. . Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор:
Издательство:
Серия:
Жанр произведения:
Год издания:
isbn:
Скачать книгу
of my acquaintance in London; that a young healthy Child, well nursed, is, at a Year old, a most delicious, nourishing, and wholesome Food; whether Stewed, Roasted, Baked, or Boiled; and I make no doubt that it will equally serve in a Fricasie, or a Ragout. (232)

      En passant14 bedient der Passus den komplexen Topos des amerikanischen (bzw. karibischen) KannibalismusKannibalismus, in welchem sich koloniale Praktiken und Topographien des othering verdichten.15 Postkolonial informierte Analysen der letzten Dekaden haben deutlich gemacht, dass der Topos des Kannibalismus den kolonialen ‚Anderen‘ diffamieren und damit entmenschlichen soll.16 Überzeugende Beweise für eine tatsächliche Praxis der Anthropophagie sind (wenn sie denn nicht gänzlich fehlen) dabei jedoch zumeist offensichtlich konstruiert, von den Erwartungen der Beobachter prädeterminiert, oder von unsicherer und äußerst vager Natur.17 So wurde die Lesart entwickelt, dass die Zuschreibung des ‚Kannibalismus‘ die Projektion des zutiefst europäischen Begehrens ist, das zu kolonisierende Gegenüber zu ‚verspeisen‘, und das heißt: auszubeuten. Der Kannibalismus ist so auf der Seite der Kolonialmächte zu verorten.18

      Noch ein zusätzliches Mal wird der Bezug auf den amerikanischen KannibalismusKannibalismus im Text aktualisiert,19 diesmal mittels detaillierter Beschreibungen von kindlichem Menschenfleisch, die wiederum von der Expertise der amerikanischen Bekanntschaft herrühren:

      For as to the Males [die männlichen Kinder, die verspeist werden sollen; T.E.], my American Acquaintance assured from frequent Experience, that their Flesh was generally tough and lean, like that of our School-boys, by continual Exercise; and their Taste disagreeable; and to fatten them would not answer the Charge. (234)

      In der Bezugnahme des Proposal auf diesen Topos hebt der Text die irische Situation aus dem bilateralen Kontext heraus und verweist auf die interkontinentale Konstellation zwischen Europa und Amerika. Vor diesem Hintergrund wiederum erscheint IrlandIrland (im kolonialen Kontext) umso deutlicher als Kolonie Englands, d.h. als eine Kolonie unter vielen, zu denen, nicht zuletzt, auch die in Amerika gehören.20 Weiter illustriert dieses Verfahren eine zentrale Waffe Swift’scher Wahl, um die hegemonialen Praktiken des Kolonialismus literarisch zu beleuchten: Ein durch explizite Körperlichkeit geprägter Topos (sein Sprachmaterial, d.h. seine Metaphern, Intertexte etc.) wird genutzt, um eine beschriebene Situation aus ihrem lokalen Kontext herauszuheben und in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Dieser ‚größere Zusammenhang‘ ist hier der koloniale, der neben Irland auch die anderen kolonialen Beziehungen Englands einschließt. Die in körperliche Bilder gefasste Grausamkeit des importierten schemes unterstreicht darüber hinaus die kolonialen Prozessen inhärente Gewalt.

      Dass der Bezug des Proposal über eine bilaterale Konstellation hinausgeht, zeigt sich auch an anderer Stelle im Text, die sich zweier Figuren der GanzheitGanzheit (FdG) bedient. So nimmt der Text als Adressat seines Vorschlags nicht etwa nur die lokale Öffentlichkeit an, sondern richtet sich an nichts weniger als „die Welt“:

      I CAN think of no one Objection, that will possibly be raised against this Proposal; unless it should be urged, that the Number of People will be thereby much lessened in the Kingdom. This I freely own; and it was indeed one principal Design in offering it to the World. I desire the Reader will observe, that I calculate my Remedy for this one individual Kingdom of IRELAND, and for no other that ever was, is, or, I think, ever can be upon Earth. (237)

      Die FdG ‚world‘ steht hier ein für das Publikum, das das Proposal lesen soll. Als Text eines spezifisch ‚irischen-englischen‘ Genres richtet er sich so mit dem Adressaten „Welt“ an ein ausgesprochen großes Publikum. Doch trägt diese Hyperbel nicht nur zum allgemein-ironischen Ton der Passage (und des gesamten Textes) bei. Denn die FdG ‚world‘ kann darüber hinaus auch als Verweis auf den deutlich größeren, kolonialen Zusammenhang verstanden werden. Wenn die FdG ‚world‘ hier also nicht auf die Bedeutung eines ‚zu großen‘ Publikums reduziert, sondern als Bezugnahme auf GanzheitGanzheit ernst genommen wird, so tritt die Öffnung des Textes auf eine größere Ganzheit hin, die der Kannibalen-Topos bewirkt und vorbereitet, noch einmal deutlicher hervor. Das Proposal beschreibt eine interkontinentale Konstellation und richtet sich somit an die koloniale Ganzheit seiner Zeit.

