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Das gilt indessen nur im Regelfall, da sich innerhalb und außerhalb des BGB verschiedene Ausnahmen von der geschilderten Verteilung der Preisgefahr finden (o. Rn 14), die dadurch gekennzeichnet sind, dass der Käufer (doch) „zahlen“ muss, obwohl er nach § 275 den Anspruch auf die dem Verkäufer unmöglich gewordene Leistung verloren hat. Die wichtigsten Fälle finden sich in § 326 Abs. 2 sowie eben in den §§ 446, 447 und § 475 Abs. 2 (vgl außerdem noch § 2380 BGB und § 56 S. 1 ZVG). Folglich ist es in diesen Fällen im Ergebnis der Käufer (und nicht wie im Regelfall der Verkäufer, s. o. Rn 14), der die Preisgefahr trägt, weil der Käufer hier zur Erbringung der von ihm geschuldeten Gegenleistung verpflichtet bleibt, obwohl er die Leistung des anderen Teils, des Verkäufers, infolge deren Unmöglichkeit nicht mehr verlangen kann (§ 275 Abs. 1).
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Bei der Anwendung der genannten Vorschriften muss man beachten, dass die Frage der Preisgefahr nur in der Zeitpanne auftauchen kann, während derer der Sachleistungsschuldner (der Verkäufer) zur Leistung verpflichtet ist und ihm infolgedessen die Erfüllung seiner Leistungspflicht (noch) unmöglich werden kann. Der früheste Zeitpunkt, zu dem dies geschehen kann, ist aus diesem Grund der des Vertragsabschlusses, da der Schuldner vorher nichts schuldet, während der späteste dafür in Betracht kommende Zeitpunkt der der vollständigen Erfüllung der Leistungspflicht durch den Schuldner ist. Das folgt einfach aus dem Umstand, dass seine Verpflichtung durch die Erfüllung erlischt (§ 362), sodass ihm ihre Erfüllung fortan auch nicht mehr unmöglich werden kann (sog Erfüllungszeitraum). Danach berührt ihn das Schicksal der Kaufsache nicht mehr, sondern geht allein den Käufer als den neuen Eigentümer der Sache etwas an: casum sentit dominus.
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In den §§ 446, 447 und 475 Abs. 2 geht es mithin allein um die Frage, ob der Käufer bei zufälligem Untergang oder zufälliger Verschlechterung der Kaufsache während des Erfüllungszeitraums, d. h. nach Vertragsabschluss und vor voller Erfüllung seitens des Verkäufers (o. Rn 16), (ebenfalls) frei wird oder (trotz Unmöglichkeit oder Verschlechterung der Verkäuferleistung) zur Bezahlung des (vollen) Kaufpreises verpflichtet bleibt. Gemäß § 326 Abs. 1 müsste an sich der Verkäufer während des ganzen Erfüllungszeitraums die Preisgefahr tragen, sodass der Käufer in jedem Fall der Unmöglichkeit der Leistung vor voller Erfüllung seitens des Verkäufers frei würde. Da dies jedoch unbillig ist, sobald der Käufer durch Übergabe zum „Herrn“ der Kaufsache geworden ist, hat das Gesetz in § 446 S. 1 dem Käufer einer Sache die Preisgefahr schon vom Augenblick der Übergabe ab (und eben nicht erst ab voller Erfüllung durch den Verkäufer) auferlegt. Eine weitere Vorverlegung des Zeitpunktes des Gefahrübergangs findet sich für den Versendungskauf in § 447 und in § 475 Abs. 2 (dazu u. Rn 21 ff).
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All dies gilt aber nur, um es zu wiederholen, für die Fälle einer zufälligen Unmöglichkeit der Erfüllung oder einer zufälligen Verschlechterung der Sache während des Erfüllungszeitraums[5]. Dagegen hat es ohne Rücksicht auf die §§ 446 und 447 bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften über gegenseitige Verträge (§§ 283, 326) sein Bewenden, wenn eine der beiden Parteien die Unmöglichkeit oder Verschlechterung zu vertreten hat: Ist dies der Käufer, so behält der Verkäufer bereits nach § 326 Abs. 2 Fall 1 den Anspruch auf die Gegenleistung (o. Rn 15). Ebenso verhält es sich, wenn sich der Käufer in Annahmeverzug befindet, weil es unbillig wäre, den Verkäufer in diesem Fall weiterhin mit der Preisgefahr zu belasten (§§ 326 Abs. 2 S. 1 Fall 2 und 446 S. 3). Trifft dagegen den Verkäufer ein Verschulden an dem Untergang oder der Verschlechterung der sich ja noch in seinem Besitz befindlichen Sache, so gelten allein die §§ 281, 283, 323 und 326[6]. Gleich steht der Fall, dass der Untergang oder die Verschlechterung der Sache gerade auf einem ihr anhaftenden Mangel beruht.
