VI
Lange Zeit meinten die Schriftsteller, auf den Erfolg pfeifen zu können. Es galt schlicht als unmöglich, gleichzeitig ein guter und ein bekannter Schriftsteller zu sein. Die Autoren gaben sich mit mickrigen Auflagen zufrieden und waren deshalb von der Gunst der Verleger, Buchhändler und weiterer Mittelspersonen abhängig. Und doch wagten diese Autoren, anderen Ratschläge zu erteilen. Das Schlimmste an dem Zustand ist, dass sich bis heute nicht viel verändert hat. Welcher junge Schriftsteller hätte den Mut, die Veröffentlichung seines Romans bei Gallimard (ich wähle die beste Adresse in Frankreich) abzulehnen, nur weil die Vertragsbedingungen schlecht sind? Im Gegenteil, er ist glücklich, Fleisch von seinem Fleisch und Blut von seinem Blut fast kostenlos zu opfern, denn so nenne ich das, wenn einer fünf Jahre hart geackert hat. Am Tag der Unterzeichnung lädt er sogar ein paar Freunde ein, um diesen Vertrag zu feiern. Man würde ihm gerne in aller Freundschaft erklären, dass Gallimard primär ein Geschäftsmann ist (aber ja doch) mit dem Hauptziel, Bücher zu verkaufen (hoffentlich), und zwar so viele wie möglich. Man würde ihm auch gerne erläutern, dass dieser mächtige Verlag eine Armee von Buchhaltern besitzt und äußerst nervöse Erben, die mehr Zeit verbringen, Geschäftsbücher zu wälzen als die Gedichte von René Char zu lesen. Aber nur eine Andeutung in diese Richtung, und er läuft schreiend davon. Dieser junge Autor schreibt nicht, um reich oder bekannt, sondern um bewundert zu werden (und das hält er bereits für ein Zugeständnis). Ich bin verblüfft, dass ein klar denkender und intelligenter junger Mann (das schreiben selbst die Kritiker), die enge Verbindung nicht sieht zwischen der Frage, ob man gelesen wird und der, ob man bekannt und reich ist. Je mehr du gelesen wirst, desto bekannter bist du und desto schneller wirst du reich. Und am Ende auch frei. Diese Gleichung hatte ich immer vor Augen.
VII
Ich habe acht Hefte mit Szenen mitten aus dem Leben vollgeschrieben und Hunderte Fotos geknipst. Amerika ist ein Berg fertiger Bilder. Für diese Reportage habe ich das Muster der Städte nachgezeichnet. Die großen Städte verbindet nichts, was eine Gesamtheit, ein Land ergeben würde. Die Städte sind über die Landschaft verteilt (New York, Miami, Chicago, Dallas, Washington, Baltimore, Los Angeles, Boston, San Francisco), jede bewahrt ihre Persönlichkeit, ihre Unabhängigkeit, ihre Stimmung, ihren Stil, aber alle streben mit wildem Verlangen danach, eine amerikanische Stadt zu sein. Dagegen sind die Kleinstädte echte Rattenlöcher, mit den immer gleichen Läden, den gleichen Banken, dem gleichen halben Dutzend Fast-Food-Restaurants, mit den gleichen Redneck-Bullen, die nur am Samstagabend abgehen, mit dem gleichen bescheuerten Lokalfernsehen (neulich erzählte ein Schriftsteller, in dem kleinen Fernsehsender einer Stadt im Mittleren Westen habe man ihm am frühen Morgen die Frage gestellt: „Dann handelt Ihr Buch vom Wesen des Menschen?“), dem gleichen tendenziösen Provinzblatt und den gleichen verblödeten Jugendlichen. Was ist eine amerikanische Stadt? Die amerikanische Realität (der Raum, die Zeit, die Leute und vor allem die Dinge) erscheint mir näher am Film als am Roman zu sein, näher am schnellen Schnitt als an langen Einstellungen, die Szenen schieben sich ineinander statt aufeinander zu folgen, diese Realität scheint mir näher an der Wut als am Mut, näher am Instinkt als am Verstand. Wenn die amerikanische Realität einem Spielfilm gleicht, ist das Leben eines Amerikaners ein Videoclip.
