Redeflüssigkeit und Dolmetschqualität. Sylvi Rennert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sylvi Rennert
Издательство: Bookwire
Серия: Translationswissenschaft
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301158
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externe, kontextabhängige Faktoren wie Vorbereitung, Publikum oder Dolmetschsituation zur Qualität beitragen.

      So schlägt Kopczyński (1994: 189f.) vor, bei Dolmetschungen zwischen sprachlicher und pragmatischer Qualität zu unterscheiden. Die sprachliche Qualität sieht er dabei als „a set of rigid standards of equivalence in content and form between the spoken messages in L1 and L2“ (Kopczyński 1994: 189), während in der pragmatischen Sichtweise Qualität keine absolute Größe sein könne, da sie durch kontextabhängige Variablen wie die RednerIn, die ZuhörerInnen, deren Intentionen und die Dolmetschsituation beeinflusst werde. Moser-Mercer (1996) prägt den Begriff „optimum quality“, den sie wie folgt definiert:

      Optimum quality in professional interpreting implies that an interpreter provides a complete and accurate rendition of the original that does not distort the original message and tries to capture any and all extralinguistic information that the speaker might have provided subject to the constraints imposed by certain external conditions. (…) Optimum quality is the quality an interpreter can provide if external conditions are appropriate. (Moser-Mercer 1996: 44)

      In beiden Fällen wird externen Faktoren ein Platz eingeräumt, weder Moser-Mercer (1996) noch Kopczyński (1994) definieren dabei allerdings, was eine vollständige, korrekte oder treue Dolmetschung im Detail ausmacht. Zudem sieht Moser-Mercer Fehlerkategorien für die Bewertung von Dolmetschqualität als unabdingbar an (1996: 51).

      Mack & Cattaruzza (1995) gehen von einer eher rezipientInnenorientierten Sichtweise aus, bei der Qualität als die Erfüllung von NutzerInnenerwartungen betrachtet wird:

      As is the case for many other products or services, quality of conference interpretation could be defined as the interpreter’s capability to perform the function offered or required. An important aspect of quality would thus be the degree to which customers’ needs are met. (Mack & Cattaruzza 1995: 38)

      Auch laut Kurz (2001) sollte für DolmetscherInnen als DienstleisterInnen die Erfüllung der KundInnenerwartungen im Vordergrund stehen, wobei sie aber auch betont, dass im Fall von falschen Vorstellungen der KundInnen die DolmetscherInnen diese informieren können und sollen.

      Eine Kombination aus RezipientInnen- und RednerInnenorientierung wird bei Shlesinger (1997) als mögliches Qualitätsmaß besprochen, allerdings durchaus kritisch. So wird darauf hingewiesen, dass ZuhörerInnen allein die Qualität einer Dolmetschung nicht beurteilen könnten, da sie einerseits den AT nicht verstehen, andererseits (wie bereits oben erwähnt) keine homogenen Erwartungen haben. Zudem merkt sie unter Bezugnahme auf Viezzi an: „quality is a feature of an interpreter’s performance even when nobody is listening“ (Shlesinger 1997: 127).

      Kalina (2004, 2005, 2009) wendet sich von der ausschließlich rezipientInnenorientierten Perspektive ab, da Dolmetschqualität ihrer Ansicht nach „nicht allein das ist, was von Zuhörern als solche wahrgenommen wird“ (Kalina 2009: 172). Vielmehr gilt für sie ein prozessorientierter Ansatz, in dem Qualität „der gelungene Einsatz von Dolmetschstrategien zur Lösung von Problemen im Verstehensvorgang, zur Erreichung translatorischer Lösungen und zur erfolgreichen Produktion des ZT“ ist (Kalina 2009: 171). Dabei ist für sie nicht die DolmetscherIn allein für Qualität zuständig (Kalina 2004: 6). Vielmehr ist Qualität beim Dolmetschen ihrer Ansicht nach von einer Vielzahl von Faktoren wie Erfordernissen und Präferenzen der KommunikationsteilnehmerInnen, der Situation, der Qualität des AT und der Vortragsweise der RednerIn abhängig, sodass man nicht von einer festgelegten Qualitätsnorm sprechen könne, die immer erreichbar sei, sondern die Definition von Qualität stets an die Bedingungen der jeweiligen Dolmetschsituation geknüpft sei (Kalina 2009: 177).

