Redeflüssigkeit und Dolmetschqualität. Sylvi Rennert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sylvi Rennert
Издательство: Bookwire
Серия: Translationswissenschaft
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823301158
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häufig in syntaktischen Positionen (vgl. Ahrens 2004: 186–187, Butcher 1981: 112, Chambers 1997: 539, Schmitz 2008: 19), da in der normalen Sprechplanung physiologische und kognitive Prozesse aufeinander abgestimmt werden können. Da beim Dolmetschen aufgrund der Abhängigkeit von der ProduzentIn des Ausgangstextes (AT) die Planung nicht immer autonom möglich ist, ist dies laut Ahrens (2004: 187) eine mögliche Erklärung für die manchmal nicht-syntaktische Positionierung von Pausen im ZT.

      Die Position entscheidet nicht nur darüber, ab welcher Länge eine Pause als solche wahrgenommen wird, sondern auch darüber, ob sie für die Verarbeitung durch die ZuhörerInnen hilfreich oder störend ist. Pausen können eine kommunikative Wirkung haben, etwa wenn sie die Aufmerksamkeit auf das nachfolgende Wort lenken (vgl. Lindner 1969: 211), und auch rhetorisch wirkungsvoll eingesetzt werden. Pausen zwischen Intonations- bzw. Informationseinheiten grenzen diese voneinander ab und erfüllen somit eine wichtige Funktion bei der Segmentierung des Sprechflusses (vgl. Ahrens 2004: 104f., Goldman-Eisler 1968: 13). Ahrens (2004) unterscheidet daher auch sinnunterstützende und störende Pausen nach ihrer Position:

      Sinnunterstützend sind Pausen, die zum Beispiel am Ende von Phrasen oder Sätzen auftreten. Pausen, die innerhalb einer grammatischen Struktur gemacht werden, in der üblicherweise keine Pausen vorkommen, können dagegen den Verstehensprozess der Zuhörer eher behindern. (Ahrens 2004: 159f.)

      Auch Chambers (1997) weist auf die Bedeutung der Pausenpositionierung hin und stellt fest, dass Pausen zwischen Satzteilen oder nach semantischen Einheiten als natürliche Atempausen akzeptiert werden, während Pausen an anderen Stellen als Zögern interpretiert werden:

      Although listeners accept pauses in their native language, not all pauses are acceptable, hence the differentiation between ‘natural’ and ‘unnatural pauses’. Natural pauses, allowing breathing space, usually occur at some clause junctures or after groups of words forming a semantic unit. Pauses appearing at places other than these are judged as hesitations, revealing either lexical or morphological uncertainty. (Chambers 1997: 539)

      Das Vorhandensein von Pausen allein verringert die Flüssigkeit also nicht; vielmehr ist es die Position, die darüber bestimmt, ob eine Pause als störend und die Flüssigkeit behindernd oder als unterstützend empfunden wird.

      2.2.2.2 Unflüssigkeiten

      Als Unflüssigkeiten können alle Arten von Phänomenen bezeichnet werden, die den Redefluss unterbrechen (vgl. Fox Tree 2003: 983). Während manche AutorInnen auch ungefüllte Pausen zur Kategorie der Unflüssigkeiten zählen, erscheint diese Einteilung für die Zwecke der vorliegenden Arbeit nicht konsequent, da ungefüllte Pausen, wie in Abschnitt 2.2.2.1 beschrieben, verschiedene Funktionen erfüllen können und daher nicht immer als Unflüssigkeit empfunden bzw. bisweilen überhaupt nicht wahrgenommen werden. Gefüllte Pausen hingegen fallen klar in die Kategorie der Unflüssigkeiten, da sie immer eine Unterbrechung des Redeflusses darstellen.

      Gefüllte Pausen sind meist mit Häsitationslauten („ääh“, „hmm“, „ähm“) oder in die Länge gezogenen Lauten gefüllt. Im Gegensatz zur im vorigen Abschnitt erwähnten präpausalen Längung, die als ungefüllte Pause wahrgenommen wird, sind diese Dehnungen als Unflüssigkeiten wahrnehmbar. Diese Phänomene sind typisch für spontane Rede und treten in vorgelesenen Texten kaum auf (vgl. Henderson et al. 1966), da sie ein Anzeichen für spontane Sprachplanungsprozesse sind und meist eingesetzt werden, um Zeit für die Planung der Rede zu gewinnen (vgl. Arnold & Tanenhaus 2011; Clark & Wasow 1998; Hieke 1981). Es gibt Hinweise darauf, dass ZuhörerInnen nach Unflüssigkeiten eher einen neuen oder schwierigen Begriff erwarten als einen bereits genannten, was darauf hindeuten würde, dass wir auch beim Zuhören diese Planungsfunktion zumindest unbewusst erkennen (Arnold & Tanenhaus 2011; Brennan & Schober 2001).

