Sag mir, was du wirklich meinst. Oren Jay Sofer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Oren Jay Sofer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783867813693
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dem Abendessen oft mit meinem Fahrrad durch unsere Gegend in einem Vorort in New Jersey, sprang über Bordsteine und düste unter alten Eichen und Ahornbäumen auf dem Gehweg dahin.

      Zu lernen, achtsam zu kommunizieren, hat auch mit dem Fahrradfahren einiges gemeinsam. Es dauert seine Zeit. Am Anfang, während man noch das Gleichgewicht sucht, sind Stützräder hilfreich. Jemanden zu haben, der einen ermutigt, ist meist sicherer, und es macht mehr Spaß. Und wenn man die Stützräder dann abnimmt, sollte man darauf gefasst sein, ein paar Kratzer abzukriegen und sich die Knie oder Ellbogen aufzuschürfen. Aber wenn man es erst einmal gelernt hat, vergisst man es nie wieder. Man kann große Distanzen überwinden, und es lohnt sich schon allein wegen der Aufregung und der Freude, unterwegs zu sein.

      1 Nhat Hanh, Thich: Das Herz von Buddhas Lehre. Leiden verwandeln – die Praxis des glücklichen Lebens, Freiburg: Herder 1999, S. 87 (orig. The Heart of the Buddha’s Teaching: Transforming Suffering into Peace, Joy and Liberation, New York: Harmony Books 1998, S. 84).

      2 In diesem Buch verwende ich immer wieder das Wort »Dialog« als Synonym für »Gespräch« sowie die Begriffe »wahrer Dialog« oder »echter Dialog«, wenn ich die transformative Art von Gespräch meine, auf die Lochhead und andere hingewiesen haben. Wenn die Atmosphäre für solch eine Begegnung nicht gegeben ist, können wir auf unsere innere Haltung zurückgreifen, um günstigere Umstände zu fördern. Die Autorin und Gewaltfreie-Kommunikation-Trainerin Miki Kashtan bezeichnet dies als die »Disziplin des Dialogs«, eine Ausrichtung auf Kooperation, die »in ihrem Herzen in dem Commitment besteht, ein Ziel anzustreben, das wirklich für jeden gut ist, selbst wenn die anderen bloß an ihre eigenen Interessen denken«. Siehe Lochhead, David: The Dialogical Imperative: A Christian Reflection on Interfaith Encounter, Eugene, OR: Wipf and Stock 1988, S. 51; Kashtan, Miki: Spinning Threads of Radical Aliveness: Transcending the Legacy of Separation in Our Individual Lives, Oakland, CA: Fearless Heart Publications 2014, S. 319.

      3 Rosenberg, Marshall B.: Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens, Paderborn: Junfermann, 12., überarbeitete und erweiterte Auflage 2016 (2001) (orig. Nonviolent Communication. A Language of Life, Encinitas, CA: PuddleDancer Press, 3rd Edition 2015 [1999]).

      4 Rosenberg, Marshall B., zitiert nach Teilnehmern einer Sitzung während eines Workshops über GfK und sozialen Wandel, Schweiz, Juni 2005.

      5 Siehe die Definition im Glossar. Ein Bürger der Vereinigten Staaten zu sein bringt beispielsweise in den USA wie auch in vielen anderen Ländern der Welt bestimmte Privilegien mit sich. Weiß, männlich, gebildet oder körperlich unversehrt und so weiter zu sein hat in unserer derzeitigen Gesellschaft ebenfalls bestimmte Vorteile. Vgl. McIntosh, Peggy: »White Privilege: Unpacking the Invisible Knapsack«, National SEED Project, 1989, https://nationalseedproject.org/Key-SEED-Texts/white-privilege-unpacking-the-invisible-knapsack, abgerufen am 19. 3. 2021; Kasthan, Miki: »You’re Not a Bad Person: How Facing Privilege Can Be Liberating«, The Fearless Heart, 26. 11. 2016, http://thefearlessheart.org/youre-not-a-bad-person-how-facing-privilege-can-be-liberating, abgerufen am 15. 3. 2021. Zu den Themen »Privilegien und Macht im Kontext der Gewaltfreien Kommunikation« vgl. Manning, Roxy, und Skinner, Janey: »NVC – Changing Consciousness, Relationships & Systems«, BayNVC, http://baynvc.org/nvc-changing-consciousness/, abgerufen am 12. 4. 2018.

      Teil I

      Der erste Schritt

      Mit Präsenz beginnen

      Gelingende Kommunikation beruht auf unserer Fähigkeit, präsent zu sein. Offenes und ehrliches Sprechen, tiefes Zuhören und das Navigieren durch die unvermeidlichen Drehungen und Wendungen eines Gesprächs erfordern ein hohes Maß an Selbstgewahrsein. Um zu sagen, was wir meinen, müssen wir zuerst einmal wissen, was wir meinen. Und um zu wissen, was wir meinen, müssen wir nach innen lauschen und herausfinden, was unsere Wahrheit ist.

