alt="images"/> („Selbstgenügsamkeit/innere Unabhängigkeit“) zu erreichen, ist es nach Epiktet
87 notwendig, das, worüber man nicht verfügen kann, von dem zu unterscheiden, worüber man Macht besitzt. Es geht um die Unterscheidung des Fremden vom Eigenen. Dies leistet die
(„freie Selbstbestimmung/freier Wille“); sie beschreibt die grundlegende und wesentliche Eignung, welche die menschliche Natur zum sittlichen Handein befähigt. Die Prohairesis umfasst die Anwendung von Elementen der Vernunft, zeigt eine Nähe zur Vorstellung von der Willensfreiheit und bleibt nie theoretisch, sondern ist immer auf das konkrete sittliche Handeln bezogen. Unsere Selbstbestimmung ist frei, sie kann von niemandem, nicht einmal von Gott beeinträchtigt werden
88, denn sie stellt das eigentliche Selbst des Menschen dar. Gelebt und gefordert wird eine Selbstverwirklichung des Einzelnen durch den Gebrauch der Vernunft, die die wahre Natur des Menschen ist. Es geht darum, sich an jedem Ort und in jeder Situation als
(„edel und gut“) zu bewähren. Für den Stoiker (wie auch für den Kyniker) trägt der Mensch die wahren Lebenswerte in seinem Inneren und er braucht kein äußeres Geschick zu fürchten, wenn er diese ihm innewohnenden Kräfte bei jeder äußeren Lebenslage richtig anwendet. Deshalb bezeichnet Epiktet das berühmte Sokrateswort ausdrücklich als Merkspruch: „Anytos und Meletos können mich zwar töten, aber schaden können sie mir nicht.“
89 Wenn die Selbstbestimmung/Vernunft erkennt, dass die äußeren Dinge, das Fremde, gleichgültig sind und Wert allein dem Eigenen, den sachgemäßen Vorstellungen von den Dingen zukommt, dann entstehen keine Affekte und gelingt Glückseligkeit. Der Bereich des Eigenen ist das Innere der Person, der allein in voller Verfügbarkeit steht. Ziel der Ethik ist es somit, das in unserer Verfügung stehende Wesen des Guten zu erkennen, zu realisieren und so wirklich frei zu sein. Für Epiktet ist Freiheit identisch mit innerer Unabhängigkeit: „Du musst alles fahren lassen, den Leib und den Besitz, den guten Ruf und deine Bücher, die Gesellschaft, das Amt und dein Privatleben. Denn wohin dich deine Neigung zieht, dort bist du zum Sklaven geworden, zum Untergebenen, bist gefesselt, gezwungen, kurz: bist du ganz von anderen abhängig“ (Dissertationes IV 4,33; vgl. Enchiridion 11). Wie dem Stoiker niemand etwas wirklich geben kann, so kann ihm auch nichts genommen werden
90. Es ist sein Ziel, in Übereinstimmung mit sich selbst zu leben und sich gerade dadurch in die Harmonie des Kosmos einzufügen. Der Verzicht auf eine Sache und damit die innere Unabhängigkeit von ihr ist höher zu bewerten als ihr Besitz
91. Epiktet, Enchiridion 11: „Sag nie von einer Sache: ‚Ich habe sie verloren‘, sondern: ‚Ich habe sie zurückgegeben‘ Dein Kind ist gestorben? Es wurde zurückgegeben. Deine Frau ist gestorben? Sie wurde zurückgegeben. ‚Man hat mir mein Grundstück gestohlen.‘ Nun, auch das wurde zurückgegeben.“ All diese Einsichten gewährt die Philosophie und wenn man ihr folgt, gewährt sie wahres Leben: „Gemütsruhe, Unerschrockenheit, Freiheit“ (
)
92.
