Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.. Udo Schnelle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Udo Schnelle
Издательство: Bookwire
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Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846352298
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dass Jesus wahrscheinlich zunächst Petrus und Maria Magdalena12 bzw. mehreren Frauen erschien. Offensichtlich verfolgen die Erscheinungsberichte keine apologetische Tendenz13, denn obwohl Frauen nach jüdischem Recht nicht voll zeugnisfähig waren, spielen sie in fast allen Erscheinungsberichten der Evangelien eine wichtige Rolle. Von zahlreichen Einzel- und Gruppenerscheinungen berichtet 1Kor 15,3–8. Neben Petrus (V. 5a) erschien der Auferstandene den Zwölfen (V. 5b), mehr als 500 Brüdern (V. 6), Jakobus (V. 7a), allen Aposteln (V. 7b) und schließlich Paulus (V. 8). Paulus widerfuhr eine Erscheinung bei Damaskus; über die Orte der anderen Erscheinungen wird nichts gesagt, denkbar ist für die ‚Zwölf‘ und die ‚500 Brüder‘ Galiläa, für die weiteren Erscheinungen vor Jakobus und ‚vor allen Aposteln‘ kommt vor allem Jerusalem infrage. 1Kor 15,3–5 ist die literarisch älteste Überlieferung, die alle Elemente des Osterglaubens enthält: Jesu Tod, sein Begräbnis, seine Auferweckung und die Erscheinung des Auferstandenen („Dass Christus für unsere Sünden gestorben ist, den Schriften entsprechend, und dass er begraben wurde und dass er auferweckt ist am dritten Tage, den Schriften entsprechend, und dass er Kephas erschien, dann den Zwölfen“). Der Apostel Paulus wurde ca. 32/33 n.Chr. berufen, er erhielt seine Unterweisung im christlichen Glauben in Antiochia, so dass dort die von ihm zitierte Tradition sicherlich noch vor 40 n.Chr. entstanden sein dürfte. Neben den genannten Einzelpersonen und Gruppen dürfte es noch weitere Erscheinungen gegeben haben, die sich literarisch nur indirekt niederschlugen. Infrage kommt vor allem Röm 16,7: „Grüßt Andronikus und Junia, meine Stammverwandten und Mitgefangenen, die unter den Aposteln berühmt sind und schon vor mir in Christus waren.“Die herausragende Stellung dieses Ehepaares könnte durch Erscheinungen begründet sein14. Deutlich ist in jedem Fall, dass mit Paulus um 32/33 n.Chr. die besondere Epoche von Erscheinungen des Gekreuzigten und Auferstandenen beendet war; datiert man Jesu Kreuzestod auf das Jahr 30, dann dauerte sie ca. 2 bis 3 Jahre.

      Das leere Grab und die Erfolge der Verkündigung

      Unmittelbar mit den Erscheinungsberichten verbunden sind Berichte über das leere Grab. Jüngerinnen Jesu gehen am ersten Tag der Woche frühmorgens zum Grab, finden den Stein weggerollt und das Grab leer (vgl. Mk 16,1–5; Joh 20,1.11–13; Mt 28,1–6; Lk 24,1–6). Die Frauen berichten daraufhin den Jüngern von diesem Geschehen (vgl. Mk 16,7; Joh 20,18; Mt 28, 8; Lk 24,9). Wie die Evangelien setzt auch Paulus das leere Grab voraus15. Er erwähnt es nicht ausdrücklich, aber die Logik des Begrabenseins und der Auferstehung Jesu in 1Kor 15,4 (und auch des Mitbegrabenwerdens in Röm 6,4) verweist auf das leere Grab, denn die jüdische Anthropologie geht von einer leiblichen Auferstehung aus16. Hinzu kommt ein grundsätzliches Argument: Die Auferstehungsbotschaft hätte in Jerusalem nicht so erfolgreich verkündigt werden können, wenn der Leichnam Jesu in einem Massengrab oder einem ungeöffneten Privatgrab verblieben wäre17. Es dürfte weder den Gegnern noch der Anhängerschaft entgangen sein, wo Jesus beigesetzt wurde18. Jesu Kreuzigung hatte ein großes Aufsehen erregt, und wenn kurze Zeit nach diesem Geschehen die Jünger mit der Botschaft in Jerusalem auftraten, Jesus sei von den Toten auferstanden, dann muss die Frage nach dem Grab von Anfang an eine zentrale Bedeutung gehabt haben (vgl. Mt 27,62–66). Der Erfolg der Osterbotschaft in Jerusalem ist ohne ein leeres Grab kaum denkbar, denn die Botschaft der Jünger wäre sofort widerlegbar gewesen, wenn das Grab nicht leer gewesen wäre. Der bereits erwähnte Fund eines Gekreuzigten im Nordosten des heutigen Jerusalem aus der Zeit Jesu zeigt, dass die Leiche eines Hingerichteten an seine Angehörigen oder andere Nahestehende ausgeliefert und von ihnen bestattet werden konnte. Das leere Grab allein bleibt allerdings zweideutig, seine Bedeutung erschließt sich erst von den Erscheinungen des Auferstandenen her. Historisch lassen sich die Erscheinungen und das ihnen vorausliegende Auferstehungsgeschehen nicht erweisen, zugleich aber auch nicht ausschließen. Historisch können wir nur ermitteln, dass Anhänger des jüdischen Wanderpredigers Jesus von Nazareth nach dessen Kreuzigung und Tod behauptet haben, er sei ihnen als Lebendiger erschienen.