      Der erste Schritt der achtsamen Kommunikation besteht darin, mit Präsenz zu beginnen, also möglichst voll und ganz da zu sein. Wenn wir nicht da sind, sind wir wahrscheinlich im Autopilotmodus. Und in diesem Modus ist es weniger wahrscheinlich, dass wir uns an die Methoden erinnern, die wir gelernt haben, aus unseren besten Intentionen heraus sprechen und Zugang zu unserer Weisheit haben.

      Mit Präsenz zu beginnen ist eine tiefe Praxis mit vielen Dimensionen. In Teil I erkunden wir diese erste Grundlage gelingender Kommunikation: unsere Fähigkeit, präsent zu sein. Wir betrachten die Natur der menschlichen Kommunikation, welche zentrale Rolle sie in unserem Leben einnimmt und welche Möglichkeiten wir haben, in uns selbst und in Gesprächen bewusster zu werden.

       1

      Das Zentrum unseres Lebens

      »Sprache ist sehr mächtig. Sprache beschreibt die Realität nicht nur. Sprache erschafft die Realität, die sie beschreibt.«

      Desmond Tutu

      Wir kommen auf diese Welt verletzlich, vollkommen abhängig und bestens darauf vorbereitet, sprechen zu lernen. Von dem Moment unserer Geburt an steht Kommunikation im Zentrum unseres Lebens.

      Ein Menschenkind wird mit dem Potenzial geboren, jede der rund siebentausend Sprachen auf dieser Welt zu lernen. In den ersten Wochen und Monaten haben wir jedoch nur zwei Mittel zur Verfügung, um unsere Bedürfnisse auszudrücken: Weinen und Lächeln. Das ist die Ausgangsbasis für unsere Gehirnentwicklung. Die Neuronen sind darauf angelegt, die menschliche Sprache nach Rhythmus, Klang, Ton und Lautstärke zu unterscheiden. Und in diesem frühen Alter lernen wir sehr schnell – unabhängig davon, in welche Sprache die Umstände (oder das Schicksal) uns hineinfallen lassen.

      Mittels dieses Systems aus Klängen, Worten und Grammatik lernen wir, unsere Gefühle auszudrücken, um das zu bitten, was wir brauchen, und das zu bekommen, was wir wollen. Schließlich, wenn alles gut läuft, lernen wir, zu lesen und komplexere soziale Signale einzusetzen; wir lernen Metaphern, Idiome und Humor. Und all dies lernen wir durch Zuhören, Nachfragen, Beobachten und Wiederholen.

      Wenn wir mithilfe der Sprache unseren Platz in der Menschenfamilie einnehmen, greifen wir ganz natürlich jene Kommunikationsmuster auf, die nun mal in unserer jeweiligen Herkunftsfamilie, ethnischen Gruppe, sozialen Schicht, Geschlechtszugehörigkeit, Gesellschaft und dominanten Kultur vorherrschen. Manche von uns lernen, dass es nicht sicher ist, Bedürfnisse auszudrücken, und versuchen dann zu bekommen, was sie brauchen, indem sie sich um andere kümmern. Andere lernen, gewaltsam zu bekommen, was sie wollen; also setzen sie sich durch und versuchen, als die Stärksten oder Klügsten dazustehen. Wieder andere lernen, dass ihre Bedürfnisse von der Gesellschaft nicht geschätzt werden, und werden dann innerlich hart und schneiden sich von ihrer Verletzlichkeit ab. Und manchmal lernen wir zum Glück auch, dass es Raum gibt, um das zu bitten, was wir brauchen, und dabei mit den anderen in Verbindung zu bleiben und gemeinsam eine Lösung zu finden.

      Die meisten Menschen vereinen mehrere dieser Strategien, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen, doch egal, was wir gelernt haben, wir alle haben eine Kommunikationsschulung durchlaufen, wenn auch zumeist eine unbewusste. Der Kontext unseres sozialen Umfeldes und kulturellen Milieus bestimmt den Rahmen und prägt unsere Überzeugungen, und unsere Lebenserfahrung bestätigt und verstärkt diese. Zumindest geschieht dies so lange, bis etwas in unserem Inneren wach wird und sagt: »Das geht so einfach nicht!« Diese Erkenntnis mag durch eine gescheiterte Beziehung oder eine schwierige Ehe befördert werden, durch einen Streit, der in dem Verlust einer Freundschaft endet, oder durch ständige Kommunikationsprobleme bei der Arbeit, durch das Ringen ums Überleben in einem System, das nicht darauf angelegt ist, unsere menschlichen Bedürfnisse zu erfüllen, durch die missliche Lage unserer Welt – oder einfach dadurch, dass wir die Tyrannei der Stimme