Aus allen diesen Gründen haben die amerikanischen Schriftsteller (ich rede nicht von Leuten, die ihre Wälzer in den Supermärkten losschlagen) Probleme mit dem Roman und zeichnen sich so sehr mit ihren Kurzgeschichten aus. Der zeitgenössische amerikanische Roman ist in der Regel eine Sammlung kurzer Texte, die ein fester, aber dehnbarer Faden verbindet (das Gefühl, amerikanisch zu sein). Dagegen ist das Leben eines Amerikaners eine Sammlung von Fakten (daher der Eindruck der Leere). Auch dieses Buch folgt der Regel des amerikanischen Romans.
DIE KUNST, BERÜHMT ZU WERDEN OHNE ZU ERMÜDEN
Ich hatte Erfolg mit dem Titel meines ersten Romans. Auch Leute, die das Buch nie gelesen haben und, vor allem, auch nie lesen wollten, kennen den Titel. Ihn zu finden hat genau fünf Minuten meines Lebens gekostet. Für das Schreiben des Buchs brauchte ich drei Jahre. Wenn ich das gewusst hätte … Unnötig, Hunderte von Seiten vollzuschreiben, neun Wörter hätten genügt. DIE KUNST, EINEN SCHWARZEN ZU LIEBEN OHNE ZU ERMÜDEN.
Ich habe mir etwa zwanzig Reaktionen genau notiert, die sich nur auf den Titel bezogen:
1.Auf einer Cocktailparty in Outremont (Quebec):
„Sind Sie der Autor des Romans mit diesem Titel?“
„Ja, leider.“
„Warum leider? Er ist wunderbar! Sie sind enorm talentiert!“
„Danke.“ (Meine einzige Frage: Soll ich sie flachlegen oder nicht?) Sie schaut mich weiter mit diesem blödsinnigen Lächeln auf den Lippen an. Ihr Mann lächelt ebenfalls. Die beiden sind Kunstsammler und besitzen eine Kette von Bekleidungsgeschäften.
„Mein Mann hat das Buch nicht gelesen, aber über den Titel hat er sehr lachen müssen (erzählt sie und lacht dabei ebenfalls), das kann ich Ihnen sagen. Der Titel ist so witzig!“
„In unseren Geschäften in der Provinz verkaufen wir auch Dessous …“ (Bemerkt er ein wenig verlegen.) „Ich sagte zu meiner Frau, Ihr Titel würde gut in unseren Katalog passen …“
„Hören Sie nicht auf ihn“, redet die üppige Rothaarige sofort dazwischen, „er denkt nur ans Geschäft …“
„Aber nein“, werfe ich ein, „ich finde das eine gute Idee …“
Sie lacht lauthals und klatscht (ein wenig krampfhaft) Beifall.
„Sie würden das machen! Wundervoll! Zu allem ist er überhaupt nicht eingebildet! Wirklich, Sie muss ich unbedingt treffen …“
„Hören Sie mal“, der Mann spricht nun wieder im harten Ton des Geschäftsmanns, „wir probieren das im Frühjahrskatalog mal aus. Wenn es gut läuft, bekommen Sie einen Vertrag … Ich selbst bin überhaupt kein Rassist, aber ich muss abwarten, wie die Kundschaft reagiert. Keine Sorge, ich bin fast sicher, dass das laufen wird …“
„Was erzählst du da, Schatz? Das läuft bestimmt …“, wendet sie sich mit einem bereits verständnisinnigen Lächeln an mich. „Es ehrt uns, Ihren Namen in unserem Katalog zu haben.“
Er zieht seine Frau weg in Richtung Bar.
„Vergessen Sie nicht, wir müssen uns unbedingt treffen. Ich bestehe darauf …“, wirft sie mir mit einem gehauchten Kuss zu.
2.In Madrid (Spanien) ruft mir eine junge Feministin entgegen: „Ich habe deinen Titel nur ein bisschen verändert, willst du wissen, was rauskommt?“
„Klar.“
„Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne IHN zu ermüden.“
3.Zuvor hatte ich schon beim Filmfestival in Leeds (England) einem jungen Mädchen auf die Frage geantwortet, warum ich diesen Titel gewählt hätte: „Junge Dame, ohne diesen Titel wären Sie vielleicht heute Abend nicht hier.“ Gelächter im Saal.
4.In New York (USA) kam ein junges Mädchen (noch eines!) bei der Premiere des Films, der nach dem Buch gedreht wurde, auf mich zu:
„Sind Sie der Autor des Romans?“
„Ja.“
„Schämen Sie sich nicht wegen dieses Titels?“