      Ähnlich sehen es Chiaro & Nocella (2004), die zum Abschluss ihrer Erhebung von Qualitätskriterien unter DolmetscherInnen feststellen, dass sich zwar einige Kriterien festmachen ließen, die die Grundlage für eine Qualitätsdefinition darstellen könnten, diese Kriterien aber nicht allein von den DolmetscherInnen beeinflusst werden könnten:

      There appears to be an element of uncontrollability inherent to the interpretative process that is obviously linked to the ‘speaker-interpreter-environment’ triad. This triad, according to us, appears to generate both technical and personal difficulties as well as variables that are highly dependent on the context of the situation. None of these elements are easy to postulate a priori. In conclusion, the absence of quality standards that characterises the work of professional interpreters appears to be linked to the uniqueness of the interpreting process itself. (Chiaro & Nocella 2004: 291)

      Die Bedingungen, unter denen eine Dolmetschung entsteht, sind auch für Garzone (2003) für die Qualitätsdefinition von Bedeutung. Für sie muss die Beurteilung von Qualität durch die ZT-ProduzentInnen und RezipientInnen stets ein Kompromiss zwischen der Vorstellung einer „idealen“ Dolmetschqualität und den realistischeren Erwartungen, die unter den tatsächlichen Bedingungen angemessen sind, bleiben (Garzone 2003: 24). Sie stellt fest:

      Of course, in professional practice interpreters try to live up to those ideal quality standards, but in general they work in a situation of continuous emergency due to severe time constraints, to cognitive overload (…). Thus, in order to meet the best possible quality standards the interpreter’s behaviour has to incorporate a whole range of emergency procedures: ultimately, the quality of a SI performance is the result of a compromise between abstract standards and the constraints imposed by the real conditions under which it is performed. (Garzone 2003: 24f.)

      Eine produktorientierte Betrachtungsweise der Dolmetschung als „Text“, der sowohl akustische als auch visuelle Elemente enthält und als Ganzes eingebettet in ein Verständnis der Konferenz als Hypertext betrachtet werden sollte, findet sich bei Pöchhacker (1994a, 1994b), der sich für eine sorgfältige Dokumentation nicht nur der Dolmetschung sondern auch der Begleitumstände zur Beurteilung einer „quality under the circumstances“ (Pöchhacker 1994b: 242) ausspricht. Wie Moser-Mercer (1996) und Kalina (2009) sieht er Qualität also nicht als absolute Größe, sondern als von den jeweiligen Bedingungen beeinflusst.

      Viezzi (1996, 1999) stellt ein Qualitätsmodell auf, in dem Qualität als der Erfüllungsgrad der vier Ziele equivalenza, accuratezza, adeguatezza und fruibilità definiert ist (Viezzi 1996: 79). Dabei betont er, dass unter equivalenza (Äquivalenz) nicht eine völlige Übereinstimmung zu verstehen sei, sondern vielmehr die Gleichwertigkeit zweier unterschiedlicher Elemente. Er verortet sie auch nicht auf der rein sprachlichen Ebene, sondern vielmehr im Bereich der kommunikativen Funktion, der soziokommunikativen Werte und der globalen Bedeutung des Textes. Das Ziel der Äquivalenz ist demnach die Produktion eines ZT, der die gleiche kommunikative Wirkung hat wie der AT und der zur Kultur der Zielsprache im gleichen Verhältnis steht wie der AT zur Kultur der Ausgangssprache. (Viezzi 1999: 146f.) Das Ziel der Äquivalenz ist eng mit den anderen drei verbunden: accuratezza (Präzision) bezieht sich auf die sprachliche Ebene, wobei auch hier keine absolute Übereinstimmung postuliert wird, adeguatezza (Angemessenheit) bezieht sich auf notwendige Anpassungen an die Zielkultur sowie das Sprachregister, und fruibilità (Verwertbarkeit) zielt darauf ab, den Zieltext für die RezipientInnen so gut verwertbar bzw. verständlich zu machen wie möglich, wozu neben einer klaren Ausdrucksweise auch prosodische Merkmale wie Intonation, Pausen, Stimmqualität, Häsitationen und Selbstkorrekturen zählen. (Viezzi 1999: 147–150)

      Déjean Le Féal (1990) ist der Meinung, dass eine professionelle Dolmetschung den gleichen kognitiven Inhalt und die gleiche Wirkung auf die ZuhörerInnen haben sollte wie der Ausgangstext:

      What our listeners receive through their earphones should produce the same effect on them as the original speech does on the speaker’s audience. It should have the same cognitive content and be presented with equal clarity and precision in the same type of language. Its language and oratory quality should be at least on the same level as that of the original speech, if not better, given that we are professional communicators, while many speakers are not, and sometimes even have to express themselves in languages other than their own. (Déjean Le Féal 1990: 155)

      Sowohl Déjean Le Féal (1990) als auch Kalina (2009) sprechen sich für den Vergleich der Wirkung auf AT- und ZT-RezipientInnen aus, was in 2.1.3 näher ausgeführt wird.

      Bereits