      Bewertungen des Realitätsgehaltes des Auferstehungsgeschehens bewegen sich bei Befürwortern und Bestreitern gleichermaßen auf der Ebene erkenntnistheoretischer Setzungen, lebensgeschichtlicher Erfahrungen und historischer Erwägungen. Der Wahrheitsgehalt des Geschehens lässt sich historisch nicht demonstrieren, aber auch nicht negieren! Sicher ist aber, dass die Osterereignisse einen kreativen Deutungsprozess auslösten: Es musste im Licht des Ostergeschehens neu bestimmt werden, wer dieser Jesus von Nazareth war und nun als Auferstandener ist. Die Verschränkung der neuen Erfahrungen mit neuen Deutungskategorien führte zur Bildung neuen Wissens: der Christologie.

      WILHELM BOUSSET, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenaeus, Göttingen 61967. – OSCAR CULLMANN, Die Christologie des Neuen Testaments, Tübingen 51975. – WERNER KRAMER, Christos Kyrios Gottessohn, AThANT 44, Zürich 1963. – FERDINAND HAHN, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, FRLANT 83, Göttingen 51995. – KLAUS WENGST, Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums, StNT 7, Gütersloh 21973. – MARTIN HENGEL, Der Sohn Gottes, Tübingen 21977. − GERHARD FRIEDRICH, Die Verkündigung des Todes Jesu im Neuen Testament, BThSt 6, Neukirchen 1982. – GERHARD BARTH, Der Tod Jesu im Verständnis des Neuen Testaments, Neukirchen 1992. – MARINUS DE JONGE, Christologie im Kontext, Neukirchen 1995. – JAMES D. G. DUNN, Christology in the Making, Grand Rapids 21996. – MARTIN KARRER, Jesus Christus im Neuen Testament, GNT 11, Göttingen 1998. – FRANK J. MATERA, New Testament Christology, Louisville 1999. – LARRY W. HURTADO, Lord Jesus Christ. Devotion to Jesus in Earliest Christianity, Grand Rapids 2003. – JÖRG FREY /JENS SCHRÖTER (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, WUNT 181, Tübingen 2005. − KURT ERLEMANNN, Jesus der Christus, Neukirchen 2011. – STEFAN SCHREIBER, Die Anfänge der Christologie, Neukirchen 2015.

      Durch Kreuz, Auferstehung und Erscheinungen gewann Jesus von Nazareth eine neue Bedeutsamkeit, die zur Ausbildung einer vielfältigen Christologie führte. Dabei konnten die frühesten Gemeinden bereits an Jesu vorösterlichen Anspruch anknüpfen19.

      Ostern als neue Basisgeschichte

      Jesus von Nazareth wollte keine Kirche gründen, aber er scharte (wie Johannes d. T.) einen Jünger- und Jüngerinnenkreis um sich (Mk 1,16–20; Lk 8,1–3), setzte den Zwölferkreis ein (Mk 3,14; 6,7; 14,10; 1Kor 15,5) und trat mit dem Anspruch auf, das eschatologische Israel zu sammeln (vgl. Lk 22,28–30). Er band das Aufrichten der Königsherrschaft Gottes exklusiv an seine Person, so dass sein Tun als Anbruch der Gottesherrschaft erschien (vgl. Lk 11,20). Wenn er seine Person zum Kriterium des eschatologischen/endgültigen Gerichtes erhob (vgl. Lk 12,8f par), als Wundertäter auftrat (vgl. Mk 1,40–45; 7,31–37), wie Gott Sünden vergab (vgl. Mk 2,1–12) und sich über Mose stellte (vgl. Mt 5,21–48), dann musste er notwendigerweise in die Nähe Gottes gerückt und mit Gott zusammengedacht werden. Die singuläre Qualität des vorösterlichen Jesus20 ist ein wesentlicher Grund, warum nach Ostern eine explizite Christologie ausgebildet wurde. Jesus erhob bereits vorösterlich einen einzigartigen Anspruch, der durch die Auferstehung und die Erscheinungen nachösterlich verändert und zugleich noch verstärkt wurde. Angesichts von Kreuz und Auferstehung waren Sinnbildungsleistungen unabwendbar, denn ein Ereignis wie die Auferstehung des Jesus von Nazareth von den Toten fordert Erschließungsleistungen! Die ersten Christusgläubigen in Jerusalem standen ebenso wie alle späteren frühchristlichen Autoren vor der Aufgabe, das Einmalige und Außerordentliche von Kreuz und Auferstehung durch Erzählen in ein theologisches Sinngebäude zu überführen. Christologie ist die Art und Weise, wie das Wesen und die Bedeutung des Jesus von Nazareth als Messias für Israel und die Völker begrifflich und erzählerisch geformt und umgesetzt wird. Ostern bekam innerhalb dieses Prozesses den Status einer Basisgeschichte der neuen Bewegung21.

      Wirkungsgeschichtliche Linien

      Die