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Keine Bedeutung hat § 447 ferner für die Bringschulden. Von einer solchen spricht man, wenn der Transport und die Anlieferung der Ware bei dem Käufer zu den vertraglichen Pflichten des Verkäufers gehören, sodass der Wohnsitz des Käufers Erfüllungsort für den Verkäufer ist. § 447 ist in diesem Fall nicht anwendbar, sodass gemäß § 446 S. 1 die Gefahr erst mit der Übergabe der Sache an den Käufer auf diesen übergeht. Die Abgrenzung zur Schickschuld ist oft schwierig, insbesondere bei Zustellung der Ware an den am selben Ort wie der Verkäufer wohnenden Käufer. Die Auslegung des Vertrags dürfte hier häufig ergeben, dass die Parteien eine Bringschuld vereinbart haben[9]. Dasselbe gilt, wenn der Verkäufer vertraglich die Montage der Kaufsache bei dem Käufer, z. B. den Aufbau der vom Käufer bestellten Möbel in dessen Wohnung übernommen hat; in den AGB des Verkäufers kann nichts anderes bestimmt werden (§ 307).[10]
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Die Schickschulden, auf die sich somit der Anwendungsbereich des § 447 beschränkt, stehen gleichsam auf der Mitte zwischen den Hol- und Bringschuld in. Von den Holschulden (s. Rn 22) unterscheiden sie sich dadurch, dass der Verkäufer zusätzlich die Versendung der Ware übernimmt. Da sich allein dadurch noch nichts an dem Erfüllungsort ändert, führt der Verkäufer mit der Versendung im Grunde ein Geschäft des Käufers aus, der deshalb grundsätzlich auch die Kosten der Versendung tragen muss (§ 448 Abs. 1; vgl § 269 Abs. 3). Die Folge ist, dass Warenschulden im Handelsverkehr im Zweifel Schickschulden sind[11]. Dasselbe gilt z. B. für den Versandhandel.
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Für die so definierten Schickschulden bestimmt nun § 447 Abs. 1, dass die Preisgefahr bereits mit der Auslieferung, d. h. mit der Übergabe der Ware an die Transportperson, auf den Käufer übergeht, sodass die Ware auf Gefahr des Käufers reist. Die Folge ist, dass der Käufer, wenn die Ware auf dem Transport infolge eines Umstandes untergeht, den keine der beiden Parteien zu vertreten hat, zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet bleibt. Diese eigenartige Regelung findet ihren Grund letztlich in den unsicheren Transportverhältnissen früherer Zeiten[12], sodass sie heute durchaus problematisch erscheint.
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§ 447 ist ebenso wie der vorausgehende § 446 eine Ausnahme (allein) von § 326, sodass für seine Anwendung kein Raum ist, wenn der Verkäufer den Untergang oder die Beschädigung der Ware auf dem Transport zu vertreten hat, z. B. durch mangelhafte Verpackung oder durch die Auswahl einer ungeeigneten Transportperson (§§ 281, 283, 276). Die Vorschrift greift außerdem nur ein, wenn die Versendung auf Verlangen des Käufers, also nicht eigenmächtig seitens des Verkäufers, und außerdem gerade vom Erfüllungsort aus geschieht. Versendet der Verkäufer die Ware dagegen von einem dritten Ort aus an den Käufer, so bleibt es bei der Regel des § 446[13]. Abweichende Vereinbarungen sind jedoch möglich und häufig[14].
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Bei einem Gattungskauf setzt die Anwendung des § 447 ferner voraus, dass bereits Konkretisierung eingetreten ist, wozu vor allem gehört, dass der Verkäufer Sachen mittlerer Art und Güte ausgewählt hat (§ 243 BGB; § 360 HGB)[15]. Hinzu kommen muss schließlich noch, dass sich in dem fraglichen Vorgang, der zu einem Verlust oder einer Verschlechterung der Ware geführt hat, gerade eine typische Transportgefahr realisiert hat, da sich der Anwendungsbereich des § 447 entsprechend dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (Rn 24) auf derartige Transportgefahren beschränkt, während sonstige Risiken nicht auf den Käufer verlagert werden[16]. Typische Transportgefahren in diesem Sinne sind neben Diebstahl, Verlust oder Beschädigung der Ware auf dem Transport z. B. auch deren behördliche Beschlagnahme[17].
