Eine dunkle verrauchte Bar. Reggae-Musik. Marley. Alle Verdammten dieser Erde. Indianer, Südamerikaner, Asiaten, Schwarze. Nur die Frauen sind weiß. Ein Maximum menschlicher Farben. Die Tanzfläche kaum doppelt so groß wie eine Tischtennisplatte. Das Geräusch aneinanderreibender Körper. Wie reißendes Papier. Gerüche aus aller Herren Länder. Die Wucht des Verlangens. Kannibalismus als die extreme Form der Zärtlichkeit. Krude Liebe. Ich esse dich auf. Versprechen. Siehst du, ich hatte dich gewarnt. Wie Frauen schmecken. Ein wenig salzig vom Schweiß. Salsa. Miteinander verschweißte Leiber. Trockene Zunge. Träume vom tropischen Regen. Alles hier, in dieser Bar an der Avenue du Parc. Nichts hat sich in der Zwischenzeit verändert. Auch wenn ich in fünfzig Jahren wiederkäme, wäre alles noch genauso. Die Gesetze sexueller Attraktion bleiben gleich. Die Welt der Nacht. Das älteste Ritual. Man tritt ein, steigt die steile Treppe hinauf, gibt seinen Mantel an der Garderobe ab (vergiss das Trinkgeld nicht, Bruder, wenn du wiederkommen willst), man setzt sich, schaut sich um, die Bedienung kommt, man wirft ihr einen erstaunten Blick zu, sie zieht ein wenig verschämt ab, man begrüßt die Freunde, wieder die Bedienung, man stellt sich unauffällig woanders hin. Hier wackelt ein Mädchen auf der Piste mit den Hüften. Nicht schlecht. Du fragst nach ihr. Sie ist neu. Du versuchst dein Glück. Sie sagt nicht nein. Wir tanzen. Merengue. Salsa. Reggae. Sie will nicht mehr. Du gehst weiter. Warum nicht mal pissen. In der Toilette triffst du einen Typen. Man unterhält sich ein wenig. Beim Herauskommen triffst du auf die Bedienung. Du bestellst ein Bier, zugleich siehst du ein Mädchen ganz hinten (wie ein flackerndes Licht am Ende des Tunnels), das du gut kennst, aber es unterhält sich mit einem Typen, den du hasst, zum Glück geht er, du kommst auf das Mädchen zu, ach! Dieses strahlende Lächeln, als hätte es schon immer auf dich gewartet. Die Bedienung tippt dir auf die Schulter. Du zahlst das Bier, nimmst einen einzigen Schluck und dann forderst du das Mädchen zum Tanzen auf. Du reibst dich an ihrem kühlen Körper. Musik aus Zaire. Sinnliche Rhythmen. Das ist cool, trotz allem. Es läuft wie nach Plan. Du hast es drauf !
„Dieses Mädchen ist nichts für dich, Alter.“
Ich drehe mich um. Ein langer Kerl lächelt mich an. Ihm fehlen vier Schneidezähne. So viel ich in meinem Gedächtnis suche, ich kann ihn nicht einordnen.
„Was hast du gesagt?“
Er lächelt wieder.
„Dieses Mädchen gehört jemand anderem.“
„Was soll der Blödsinn? Wird hier mit Weißen Frauen gehandelt?“
„Ich gebe dir den guten Rat … Du solltest besser sofort gehen.“
„Hör mal, keiner gehört keinem … wir sind hier in Amerika.“
Ein finsteres Kopfschütteln.
„Wir sind hier nicht in Amerika. Hier ist Schutzgebiet. Ich schwöre dir, diese Typen machen, was sie wollen. Und zwar alles. Verstanden?“
Ich schaue ihn schweigend an.
„Diese Typen halten sich an keine Gesetze. Der Polizei ist das egal, solange sie die Mädchen nicht zusammenschlagen.“
„Was redest du da? Hier ist doch kein Bordell!“
„Schau dich mal um … Wen kennst du hier noch? Schau dir die Mädchen genau an …“
Tatsächlich sahen sie anders aus als die Mädchen, die ich früher hier traf. Jetzt kamen sie immer zu zweit oder dritt in dicken Mafiaschlitten. Die Frauen, die früher in dieser Bar verkehrten, waren viel älter, stärker geschminkt, weniger sexy, dafür wild entschlossen, sich einen Abend zu amüsieren. Sie zogen dich recht bald mit auf die Toilette, um dann buchstäblich über dich herzufallen. Alles musste sich vor Mitternacht abspielen. Um Mitternacht stiegen sie die Treppe wieder hinunter zu ihren Familien in den hübschen blauen oder weißen Häuschen, in schöner Lage am Flussufer. Danach kamen die Mädchen mit den grünen, roten oder gelben Haaren. Sie verzogen sich auch schnell auf die Toiletten, aber allein. Und kamen mit diesem befriedigten Gesichtsausdruck wieder heraus. Die Älteren waren mir entschieden lieber. Aber heute waren da weder die älteren Vorstadtfrauen, die es am Wochenende krachen ließen, noch die Mädchen, die eigentlich nur eine Toilette suchten, um sich einen Schuss zu setzen, sondern wunderschöne Mädchen, die echt sexy waren. Ich hatte so sehr in meiner eigenen Welt gelebt, dass ich diesen radikalen Wandel gar nicht bemerkt hatte. Mir genügte es, die Bedienungen und ein oder zwei der Mädchen an der Bar zu erkennen, um mich zuhause zu fühlen.