      Die hyperbolische Formulierung einer allumfassenden Zeitlichkeit, die im Passus durch den Satzteil „ever was, is, or I think, ever can be“ evoziert wird, sowie der explizit aufgerufene Raum der gesamten „Earth“ verweist ebenfalls auf eine denkbar große (zeitliche und räumliche) Extension. Dieser Bezug auf GanzheitGanzheit lässt deutlich werden, dass der Sonderstatus Irlands, den der Text auf den ersten Blick behauptet, nicht ernsthaft behauptet werden soll; IrlandIrland (im kolonialen Kontext) ist mitnichten die einzige Kolonie Englands. Das „I think“ betont zusätzlich die Ironie des Gesagten und untergräbt so den vermeintlichen Einzelstatus Irlands noch weiter.

      Was sich hier erkennen lässt, ist ein Verfahren des Textes, koloniale Ausbeutungsverhältnisse körperlich grausam in Szene zu setzen und diese ‚Szenen‘ dann in ein enges Verhältnis zu FdG zu setzen. Ausgehend von diesen Beobachtungen zum Proposal soll im Folgenden für Gulliver’s Travels die folgende Struktur beschrieben werden: das Herausheben lokaler oder vermeintlich bilateraler Ereignisse in einen größeren Kontext über das Mittel des Bezuges auf literarisch inszenierte Körper – ein Verfahren, das enggeführt wird mit einer intensiven Reflektion auf größere Zusammenhänge, evoziert durch FdG.

      2.2 Hinführung: Ganzheit in den vier Teilen der Travels

      In allen vier Büchern der Travels1 lässt sich ein konstanter Bezug auf GanzheitGanzheit nachweisen. Wie bereits beschrieben wurde, lässt sich dabei eine Struktur im Text isolieren, in der wiederholt scheinbar kleinteilig-lokales, über die Verschränkung der Inszenierung von Körpern mit der Arbeit an FdG, in ein Verhältnis mit größeren Ganzheiten gesetzt wird. So arbeitet der Text aktiv an verschiedenen Vorstellungen von Ganzheit.

      Die im Text inszenierte/n GanzheitGanzheit/en erscheint/erscheinen dabei im Spannungsfeld zwischen EinsheitEinsheit (Unicity) einerseits und AsymmetrieAsymmetrie (des Welt-Systems) andererseits. Der Aspekt der Asymmetrie umfasst dabei vor allem koloniale Zusammenhänge im Allgemeinen und den atlantischen SklavenhandelSklavenhandel im Besonderen.2 Der Aspekt der Einsheit tritt im Text weniger prominent hervor und ist in der Regel an die Darstellung kolonialer Zusammenhänge gekoppelt.

      Neben der beschriebenen Struktur ist die Parodie von ReiseliteraturReiseliteratur das Hauptmittel des Textes zur Arbeit an GanzheitGanzheit.3 Diese Genre-Parodie äußert sich vor allem in der Thematisierung von KartografieKartografie (und das umfasst ihr Wissen, ihre Medien und Techniken)4 sowie der Beschreibung von Menschen und/oder Wesen (‚Anderen‘), die auf den Reisen angetroffen werden. Beide Themenkomplexe sind ein fester Bestandteil der Reiseliteratur dieser Zeit und werden von den Travels intertextuell aufgegriffen. Innerhalb dieser Parodie, welche sich als durchgängige Makrostruktur des Textes beschreiben lässt, kann wiederum der Topos der Verschränkung inszenierter Körper mit der Arbeit an FdG isoliert werden; der hier vorgestellte Topos ist der Parodie von Reiseliteratur also strukturell untergeordnet. So soll das Wissen, das aus Untersuchungen zum Verhältnis zwischen dem Genre der Reiseliteratur und den Travels bereits vorliegt, um einen entscheidenden Aspekt erweitert werden, insofern deutlich gemacht werden soll, dass sich die Travels nicht nur um die Darstellung ferner Regionen der Erde und deren Bewohner drehen, sondern auch um die Frage, wie die Ganzheit, in der all diese Elemente enthalten sind, zu denken ist.

      Ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis der Travels zeigt einen vierteiligen Text, wobei die ersten beiden Teile jeweils acht Kapitel umfassen. Auch die Textmenge der ersten beiden Teile ist ähnlich. Die Teile III und IV dagegen umfassen einmal elf und einmal zwölf Kapitel. Auf die ersten beiden kürzeren Teile der Travels folgen also zwei längere Teile. Äußerlich betrachtet handelt es sich um einen streng strukturierten Text.

      Fragt man hingegen nach der inhaltlichen Kontinuität zwischen den Textteilen, so ist der Befund weniger eindeutig. Hier wurde gehäuft darauf hingewiesen, dass die Teile I und II eine starke inhaltliche Kohärenz aufweisen, insofern die dort dargestellte Vergrößerung und Verkleinerung der dargestellten