Sag mir, was du wirklich meinst. Oren Jay Sofer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oren Jay Sofer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783867813693
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Interaktion kann unser Nervensystem aktivieren und uns nervös machen.8

       Wir neigen dazu, unsere Aufmerksamkeit entweder nach außen zu richten, auf die andere Person, oder nach innen, auf unsere Gedanken – und so das Gefühl für die Bezogenheit und die Verbindung zu verlieren.

       Wir sind nicht geübt, im Gespräch präsent zu bleiben.

      Bei Primaten kann Blickkontakt ein Ausdruck von Aggression sein. Und auch in uns Menschen wirkt noch immer und trotz der Größe unseres Gehirns diese alte Konditionierung, wenn wir einem anderen ins Angesicht schauen. In Sekundenschnelle schätzt unsere Biologie ein, ob wir in Sicherheit sind: »Ist das ein Freund, ein Feind oder ein potenzieller Partner?«

      Obwohl diese Konditionierung meist unterhalb der Bewusstseinsschwelle wirkt, spielt sie doch zu Beginn der meisten Interaktionen eine gewisse Rolle. Wenn wir unsere Kommunikationsmuster transformieren wollen, so gehört dazu auch, dass wir diese grundlegende Verunsicherung in unserem Nervensystem erkennen und wissen, wie wir uns erden und beruhigen können. (In Kapitel 3 werde ich Ihnen einige Methoden vorstellen, die das begünstigen.)

      Menschliche Stimme, Atem und Identität

      Ein weiterer Grund, warum Kommunikation ein solch heikles Terrain ist, hat damit zu tun, wie sich unser Hören entwickelt hat. Unsere Ohren sind auf eine sehr spezifische Bandbreite an Klängen eingestellt und reagieren besonders sensibel auf einen engen Frequenzbereich: die menschliche Stimme. (Die Ohren vieler Tiere sind ebenfalls auf einen bestimmten Klangbereich eingestellt. Die Gesänge der Wale in den Meeren oder das tiefe Grummeln von Elefanten finden in Frequenzen statt, die für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sind.) Kennen Sie das: Sie hören, wie jemand in lautes Gelächter oder auch in Schluchzen ausbricht, und verspüren einen unbestimmten, aber heftigen Drang herauszufinden, was los ist? Oder waren Sie schon einmal vom Geheul einer Herde Kojoten irritiert, das der menschlichen Stimme so ähnlich ist, dass man es kaum unterscheiden kann?

      Der physiologische Vorgang des Sprechens trägt seinerseits dazu bei, dass Worte so aufgeladen sein können. Wir Menschen erzeugen Sprache, indem wir einen Luftstrom über den Kehlkopf und die Stimmbänder lenken. Unsere Worte werden auf einer Atemwelle getragen, demselben Atem, der die Zellen unseres Körpers mit Sauerstoff versorgt, vom Moment unserer Geburt bis zum Augenblick unseres Todes. Lassen Sie das einen Moment auf sich wirken: Wir nutzen denselben physiologischen Vorgang zum Sprechen wie zum Aufrechterhalten unserer Lebensenergie.

      Es geht sogar noch weiter. Unser Atem (und damit unser Sprechen) steht mit dem Nervensystem in einer engen wechselseitigen Beziehung: Verändert sich etwas auf der einen Seite, wirkt sich das auch auf die andere aus. Wenn wir aufgeregt, ängstlich oder aggressiv sind (verschiedene Arten sympathischer Aktivierung), beschleunigt der Atem. Sind wir entspannt, ruhig oder fühlen uns wohl (verschiedene Arten parasympathischer Deaktivierung), wird unser Atem langsamer und tiefer.

      All das ist für unser Training in achtsamer Kommunikation bedeutsam. Wenn wir die Beziehung zwischen unserem Atem, unseren Worten und unserem mental-emotionalen Zustand verstehen, können wir unsere Erfahrung und unseren Selbstausdruck besser steuern. An einigen Stellen in unserer Erkundung werde ich Anregungen geben, wie Sie das bewusste Atmen dazu nutzen können, die Aufmerksamkeit eines Zuhörers zu halten, mit intensiven Gefühlen umzugehen und in angespannten Situationen inneren Halt zu finden.

