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Wieder anders steht es, wenn schon jetzt sofort und unbedingt die bloße Chance der zukünftigen Entstehung der Sache veräußert wird (sog. Hoffnungskauf oder emptio spei). Ein Beispiel ist der Kauf eines Loses vor dessen Ziehung. Ein derartiger Vertrag ist wirksam, selbst wenn die Sache später nicht entsteht, wenn sich etwa das Los in der späteren Ziehung als Niete erweist. Ist von vornherein sicher, dass die Sache nicht mehr entstehen wird, ist z. B. im Augenblick des Verkaufs das Los bereits gespielt worden und dabei ausgefallen, so ändert dies, sofern es sich nicht bei dem Vertrag in Wirklichkeit um einen Spielvertrag handelt (§ 762), nichts an der Wirksamkeit des Vertrages (§ 311a Abs. 1), sodass der Verkäufer gegebenenfalls nach § 311a Abs. 2 haftet.
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IV. Kaufvertrag und Übereignung
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Der Kaufvertrag begründet, wie aus § 433 Abs. 1 S. 1 zu entnehmen ist, lediglich die Verpflichtung des Verkäufers zur Übertragung des verkauften Gegenstandes, sodass durch den bloßen Abschluss des Kaufvertrages allein das Eigentum an der verkauften Sache noch nicht auf den Käufer übergeht; hierzu bedarf es vielmehr nach den §§ 925 und 929 noch eines weiteren, von dem Kaufvertrag zu trennenden dinglichen Vertrages (sogenanntes Trennungsprinzip).[2] Die Folge ist vor allem, dass dieselbe Sache mehrfach verkauft werden kann. Eigentümer wird dann derjenige, an den sie der Verkäufer schließlich übereignet. Der andere Käufer hat das Nachsehen, selbst wenn er die Sache als Erster gekauft hatte. Eine abweichende Beurteilung kommt nur in Betracht, wenn Verkäufer und Zweiterwerber zu seinem Nachteil in sittenwidriger Weise zusammengewirkt haben (§ 826)[3].
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Selbst im Falle des sogenannten Barkaufs, bei dem, äußerlich betrachtet, Kauf und Übereignung zusammenzufallen scheinen, muss man doch nach dem Gesagten (Rn 11) zwischen Kaufvertrag und Übereignung unterscheiden. Das wird z. B. deutlich, wenn der Verkäufer nicht Eigentümer der verkauften Sache war und der Käufer, etwa weil es sich um eine gestohlene Sache handelte (§ 935 Abs. 1), auch nicht gutgläubig Eigentum an ihr erwerben konnte. Dann ist klar, dass der Verkäufer seiner hier gleichfalls bestehenden Verpflichtung zur Verschaffung des Eigentums (§ 433 Abs. 1 S. 1) nicht nachgekommen ist und dafür dem Käufer einstehen muss (§§ 433 Abs. 1 S. 1, 311a Abs. 2).
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Nach dem BGB ist das Verfügungsgeschäft außerdem in seiner Gültigkeit grundsätzlich von dem zugrundeliegenden Schuldverhältnis unabhängig (sog. Abstraktionsprinzip). Selbst wenn der Kaufvertrag nichtig ist, kann der Käufer daher aufgrund einer wirksamen Übereignung Eigentum an der verkauften Sache erwerben; die Rückabwicklung richtet sich dann nach Bereicherungsrecht (§ 812 Abs. 1 S. 1 Fall 1; u. § 16 Rn 6 ff).
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In unserem Fall 1 erwirbt Rechtsanwalt Y die Praxis des Dr. X nach dem Gesagten (o. Rn 11 ff) nicht automatisch mit Abschluss des Kaufvertrages. Die Praxis kann außerdem nicht als Ganzes auf einmal auf ihn übertragen werden; vielmehr müssen die einzelnen Bestandteile gesondert nach den jeweils für sie maßgeblichen Regeln übertragen werden. Der Eintritt des Erwerbers in den Mietvertrag bedarf überdies einer besonderen Vereinbarung mit dem Vermieter (s. § 540). Überhaupt nicht „übertragbar“ ist schließlich die Chance auf Erhaltung der Klientel; die Verpflichtungen des Dr. X als Veräußerer der Praxis beschränken sich insoweit vielmehr darauf, alles zu tun, was erforderlich ist, damit der Erwerber diese Chance selbst wahrnehmen kann[4]. Sozusagen als Kehrseite gehört dazu seine Verpflichtung, alles zu unterlassen, was den Erwerber dabei stören könnte (§§ 241 Abs. 2, 242). Deshalb ergibt sich aus einem Kaufvertrag über eine Praxis idR zugleich ein (zeitlich und räumlich begrenztes) Konkurrenzverbot für den Veräußerer[5]. Bei einem Verstoß des Veräußerers gegen dieses Konkurrenzverbot kann der Erwerber in erster Linie Unterlassung verlangen; weitergehende Rechte können sich von Fall zu Fall aus den §§ 280, 282 und 324 ergeben.
Anmerkungen
S. u. § 10 Rn 2; BGHZ 102, S. 135 (139 ff) = NJW 1988, S. 406; BGHZ 109, S. 97 (99) = NJW 1990, S. 320.
Dazu ausf. Sachenrecht, Rn 10 ff.
Sog. Kollusion, s. u. § 24 Rn 16 sowie BGH, LM Nr 4 zu § 826 (Gf) BGB = NJW 1992, S. 2152 (2153).
BGHZ 168, S. 220 = NJW 2006, S. 2847; BGH, LM Nr 62 zu § 705 BGB (Bl. 3R) = WM 1995, S. 1536 (1539).
BGHZ 16, S. 71 (76 ff) = NJW 1955, S. 337.
Teil I Veräußerungsverträge › § 2 Übersicht über die Pflichten der Parteien
§ 2 Übersicht über die Pflichten der Parteien
Inhaltsverzeichnis
I. Pflichten des Verkäufers
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