Epikur
Epikur als Therapeut
Abwesende Götter
Eine eigenständige und sehr wirkmächtige Form antiker Philosophie schuf Epikur (341–270 v.Chr.)93. Er vertritt ein therapeutisches Denken, das darauf abzielt, den Menschen die Angst vor den Göttern, vor dem Tod und ihrem Unwissen über das Wesen von Lust und Unlust zu nehmen, um sie so zur Seelenruhe () und Glückseligkeit () zu führen: „Leer ist die Rede jenes Philosophen, von der nicht irgendeine Leidenschaft des Menschen geheilt wird.“94 Ausgangspunkt des epikureischen Denkens ist die Einsicht, dass Wissen nur aus sinnlicher Erfahrung gewonnen werden kann. Solange die Sinne sich rein rezeptiv verhalten und die Vernunft innerhalb ihrer Möglichkeiten verbleibt, kann kein Irrtum eintreten. Dies gilt einmal für die Kosmologie, die darauf abzielt, das Naturgeschehen ganz aus sich selbst zu erklären. Weder Erdbeben noch Himmelserscheinungen gehen auf die Götter zurück und müssen deshalb auch nicht als Strafe des Schicksals/der Götter verstanden werden95. Damit wendet sich Epikur gegen die weit verbreitete Meinung, die Götter würden die Welt regieren und in ihren Ablauf belohnend oder strafend eingreifen. Es gibt weder eine göttliche Vorsehung () noch ein von Mächten bestimmtes Schicksal (), sondern alles entsteht von selbst. Nach Epikur führen die Götter ein glückseliges, zeitenthobenes Leben, ohne sich um die Menschen zu kümmern. „Denn ein Gott tut nichts, ist in keine Geschäfte verwickelt, plagt sich mit keiner Arbeit, sondern freut sich seiner Weisheit und Tugend und verlässt sich darauf, stets in höchsten und vor allem in ewigen Wonnen zu leben.“96 Die Götter können als Unsterbliche weder leiden noch sich in Liebe der Welt zuwenden97. Sie sind den Niederungen des Lebens entrückt und haben mit den Menschen nichts gemein98. Damit widerspricht Epikur den geläufigen griechisch-hellenistischen Gottesbildern, er vertritt aber keineswegs einen atheistischen Standpunkt, sondern will ausdrücklich den Gottesbegriff in seiner Reinheit und Unverfälschtheit bewahren.
Mit der Furcht vor den Göttern, deren strafendes Handeln fälschlicherweise vorab in den Himmelserscheinungen gesehen wird, verbindet sich die Furcht vor dem Tod. Epikur vertritt eine eigenständige und bis heute faszinierende Theorie des Todes als Nicht-Zeit: „Der Tod hat keine Bedeutung für uns; denn was aufgelöst ist, ist ohne Empfindung; was aber ohne Empfindung ist, das hat keine Bedeutung für uns“ (Diogenes Laertius 10,139 = Epikur, Sententiae 2). Mit dem Tod stirbt also auch die Seele, was Epikur in seiner Naturlehre nachzuweisen versucht. Der Tod erscheint den Menschen so schrecklich, weil er Schmerzen verursacht, die Mythen von den Schrecken nach dem Tod erzählen und damit bereits in der Gegenwart lähmende Angst und eine Beeinträchtigung des möglichen Glücks erzeugen. Demgegenüber kennzeichnet den Weisen eine Haltung der Gelassenheit gegenüber dem Tod; er weist weder das Leben zurück, „noch fürchtet er das Nicht-Leben, denn weder ist ihm das Leben zuwider, noch vermutet er, das Nicht-Leben sei ein Übel. …, weil das Einüben des vollkommenen Lebens und des vollkommenen Sterbens ein und dasselbe ist“ (Epikur, Menoikeus 126).
Hedonismus als natürliches Verhalten
Auch die Ethik Epikurs basiert auf einer sensualistischen Erkenntnistheorie. Ausgangspunkt ist die einfache Beobachtung, dass der Mensch sich zu Lustempfindungen hingezogen fühlt, während er Schmerzempfindungen meidet. „Denn nur dann haben wir das Bedürfnis nach Lust, wenn wir deswegen, weil uns die Lust fehlt, Schmerz empfinden; (wenn wir aber keinen Schmerz empfinden), bedürfen wir auch der Lust nicht mehr. Gerade deshalb ist die Lust, wie wir sagen, Ursprung und Ziel des glückseligen Lebens“ (Epikur, Menoikeus 128). Mit ‚Lust‘ () meint Epikur nicht die Maximierung angenehmer, aber zugleich flüchtiger Gefühle/Zustände99, sondern eine natürliche Grundverfasstheit des Lebens, die als Freiheit von der Unruhe durch Furcht, Begierde und Schmerz und damit als Eudaimonie (Glück, Freude, Zuversicht) bezeichnet werden kann. Das Streben nach Glück entspricht der menschlichen Natur; Ziel des Einzelnen muss es daher sein, ein möglichst dem Wechsel von Lust und Unlust entzogenes Leben zu führen. Bestimmend ist dabei die Einsicht, dass uns die Bedürfnislosigkeit unbekümmerter und unabhängiger macht als ein Leben im Überfluss. Der Realisierung dieser letztlich individualistischen und auch unpolitischen Ethik dienen die ‚Lehrsätze‘ ( ) Epikurs100, die als praktische Anleitungen des glücklichen Lebens zu verstehen sind. Epikur betrieb eine bewusste Schulbildung und die Weitergabe seiner Lehrsätze sicherte über Jahrhunderte den Einfluss seiner Schule.
Skeptizismus