      Auf dieser Physiologie beruht die komplexe Verbindung zwischen dem Atem, der Stimme und unserem Identitätsgefühl. Unsere Stimme ist einer der intimsten und persönlichsten Aspekte unserer selbst. Für die meisten Menschen ist sie das wichtigste Ausdrucksmittel, eine Art akustische Unterschrift, an der man uns erkennen kann. Von all den Dingen, die sich im Laufe des Lebens wandeln – unser alternder Körper, unser verwitterndes, faltiges Gesicht –, ist es ab dem Erwachsenenalter die Stimme, die sich am wenigsten und am langsamsten verändert. Das Gefühl dafür, wer wir sind, hängt oft sehr eng mit unserer Stimme zusammen.

      Überlegen Sie einmal, womit andere uns außer unserer Stimme typischerweise noch identifizieren: Eines der wichtigsten Erkennungsmerkmale ist der Vorname – ein Wort, das repräsentiert, wer ich bin. In Konflikten sind es oft die Angriffe auf unsere Identität oder unser Selbstbild, die uns besonders treffen und mit denen wir nicht gut umgehen können.

      Zusätzlich zu diesen tief verwurzelten physiologischen und psychologischen Komponenten der Kommunikation spielen auch Gefühle, soziale Schicht, Kultur und weitere verborgene Variablen eine Rolle bei den so alltäglichen Aktivitäten des Sprechens und Zuhörens. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie viele Ebenen ein einfaches Gespräch hat, ist es kein Wunder, dass Kommunikation uns so nahegeht.

      Ein multidimensionales, ganzheitliches Erleben

      Menschliche Kommunikation ist mehr als der bloße Austausch von Worten. Es ist ein multidimensionales, verkörpertes, lebendiges Erleben, das unser gesamtes Sein umfasst: unsere Gefühle, Gedanken, Erinnerungen und unsere Geschichte. Es ist zugleich verbal, mental, emotional und somatisch.

      Zur Kommunikation gehört die Art und Weise, auf die wir unsere Stimme gebrauchen – Tonfall, Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit. Sie umfasst Körpersprache und Berührung. Wir kommunizieren auch durch unser Schweigen: durch das, was wir nicht sagen, oder durch die Pause zwischen den Worten. Sie umfasst unseren inneren Dialog: wie wir denken und mit uns selbst sprechen. Selbst unsere soziale Konditio­nierung und Kulturgeschichte sind in unseren Interaktionen präsent.

      In der Kommunikation gibt es auch ein tief verwurzeltes somatisches Element: die Vibration der Worte und die Physikalität des subjektiven Erlebens. Kommunikation ist dynamisch und permanenter Veränderung unterworfen. Kommunikation erfordert, dass wir uns auf unsere innere und äußere Welt einstimmen und uns ständig neu auf den gegenwärtigen Moment einstellen.

      Kommunikation ist ganzheitlich; sie überschreitet alle Grenzen in unserem Leben. Wir mögen unsere Zeit einteilen, unser Leben in private, soziale und berufliche Bereiche untergliedern, aber diese Unterscheidungen sind relativ. Wir haben nur ein einziges Leben. Die verschiedenen Rollen, die wir spielen – Elternteil, Kind, Freund, Lehrerin, Schüler, Angestellte –, sind miteinander verbundene Facetten eines einzigen, ganzen Menschen. Wir mögen in verschiedenen Situationen unterschiedlich sprechen oder handeln, aber die grundlegenden Programme, die dabei ablaufen, sind doch dieselben.

      Wir können diese ganzheitliche Natur zu unserem Vorteil nutzen; Veränderungen in einem Bereich können sich auf die anderen Kontexte unseres Lebens übertragen. Viele meiner Workshop-Teilnehmer haben bei ganz einfachen Übungen bedeutsame Einsichten in grundlegende Muster in ihrem Leben. Bei einem Retreat wurde beispielsweise einer Frau in einer Übung zum Innehalten klar, wie sehr ihr Sprechen von einer subtilen Angst angetrieben war. Das Innehalten half ihr, ihre Worte sorgfältiger auszuwählen und sich nach ihren Beweggründen zu fragen.

      Wenn wir neue Kommunikationsweisen erlernen, haben wir es mit diesem ganzen tiefgründigen, vielschichtigen