Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.. Udo Schnelle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Udo Schnelle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846346068
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das bei Plutarch so formuliert wird: „Was ist nun wirklich seiend? Das Ewige und Ungewordene und Unvergängliche, dem auch keine Zeit Veränderung bewirkt“ (Delphi 19). Für Plutarch sind Gott/die Götter die einzige der Zeit und dem Werden entnommene Wirklichkeit, sie stehen jenseits der Bewegung, des Werdens und Vergehens. Mit der Transzendenz Gottes verbindet sich deutlich eine Tendenz zum Monotheismus bei Plutarch116: Die Gottheit wird zwar bei den verschiedenen Völkern jeweils anders genannt, dennoch ist sie für alle Menschen dieselbe: „So gibt es einen Logos (images images), der den Kosmos ordnet, und eine Vorsehung, die dies leitet, und helfende Kräfte, die für alles eingeteilt sind.“117

      Mittlergestalten

      Das Konzept der einen, absolut transzendenten Gottheit musste die Frage aufwerfen, wie eine Kommunikation zwischen Gott und Mensch überhaupt möglich ist. Plutarch bestimmt Mittlerwesen, die den Kontakt zu den wahren Gottheiten halten und eine für die Menschen unabdingbare Funktion wahrnehmen. Er verdeutlicht es am Isis-Osiris-Mythos: „Aus diesem Grunde tut man wohl am besten, wenn man alles, was von Typhon, Osiris und Isis erzählt wird, nicht für Begebenheiten einiger Götter oder Menschen, sondern gewisser großer Geister (images images) hält, welche, wie auch Plato, Pythagoras, Xenokrates und Chrysipp mit den alten Theologen übereinstimmend behaupten, zwar stärker sind als Menschen und von Natur aus eine größere Macht besitzen als wir, aber auf der anderen Seite auch nicht eine ganz reine und unvermischte Gottheit, sondern so wie wir eine Seele und einen Körper haben, die Vergnügen und Schmerz empfinden können … Und Plato nennt diese Art von Dämonen Dolmetscher und Mittelpersonen zwischen den Göttern und Menschen, die die Wünsche und Gebete der Sterblichen vor die Gottheit tragen und von da Prophezeiungen und gute Gaben zurückbringen“ (De Iside et Osiride 360.361). Das Konzept göttlicher Mittlerwesen und die Tendenz zum Monotheismus bei Plutarch lassen erkennen, wie es auch für Menschen aus dem genuin griechisch-römischen Kulturbereich möglich war, einen Zugang zu der neuen Religion der Christen zu finden.

      Innerhalb der Ethik zeigt sich Plutarch als Philanthrop; er möchte die Menschen zur Überwindung der Begierden und zur tätigen Übung der Tugenden führen, um sie so von allen falschen Vorstellungen zu befreien. Deshalb gibt er Ratschläge auf fast allen Gebieten der Ethik, vom Fürstenspiegel bis hin zur Kindererziehung. Wahre Gottesfreunde sind nach Plutarch die Menschen dann, „wenn ihr geläuterter Sinn in Gott den Urquell alles Guten, den Vater alles Schönen erkennt, ihn, der Böses weder tun noch leiden kann. Er ist gut, und er weiß nichts von Missgunst, Furcht, Zorn und Hass“118. Gott gibt in der Vernunft/dem Logos Anteil an seiner Gerechtigkeit, Wahrheit und Milde und befähigt so die Menschen, sich dem Guten zuzuwenden.

      Die antike Philosophie war immer auch eine Form paganer Theologie; die Götter galten als die Garanten und Begleiter menschlichen Lebens. Um die Zeitenwende herum dominierte eine therapeutische Philosophie/Theologie, die darauf abzielte, den Menschen die Meisterung des Schicksals zu ermöglichen. Als Lebensform und Technik des Glücklichseins, als Wissenschaft vom Leben119 kommt es der Philosophie darauf an, die im Menschen vorhandenen Tugenden zu wecken bzw. die Einsicht des Menschen zu fördern, sich an diesen Tugenden zu orientieren.