„Wo kommen die her?“, frage ich den Mann hinter der Bar.
„Tja … das sind Mädchen aus der Vorstadt …“
„Unfassbar … Als ob diese Mädchen ihre Mütter rausgeschmissen hätten.“
„Eher ihre Großmütter“, raunt er mir mit einem honigsüßen Lächeln zu.
Ich schaue kurz hin. Tatsächlich.
„Was wollen die hier?“
„Sie gehören diesen Typen …“
An der Treppe standen schwarzgekleidete Männer, die mir beim Hereinkommen nicht aufgefallen waren, weil sie aussahen wie Türsteher. Sie hatten alle Sonnenbrillen.
„Und wo sind die anderen? Die von früher? Ich bin höchstens drei Jahre nicht hier gewesen.“
„Ich weiß nicht … keine Ahnung“, murmelte er, ohne mich anzusehen. „Sie waren hier und von einem Tag auf den anderen nicht mehr. So ist das.“
„Wie im Fernsehen.“
„Jemand hat die Spülung gedrückt. Und sie sind runtergespült worden.“
„Eine ganz andere Sorte …“
Er schaute mich eine Weile an, dann senkte er den Blick.
„Früher war es mehr handwerklich, sag ich mal“, fügte ich hinzu.
„Ja, alles ändert sich …“
Er wirkte müde, als er zu einem Kunden am anderen Ende der Theke hinüberging.
FÜR DIE BERUFSEHRE
Hier im Paradiso spielt sich alles ab: Krieg, Leben und Tod, Liebes- und Geschlechtskrankheiten, Gewalt, brutale Trennungen und verhängnisvolle Affären. Auf dieser winzigen Fläche. Jeden Abend. Die Einheit von Zeit (von 23 Uhr abends bis 3 Uhr morgens) und Ort (die Tanzfläche). Jedes Mal die selben Charaktere (Jenny, Charlie, Adam, Cham und früher ich). Man braucht sich nur in eine Ecke zu setzen (so wie ich heute Abend), um zuzusehen, wie das große Schauspiel unserer Zeit sich langsam entfaltet. Rassen, Geschlechter, Klassen, Religionen, alles vermischt, zu dem einzigen Ziel, uns zu unterhalten. Denn der Mensch spielt perverse Spiele und praktiziert Rituale ohne Sinn und Zweck. Nur, um uns zu unterhalten, bekommt Jenny jeden Abend einen Eifersuchtsanfall, schließt sich in der Toilette ein und droht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Und auch, um uns zu unterhalten, lässt sich Cham von Charlie jedes Mal seine Neue ausspannen und sich anschließend von ihm vermöbeln, weil er versucht hat, sie zurückzuholen, als Charlie weg war, um sich seine Dosis zu spritzen. Und ebenfalls, um uns zu unterhalten, kriegen sich Jenny und die Neue von Charlie (die Ex von Cham) auf der Treppe in die Haare, während Charlie sich oben ausschüttet vor Lachen. Wenn du in fünfzig Jahren wiederkommst, ist es immer noch das gleiche Schauspiel. Wie in der Messe gibt es die Darbietung der Hostie (wenn Charlie auf das Mädchen von Cham aufmerksam wird), das Evangelium (wenn Charlie seinen blödsinnigen Sermon loslässt, wie scharf Blondinen auf Schwarze sind) und die Wandlung (alle senken den Kopf, um das Mysterium der Eucharistie nicht zu schauen), wenn das Mädchen hingeht als würde sie schreien: „Seht her, dies ist mein Leib, esset ihn, und dies ist mein Blut, trinket es.“ Dann nimmt Charlie sie mit auf die Toilette und zwei gute Stunden darf keiner pissen gehen. Manchmal drei. Ite missa est. Warum gewinnt immer der größte Depp? Ganz einfach, Alter, weil er der größte Depp und kein durchschnittlicher Depp ist. In Amerika geht es immer um Superlative. Suche dir einen Bereich, egal welchen, und werde darin der Größte. Das ist alles.