2. Übergabe (§ 446)
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§ 446 S. 1 knüpft den (vorzeitigen) Übergang der Preisgefahr (vor vollständiger Erfüllung) auf den Käufer in erster Linie an die „Übergabe“ der verkauften Sache. Darunter ist nach dem Zusammenhang der §§ 433 Abs. 1 S. 1, 446 S. 1 und 854 grundsätzlich die Verschaffung des unmittelbaren Besitzes an der Kaufsache zu verstehen (s. o. § 2 Rn 6). Wird dem Käufer statt dessen vom Verkäufer nur der mittelbare Besitz verschafft (vgl §§ 930 und 931), so taucht das Problem des Übergangs der Preisgefahr von vornherein nicht auf, sofern der Verkäufer damit nach den Abreden der Parteien bereits voll erfüllt hat (§ 362). Andernfalls hängt der Gefahrübergang davon ab, ob der Käufer schon durch die bloße Übertragung des mittelbaren Besitzes die wirtschaftliche Nutzung der Sache erlangt, etwa, weil sie jetzt dem Verkäufer oder einem Dritten vermietet ist[7].
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Im Glastransport-Fall 3 ist folglich die Gefahr des zufälligen Untergangs des Spiegelglases (spätestens) in dem Augenblick auf den Käufer K übergegangen, in dem ihm der von V beauftragte Spediteur S die Ware übergeben hat, obwohl K dadurch infolge des Eigentumsvorbehalts des V noch kein Eigentum erlangt hatte. Ein Untergang der Ware nach diesem Zeitpunkt ändert daher an der Zahlungspflicht des K nichts mehr (§§ 433 Abs. 2, 446 S. 1, 275 Abs. 1).
3. Versendungskauf (§ 447)
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Eine weitere Vorverlegung des Zeitpunktes des Gefahrübergangs findet sich für den Fall des sogenannten Versendungskaufs in § 447 Abs. 1, nach dem bei Versendung der Kaufsache auf Verlangen des Käufers nach einem anderen Ort als dem Erfüllungsort die Preisgefahr mit Auslieferung der Sache an die Transportperson auf den Käufer übergeht. § 447 gilt seit 2002 uneingeschränkt nur noch für Kaufverträge zwischen Unternehmen oder auch zwischen Verbrauchern, während man bei dem Verbrauchsgüterkauf zwischen Unternehmen und Verbrauchern („B2C“) heute unterscheiden muss: Im Jahre 2002 war die Anwendung des § 447 Abs. 1 auf den Verbrauchsgüterkauf zunächst – zum Schutze der Verbraucher – ganz ausgeschlossen worden (§ 474 Abs. 2 aF). Seit 2014 macht jedoch der neue § 475 Abs. 2[8] von dieser Regel wieder eine Ausnahme zu Gunsten der Anwendbarkeit des § 447 Abs. 1, wenn (ausnahmsweise) der Spediteur oder die sonstige Transportperson vom Käufer aus eigener Initiative beauftragt wurde. In diesem (ausgesprochen seltenen) Fall bleibt es folglich bei der Anwendbarkeit des § 447 Abs. 1 mit seiner für den Käufer so ungünstigen Regelung des Gefahrübergangs auch auf den Verbrauchsgüterkauf (s. u. § 6 Rn 1 ff), während im Regelfall § 447 auf diesen weiterhin keine Anwendung findet. Der Versendungskauf ist der wichtigste Anwendungsfall der Schickschulden. Schickschulden müssen vor allem von Hol- und Bringschulden unterschieden werden, für die § 447 nicht gilt.
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