Im Eissturm der Amsel. Kerstin Groeper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kerstin Groeper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783941485976
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wollte her, ehe es zu sumpfig wird. In den nächsten Tagen werden wohl die Apsalooke, also diese Crow-Indianer, zum Handeln kommen.“

      „Wir hatten hier schon viele Apsalooke. Sie sind gute Geschäftspartner und nicht so blutrünstig wie die Pekuni.“

      „Ich habe ihre Dörfer in den Bergen gefunden. Ihr Häuptling hat gesagt, dass sie zum Handeln kommen würden.“

      Menard nickte zufrieden. „Dann wird es doch noch ein gutes Geschäft!“

      Die Männer packten mit an und brachten die Bündel in einer Hütte unter. Kurze Zeit später saßen sie im großen Handelsraum und lauschten den Erzählungen des Trappers. Colter war für seine Lügengeschichten bekannt – er hatte vor zwei Wintern eine monatelange Exkursion in die Berge gemacht und kam mit den tollsten Geschichten zurück. Er hatte sogar Geysire und warme Quellen entdeckt und sprach von einem Gebiet mit Vulkanen. Die Männer wollten ihm das einfach nicht glauben und nannten es „Colters Hölle“. Der Trapper war bereits bei der Expedition von Lewis und Clark als Soldat dabeigewesen und hatte anschließend um seinen Abschied gebeten, um als Fallensteller an den Yellowstone zurückzukehren. Seine Kenntnisse waren überaus wertvoll für alle weiteren Expeditionen. Er kannte die besten Jagdgründe und die geeigneten Orte für mögliche Handelsposten. Auch Manuel Lisa setzte auf ihn und hatte ihn mit dem Aufsuchen der Stämme beauftragt, was manchmal nicht so friedlich verlief.

      „Hattest du sonst noch Begegnungen mit Indianern?“, erkundigte sich Menard mit einem Stirnrunzeln.

      „Jede Menge! Ich war mit den Apsalooke, aber auch mit den Flathead unterwegs, die uns sehr gewogen sind. Sie erhoffen sich natürlich, dass wir mit ihnen auch Waffen tauschen. Die Blackfeet setzen denen ganz schön zu!“

      Menard grunzte. „Uns auch!“

      „Habe ich schon gehört!“ Colter zuckte traurig mit den Schultern. „Ich war dabei, als Hunderte von Blackfeet gegen Apsalooke und Flathead gezogen sind. Und ich mittendrin. Jetzt glauben sie natürlich, dass wir mit den Apsalooke und Flathead verbündet sind … das ist Mist! Aber ich konnte es nicht ändern.“

      „Deswegen haben sie vermutlich unser Fort angegriffen!“, vermutete Menard unglücklich. „Den Handel mit den Pekuni-Blackfeet können wir vergessen.“

      Colter nickte. „Wobei sie grundsätzlich nicht wollen, dass wir in ihren Jagdgründen jagen! Habe ich am eigenen Leib erfahren!“ Er verstummte, als er sich an den Herbst erinnerte, in dem sein Freund Potts umgekommen war und er selbst nur knapp diesen Indianern entkommen war. Halbnackt, nur mit einer Decke bekleidet, hatte er sich 500 Kilometer durch feindliches Gebiet geschleppt, eher er wieder hier im Fort eingetroffen war. Die Blackfeet hatten ihn erwischt und um sein Leben rennen lassen. Sein Freund hatte nicht so viel Glück gehabt. Er hatte sich geweigert, das Kanu an Land zu setzen, und stattdessen einen Blackfoot getötet. Daraufhin hatten sie ihn an Land gezerrt und zerstückelt. Colter hatte es nur geschafft, weil er sich in der Nacht in einen Biberbau versteckt hatte und am nächsten Tag in die Berge geflohen war. Niemand glaubte ihm die Geschichte, denn sie klang genauso abenteuerlich wie die Beschreibungen von Geysiren und Vulkanen.

      „Hast du deine Fallen wiedergefunden?“, fragte Pierre neugierig. Colter hatte sie im Herbst einfach versenkt, als die Blackfeet ihn angegriffen hatten.

      Colter schüttelte den Kopf. „Nein! Sie haben mich fast erwischt, als ich sie bergen wollte. Bin denen wieder nur mit knapper Not entkommen!“

      „Aha, war wieder der ganze Stamm hinter dir her?“ In Pierres Stimme lag ein Hauch von Unglauben.

      „Sozusagen!“ Colter zuckte mit den Schultern. Jedermann konnte glauben, was ihm beliebte. „Im Winter sollten wir den Yellowstone entlang in die Berge. Dort liegt das wahre Geld! Biber, so viele, dass ihr euch das gar nicht vorstellen könnt!“

      Einige Männer murmelten zustimmend. Selbst, wenn sie einige Geschichten nicht ganz glauben konnten, wussten sie, dass Colter ein guter Trapper war. Der Koch legte sein runzliges Gesicht in noch mehr Runzeln, als er Colter ein wenig neckte. „Na, hast du wieder in deinen warmen Quellen gebadet?“

      Colter grinste breit und nahm erst einmal einen Schluck Tee. Whiskey wäre ihm lieber gewesen, aber der war leider aus. Es wurde Zeit, dass der Nachschub eintraf. „Klar!“, bestätigte er.