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Aus dem Gesagten (o. Rn 24–27) folgt, dass in dem Glastransport-Fall 3 die Preisgefahr bereits mit Übergabe des Glases an den Spediteur S auf K übergegangen war. Unerheblich ist, wen die Schuld an dem Unfall trifft. Selbst wenn dies der Fahrer F des S gewesen sein sollte, handelte es sich doch für V um einen Fall zufälliger Unmöglichkeit, da der Spediteur S nicht sein Erfüllungsgehilfe ist; denn der Verkäufer V erfüllte mit der Versendung an K keine ihm dem Käufer K gegenüber obliegende Verbindlichkeit (s. § 278). K kann aber von V Abtretung dessen Schadensersatzansprüche gegen die für den Unfall verantwortlichen Personen verlangen (§ 285; §§ 421 Abs. 1 S. 2, 425 Abs. 1 und 458 HGB)[18].
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Umstritten ist die Anwendbarkeit des § 447, wenn der Verkäufer den Transport selbst durchführt. Richtiger Meinung nach handelt es sich dann nicht mehr um einen Fall zufälliger Unmöglichkeit, wenn er auf dem Transport den Untergang der Sache verschuldet. Für ein Verschulden seiner Leute muss er jetzt vielmehr ebenso wie sonst nach § 278 einstehen[19].
In der dritten Alternative von Fall 3 kann der Käufer K folglich von V Schadensersatz verlangen oder zurückzutreten, wenn die Leute des V den Untergang der Ware auf dem Transport verschuldet haben (§§ 283, 326 Abs. 5).
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Lediglich auf den Verbrauchsgüterkauf des § 474 Abs. 1 findet die für den Käufer so nachteilige Regelung des § 447 Abs. 1 grundsätzlich, dh von seltenen Ausnahmen abgesehen, keine Anwendung (§ 475 Abs. 2, Rn 21). Das gilt auch im Versandhandel.[20] § 475 Abs. 2 bedeutet nicht etwa, dass beim Verbrauchsgüterkauf, wenn der Verkäufer die Versendung der Ware übernimmt, immer eine Bringschuld (u. Rn 23) anzunehmen ist; es bleibt vielmehr bei dem grundsätzlichen Vorliegen einer Schickschuld, freilich ohne zusätzliche Anwendung des § 447[21]. Die Folge ist z. B., dass im Versandhandel Konkretisierung im Falle eines Gattungskaufs nach wie vor mit Übergabe der Ware an die Transportperson eintritt, ohne dass jedoch der Verbraucher als Käufer die Preisgefahr während des Transports tragen müsste, sofern er nicht (ausnahmsweise) selbst den Spediteur oder die sonstige Transportperson beauftragt hat (§§ 475 Abs. 2, 447). Dies ändert aber nichts daran, dass der Verkäufer frei wird, wenn die Ware während des Transports untergeht (§ 275 Abs. 1)[22].
Anmerkungen
BGHZ 174, S. 61 (68, Tz 37 ff) = NJW 2007, S. 3777 (3779).
S. BGHZ 163, S. 234 (242 ff) = NJW 2005, S. 2852 (2854); im Einzelnen str., s. Heiderhoff/Skamel, JZ 2006, S. 383; Heyers/Heuser, NJW 2010, S. 3057; Chr. Hofmann/Pammler, ZGS 2004, S. 91; Medicus/Lorenz II, § 76; Schall, NJW 2011, S. 343; Schopp, in: Festschrift