      Emil Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi I–III, Leipzig 41901– 1911 (Nachdrucke). Engl. Neubearbeitung hg. v. Geza Vermes/Fergus Millar/Matthew Black, Edinburgh I–III 1973–1987. – Leo Baeck, Das Wesen des Judentums, Gütersloh 1998 (= 1905). – George F. Moore, Judaism in the first Centuries of the Christian Era I–III, Cambridge 1927–1930. – Martin Hengel, Judentum und Hellenismus, WUNT 10, Tübingen 21969. – Arye Ben-David, Talmudische Ökonomie, Hildesheim 1974. – Günter Stemberger, Geschichte der jüdischen Literatur, München 1977. – Ders., Das klassische Judentum, München 1979. – Haim Hillel Ben-Sasson (Hg.), Geschichte des jüdischen Volkes I, München 21981. – Jacob Neusner, Judentum in frühchristlicher Zeit, Stuttgart 1988.– Johann Maier, Zwischen den Testamenten, NEB.AT EB 3, Würzburg 1990. – Günter Stemberger, Pharisäer, Sadduzäer, Essener, SBS 144, Stuttgart 1991. – Hartmut Stegemann, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, Freiburg 102007. – Werner Eck, Rom und Judäa, Tübingen 2007. – Martin Hengel/Anna Maria Schwemer, Jesus und das Judentum, 39–168. – Kenneth C. Hanson/Douglas E. Oakman, Palestine in the Time of Jesus. Social Structures and Social Conflicts, Minneapolis 22008. – Peter Schäfer, Geschichte der Juden in der Antike, Tübingen 22010. – Richard A. Horsley, Revolt of the Scribes, Minneapolis 2010.

      Monotheismus, Erwählung, Tora und Tempel

      Als Oberbegriff benennt ‚Judentum‘120 die mit der Eroberung Babylons durch die Perser (539 v.Chr.) beginnende Geschichte Judas (zugleich idealtypisch: Israel) und der jüdischen Diaspora unter den militärisch-kulturellen Fremdmächten der Perser, Griechen und Römer121. Unter Darius I. wurden um 520 v.Chr. in der persischen Provinz Jehud neue Verwaltungs- und Wirtschaftsformen geschaffen, in deren Rahmen in mehreren Etappen eine Rückkehr von Exilanten aus dem Exil erfolgte. Der Tempel wurde wieder aufgebaut (ca. 520–515 v.Chr.) sowie Sozial- und Kultreformen unter Esra (458 v.Chr.?) und Nehemia (445–433 v.Chr.) durchgeführt. In dieser Zeit konstituierte sich die maßgebliche Form des Judentums. Im Zentrum der Bemühungen stand die Hochschätzung und Durchsetzung des Gesetzes des Mose (vgl. Esr 7/Neh 8;10)122, wobei der Einsetzung der Feste (Passa: Esr 6,19–22; Laubhüttenfest: Neh 8,13–18; Sabbat: Neh 13,15– 22) und dem Verbot der Mischehen offenbar eine besondere Bedeutung zukam (vgl. Esr 9f/Neh 13,1–3.23–31). Das Deuteronomium lieferte dafür das im Hintergrund stehende theologische Programm und spiegelt in seinen Fortschreibungen diesen Prozess. Der Wiederaufbau Jerusalems wird als göttliche Führungsund Bundesgeschichte interpretiert; Jahwe gibt seinem Volk seine alte/neue Identität zurück. Der Jahwe-Monotheismus, die Erwählung, die Tora des Mose, der Tempel, der Sabbat, der Bund und das Land ‚Israel‘ standen von nun an im Zentrum des religiösen Denkens und formten die Religion des Judentums (s.u. 3.3.1).

      Auch im Anschluss an die Eroberungszüge Alexanders des Großen im Nahen und Mittleren Osten (zwischen 336 und 323 v.Chr.) blieb Juda eine größtenteils autonome Provinz, die neben einem Statthalter von den jeweiligen Hohepriestern nach den Vorschriften der Tora geführt wurde. Unter den Ptolemäern (ca. 301–200 v.Chr.) und den Seleukiden (ca. 200–63 v.Chr.) geriet Juda angesichts des massiven Hellenisierungsdruckes in eine anhaltende Identitätskrise (s.u. 3.3.1), die zur Aktivierung jener Bewegungen (Apokalyptik, Weisheit) und zur Bildung jener Gruppen (Pharisäer, Essener, Zeloten) führte, die für die Welt des Neuen Testaments von großer Bedeutung sind. Auch nach der Eroberung Palästinas durch die Römer (Pompeius 63 v.Chr.) erfolgte keine direkte Unterstellung unter römische Herrschaft, sondern Vasallenfürsten (vor allem Herodes der Große 37–4 v.Chr.) regierten das Land unter Anerkennung seiner überlieferten religiös-politischen Strukturen.

      Die Entstehung der jüdischen Diaspora (images = „Zerstreuung“) ist im 6. Jh. v.Chr. mit dem babylonischen Exil und Deportationen verbunden123. Im 5. Jh. existierte nicht nur in Babylonien eine blühende jüdische Kultur, sondern auch für die ägyptische Nilinsel Elephantine ist eine Diaspora-Gemeinschaft belegt. In Kleinasien