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Als Gandolfini zu sich kam, lag er in seiner Wohnung auf der Couch. Die Whiskyflasche, die er von Mick Derek bekommen hatte, stand auf dem Couchtisch.
Er setzte sich benommen auf. Ein Mann saß ihm gegenüber. Mit seiner Pistole in der Hand. Der Mann war maskiert. Er erhob sich jetzt und schaute von oben auf Gandolfini herab.
»Verdammt, wer sind Sie denn?«, knurrte Gore Gandolfini.
»Es genügt, wenn ich weiß, wer Sie sind«, gab der Maskierte zurück.
»Warum haben Sie mich niedergeschlagen?«
»Ich wollte mir Ihnen gegenüber sicherheitshalber einen kleinen Vorteil verschaffen. Sie sind ein gefährlicher Mann.«
»Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen?«
»Ich bin nicht hier, um Ihnen etwas anzutun, Mr. Gandolfini«, stellte der Maskierte klar.
»Das erleichtert mich ungemein«, ätzte Gore Gandolfini. »Würden Sie mir dann freundlicherweise meine Kanone zurückgeben?«
»Später. Versuchen Sie bitte nicht, mich anzugreifen. Ich würde nur ungern von Ihrer Waffe Gebrauch machen. Im Grunde genommen verabscheue ich jede-Form von Gewalt, aber das Leben hat mich gelehrt, dass man ohne sie einfach nicht auskommt.«
In Gandolfinis Kopf überschlugen sich die Gedanken. Konnte er sich auf die Worte des Unbekannten verlassen? War der Mann wirklich nicht gekommen, um ihn umzulegen?
Aus Rache vielleicht? Weil er, Gandolfini, irgendjemanden erledigt hatte, der ihm nahe gestanden hatte? Einen Freund? Eine Freundin? Eine Schwester? Einen Bruder...? Die Liste der denkbaren Möglichkeiten war lang.
Was wird er tun, wenn ich ihn angreife?, überlegte der Killer. Wird er mich dann mit meiner eigenen Kanone erschießen?
Er beschloss, sich mustergültig zu verhalten. Wenigstens solange, bis sich ihm eine echte Chance bot, das Blatt blitzschnell zu wenden.
Sobald ich mein Schießeisen wiederhabe, ballere ich dir das ganze Magazin in die maskierte Fresse!, dachte der Profi-Killer feindselig.
»Sie sind wütend auf mich, nicht wahr?«, sagte der Fremde.
»Aber nein«, erwiderte Gandolfini mit triefendem Sarkasmus. »Warum sollte ich? Ich liebe es, von maskierten Typen hinterrücks niedergeschlagen zu werden. Da steh ich ganz irre drauf.«
»Würde es zur Entspannung der Situation beitragen, wenn ich mich entschuldige?«
Gore Gandolfini schwieg.
»Es tut mir Leid...«, sagte der Maskierte.
»Verdammt noch mal, was soll das, Mann?«, herrschte der Killer ihn an.
Er hatte sich noch nie in einer so verrückten Situation befunden.
Langsam glaubte er, dass er von dem Kerl wirklich nichts zu befürchten hatte. Der Maskierte schien tatsächlich nur dann Gewalt anzuwenden, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ.
Dadurch bekam der Killer, für den brutalste Gewalt zur Alltäglichkeit gehörte, allmählich Oberwasser.
»Darf ich nun endlich den Grund für Ihr Hiersein erfahren?«, sagte Gandolfini energisch und bestimmt.
»Ich möchte Ihre Dienste in Anspruch nehmen.«
Gandolfini nickte. »Meine Dienste.«
»Ich weiß, womit Sie Ihr Geld verdienen.«
»Was soll ich für Sie tun?«
»Ich möchte, dass Sie jemanden für mich erschießen«, sagte der Maskierte nüchtern.
»So, so. Und wen?«
»Eine Frau.«
»Ihre Frau?«, fragte Gandolfini.
»Nein, nicht meine Frau.«
»Wessen Frau sonst?«
»Andrew Holdens Frau«, antwortete der Maskierte.
»Laura Holden?«
»Genau die.«
»Warum tun Sie’s nicht selbst?«, wollte Gandolfini wissen.
»Wenn es sich vermeiden lässt, möchte ich mir die Finger nicht schmutzig machen.«
»Da kaufen Sie sich lieber einen Profi.«
»So ist es«, bestätigte der Maskierte.
»Der den Job schnell und sauber für Sie erledigt.«
»Ich denke, Sie sind dafür der richtige Mann. Wenn ich mit Ihnen zufrieden bin, können Sie mit weiteren Aufträgen rechnen.«
Gandolfini lachte blechern. »Hey, Mann, was haben Sie vor? Soll ich die Stadt für Sie ausrotten?«
»Sind Sie interessiert?«
»Ich bin nicht billig.«
Der Maskierte griff in die Innentasche seines Jacketts, holte einen länglichen Briefumschlag heraus und klatschte ihn vor Gandolfini neben der Johnnie-Walker-Flasche auf den Couchtisch. »Reicht das für Laura Holden?«
Gore Gandolfini öffnete das Kuvert mit spitzen Fingern und zählte die Geldscheine, die sich darin befanden. Dann griente er. »Was haben Sie gegen die Frau?«
»Nehmen Sie den Auftrag an?«, wollte der Fremde wissen.
Gandolfini nickte. »Ich bin Ihr Mann. Obwohl...«
»Ja?«
»Obwohl ich noch nie unter so bizarren Umständen zu einem Auftrag gekommen bin.«
»Die Situation ist auch für mich einmalig. Das können Sie mir glauben.« Der Maskierte legte die Pistole auf den Tisch und trat zurück. Er sagte dem Killer, wo er Laura Holden finden würde, und dann ging er.
Gore Gandolfini griff nach seiner Waffe. Er betrachtete sie und das Geld, schüttelte den Kopf und murmelte: »Verrückte Geschichte. Man könnte beinahe meinen, ich hätte das alles nur geträumt.«
Er stand auf und ging zur Tür. Er öffnete sie und schaute hinaus. Niemand war auf dem Flur. Der Spuk war vorbei.
Gandolfini stieß die Tür zu und ging zum Fenster. Er blickte auf die Straße hinunter, sah auf dem Bürgersteig eine Menge Passanten, und er fragte sich, wer von den Männern dort unten sich noch vor wenigen Augenblicken maskiert in seiner Wohnung aufgehalten hatte.
Sein Mund war trocken. Seine Zunge war pelzig. Er brauchte dringend einen kräftigen Schluck.
Er drehte sich um, ging zum Couchtisch, schnappte sich die Whisky-Flasehe und trank mit gierigen Zügen aus der Pulle.
Anschließend nahm er eine eiskalte Dusche.
Bob Verbinski war noch nicht einmal richtig kalt, da hatte er schon einen neuen Auftrag. Das Geschäft blühte...
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