, Napier & Spencer 2008, Rodríguez Ortiz & Mora Roche 2008).

      Im Bereich des lautsprachlichen Dolmetschens wird die Messung der Verständlichkeit der Dolmetschung erst 15 Jahre nach Shlesinger