      Ebenfalls zu den Unflüssigkeiten gehören verschiedene Arten von Unterbrechungen. Dazu zählen Wiederholungen, Fehlstarts und Selbstkorrekturen. Zu den ersten gehört das Wiederholen von Wörtern, Silben oder Satzteilen, soweit dies keine rhetorische Funktion erfüllt (Tissi 2000: 114). Fehlstarts entstehen, wenn ein Satz abgebrochen und stattdessen ein neuer angefangen wird, ohne den vorherigen zu korrigieren. Zu den Selbstkorrekturen zählt sowohl die Korrektur von Versprechern als auch von grammatikalischen, strukturellen, inhaltlichen oder stilistischen Fehlern. Manche Planänderungen, bei denen innerhalb eines Satzes die Struktur geändert wird, können ebenfalls zu den Selbstkorrekturen gezählt werden (vgl. Pöchhacker 1994a: 135f., Tissi 2000: 114). Im Gegensatz zu Häsitationslauten und Lautdehnungen dienen diese Arten von Unflüssigkeiten meist nicht der Verzögerung und Sprachplanung, sondern der Korrektur von Fehlern (Selbstkorrekturen) bzw. sind das Ergebnis bewusster oder unbeabsichtigter Planänderungen oder Versprecher (Fehlstarts). Wortwiederholungen können zwei verschiedene Funktionen erfüllen: Sie können einerseits der Verzögerung und damit der Sprachplanung dienen, andererseits kann die Wiederholung des letzten vor einer Pause geäußerten Wortes der Anknüpfung an das zuvor Gesagte dienen. (vgl. Hieke 1981: 152ff.)

      2.2.2.3 Sprechgeschwindigkeit

      Auch bei der Sprechgeschwindigkeit herrscht keine Einigkeit darüber, wie sie zu messen sei. Sie wird häufig in Silben pro Zeiteinheit gemessen (vgl. Goldman-Eisler 1958: 61, Möhle 1984: 27), was gegenüber der Messung in Wörtern pro Zeiteinheit vor allem bei sprachübergreifenden Untersuchungen den Vorteil hat, dass es den Vergleich verschiedener Sprachen unter Berücksichtigung ihrer strukturellen und morphosyntaktischen Unterschiede ermöglicht und somit eine objektivere Messgröße darstellt (vgl. Ahrens 2004: 141, Pöchhacker 1994a: 131f.). Pfitzinger (2001) plädiert allerdings für eine differenziertere Messung und weist darauf hin, dass Wort-, Silben- und Phonrate sich voneinander unterscheiden (Pfitzinger 2001: 129):

      Zweifellos werden hohe Sprechgeschwindigkeiten vorwiegend von überdurchschnitt­lichen Wort-, Silben- und Phonraten begleitet und niedrige Sprechgeschwindigkeiten eher von unterdurchschnittlichen Raten. Diese oft beobachtete Kovariation führte in der phonetischen Forschung zu der weit verbreiteten Praxis, Sprechgeschwindigkeit durch eine beliebige dieser drei Raten zu kennzeichnen. (Pfitzinger 2001: 123)

      Unabhängig davon, welche sprachliche Einheit verwendet wird, wird in der Literatur häufig zwischen Sprechrate und Artikulationsrate unterschieden. Die Sprechrate ist die durchschnittliche Anzahl von Einheiten pro Minute (oder Sekunde) der Gesamtzeit inklusive Pausen, während für die Artikulationsrate nur die reine Redezeit, also abzüglich der ungefüllten Pausen aber einschließlich Häsitationen und gefüllter Pausen, berücksichtigt wird (vgl. Ahrens 2004: 101, Goldman-Eisler 1958: 61, Laver 1994: 539, Möhle 1984: 27). Diese Unterschei­dung ist notwendig, weil in Reden mit vielen Pausen zwar die Sprechrate niedrig ist, die Abschnitte zwischen den Pausen aber dennoch sehr schnell artikuliert sein können (vgl. Ahrens 2004: 101). Dies macht die Artikulationsrate gerade auch in der Dolmetschforschung zu einem wichtigen Analysewerkzeug, da es bei Simultandolmetschungen durch das Warten auf den Ausgangstext zu längeren Pausen, gefolgt von dichten, schnellen Redeabschnitten, kommen kann (vgl. Goldman-Eisler 1972: 128f., Kurz & Pöchhacker 1995: 355). Für diese unterschiedlichen Geschwindigkeiten eignet sich für die Analyse die Unterscheidung in globale und lokale Sprechgeschwindigkeit: Die globale Sprechgeschwindigkeit (in Einheiten pro Sekunde) wird als Durchschnitt der gesamten Rede berechnet, während die lokale Sprechgeschwindigkeit in gleichmäßigen Abständen über den ganzen Text gemessen wird, um so eine Sprechgeschwindigkeitskurve zu ermitteln (vgl. Pfitzinger 2001: 13).

      Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass die gemessene Geschwindigkeit nicht unbedingt mit der wahrgenommenen überstimmt. So stellte Pfitzinger (2001: 203ff.) in einer Reihe von Experimenten fest, dass sowohl die lokale Silben- als auch Phonrate nur schlecht dazu geeignet sind, die wahrgenommene Sprechgeschwindigkeit vorherzusagen. Die genaue Kombination von akustischen Merkmalen, die die wahrgenommene Sprechgeschwindigkeit (perzibierte lokale Sprechgeschwindigkeit) bestimmen, ist noch unbekannt (vgl. Pfitzinger 2001: 218ff.).

      Einige AutorInnen verwenden auch die Länge von Redeabschnitten (in Silben oder Wörtern) zwischen zwei Pausen als weitere Variable zur Bestimmung der Flüssigkeit (vgl. Lennon 1990: 404, Möhle 1984: 27). Für die vorliegende Arbeit erscheint dieser Parameter für sich genommen allerdings nicht sinnvoll, da der