      „Klar! Ich habe mir die Knochen gewärmt. Ich sage euch: Nichts ist besser als ein heißes Bad!“

      Die Männer grölten vor Unglauben und forderten ihn auf, noch mehr solcher Geschichten zu erzählen. „Hast du auch Zwerge und Drachen gesehen?“

      Colter drohte ihnen mit erhobenem Zeigefinger. „Lacht ihr nur! Ich habe tatsächlich Spuren eines Wilden Mannes gesehen! Eines übergroßen Menschen! Die Indianer erzählen, dass er völlig behaart ist, aber ansonsten wie ein riesiger Mensch aussieht.“ Er zeigte mit den Händen an, wie groß die Spuren waren, die er angeblich gesehen hatte. „So groß waren die Fußabdrücke!“

      Die Männer schüttelten die Köpfe über so viel Unsinn. Doch Colter verteidigte seine Behauptung. „Doch! Ich habe sie wirklich gesehen! Sie kamen aus dem Wald, und ich verfolgte die Spur eine Weile, bis ich sie an einer Steilwand wieder verloren habe. Es waren riesige Abdrücke eines Fußes.“

      „So ein Blödsinn! Das war sicherlich ein Grizzly!“, wandte Pierre ein.

      Colter maß ihn mit einem festen Blick. „Ich kann ganz sicher eine Grizzlyspur von einer anderen Spur unterscheiden, mon ami! Es war eher ein Abdruck eines großen breiten Fußes.“

      „Ein Affe?“, überlegte Menard. „Aber ich habe noch nie gehört, dass es hier Affen gibt.“

      Die wenigsten hatten je einen Affen gesehen, und so zuckten sie verständnislos mit den Schultern.

      Colter riss verblüfft die Augen auf. „Könnte sein. Sah tatsächlich so aus wie ein großer Fuß.“ Er wirkte todernst, fiel dann aber in das Gelächter der anderen ein. „Wirklich! Die Indianer in den Bergen erzählen viele solcher Legenden!“, gab er schließlich zu. „Ich habe Gegenden gesehen, die könnt ihr euch überhaupt nicht vorstellen. Und ich habe Täler voller Biber und anderem Wild gefunden. Da gibt es viel mehr zu holen als hier.“

      Das glaubten die Trapper sofort. Trotzdem wackelten sie nachdenklich mit ihren Köpfen.

      Einige Tage später wurden endlich die langersehnten Kielboote und einige Barkassen von Manuel Lisa gesichtet. Insgesamt erschienen nacheinander sieben Boote mit Besatzung. Grüßend und jubelnd liefen die Männer ans Ufer des Bighorn und schwenkten ihre Mützen. Schnell wurden Planken gelegt, an denen die Ankömmlinge trockenen Fußes an Land gehen konnten. Zu ihrer Überraschung war nicht nur Manuel Lisa selbst mit seiner Mannschaft an Bord, sondern weitere bekannte Persönlichkeiten, die sich zu einer Gesellschaft zusammengeschlossen hatten: Benito Vazquez, Manuel Lisa und andere hatten die Missouri-Fur-Company gegründet. In Abwesenheit war auch „Colonel Menard“ als Teilhaber eingetragen worden. Sie hatten die Lizenz zum Handel mit den Indianern erhalten und sollten am Oberen Missouri Handelsposten, sogenannte Factories, errichten. Die Strategie war neu: Indem man Handelsposten errichtete, sollten die Indianer gezwungen werden, nur dort Handel zu treiben – und dies zu festgesetzten Preisen. Der Plan sah vor, die Wilden zu zivilisieren, an feste Wohnorte zu binden und so das Land freizubekommen für die Besiedelung. Das war anders als unter spanischer oder französischer Herrschaft, die die Eingeborenen als souveräne Nationen ansahen und lediglich Handel mit ihnen treiben wollten. Zudem waren in dieser Gegend schon seit hundert Jahren französische, spanische und britische Trapper und Händler unterwegs, die nicht einsahen, dass es nun illegal war, auf eigene Faust Fallen aufzustellen oder zu handeln. Wichtigster Teilhaber war wahrscheinlich William Clark, der von St. Louis aus die Geschäfte organisieren sollte. Nach der berühmten „Lewis & Clark“ Expedition galt es nun, das neu gewonnene Land zu erkunden und zu besiedeln.

      Die Ankömmlinge grüßten Menard und gaben dann Befehl, die Boote zu vertäuen und Wachen aufzustellen. Im Nu schwärmten über 300 Männer in Richtung des Forts aus, und der sonst so ruhige Ort verwandelte sich in einen Bienenschwarm. Hütten wurden bezogen, Feuerholz herangeschleppt, Bündel von den Booten