Laura Holden würde nicht sein erstes weibliches Opfer sein. Er hatte keine Hemmungen, seine Waffe auch auf Frauen zu richten und abzudrücken, wenn jemand reichlich genug dafür geblecht hatte, und das hatte der große Unbekannte getan.
Gandolfini hatte keine Ahnung, warum Laura Holden sterben musste. Es war ihm egal. Manchmal kannte er den Grund, manchmal nicht.
Das beeinflusste den Ablauf seiner Tätigkeit und deren Qualität in keiner Weise. Es interessierte ihn nicht, warum jemand jemand anderen abserviert haben wollte.
Er war Geschäftsmann. Man kam zu ihm und kaufte für irgendeinen Mitmenschen den Tod. Und er brachte ihn dem Opfer dann. Prompt und zuverlässig.
Gandolfini fuhr mit dem Bus zu jenem Abbruchhaus, in dessen Keller er Andrew Holdens Frau finden würde. Niemand sah ihn, als er das schäbige Gebäude betrat.
Laura Holden hörte seine Schritte und zuckte zusammen. Es dauerte nicht lange, bis sie ihn sah. Sie hielt ihn für den Mann, der sich ihr bisher nur maskiert gezeigt hatte.
Er kam den kahlen, grauen Gang entlang. Seine Schritte waren fest, seine Haltung drückte Entschlossenheit aus. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Kommt er, um mich freizulassen?, fragte sich die Frau. Hat Andrew für mich Lösegeld bezahlt? Wenn ich meine Freiheit wiederbekommen soll, wieso maskiert der Mann sich dann nicht mehr? Warum zeigt er mir sein Gesicht? Jetzt kann ich ihn doch identifizieren.
Je näher der Fremde kam, desto unsicherer wurde Laura. Kalter Schweiß rann ihr den Rücken hinunter.
Er kann mich nicht laufen lassen, dachte sie ängstlich. Das wäre viel zu riskant für ihn. Er hat kein Geld für mich erhalten. Andrew hat ihm wahrscheinlich gesagt, er soll sich zum Teufel scheren. Was macht ein Kidnapper mit einem Opfer, das keiner zurückhaben will? O Gott, nein...!
Laura Holden riss entsetzt die Augen auf. Sie hatte begriffen.
Gore Gandolfini blieb stehen.
Sie starrte ihn verzweifelt an. Ihr Blick flehte ihn an, es nicht zu tun, doch er hatte das Geld genommen und musste dafür seinen Job erledigen.
Mit granitharten Zügen holte er seine Waffe heraus und richtete sie ohne jede Gemütsregung auf die Frau...
18
Lee Cheadle war 19 und arbeitslos und unheimlich scharf auf die 17-jährige Geena Jackson. Das bildschöne Girl wuchs - zu seinem großen Bedauern - sehr behütet auf. Sie war zwar auch sehr verknallt in Lee, aber zum Liebe-Machen waren die beiden bisher noch nicht gekommen, weil sich einfach noch keine günstige Gelegenheit dazu geboten hatte.
Im Park, auf einer Bank, wo man jederzeit ertappt werden konnte, lehnte es Geena ab. Die Brooklyn Docks waren ihr nach Einbruch der Dunkelheit zu unheimlich. In ein Stundenhotel wagte sich Geena nicht. In ihrem eigenen Zimmer war es unmöglich, weil Mom und Dad so gut wie immer zu Hause waren. Und bei Lee daheim ging es schon gar nicht, weil sie zu sechst in einem Zimmmer-Küche-Loch hausten.
Also, was tun? Not macht bekanntlich erfinderisch, und als Lee Cheadle zu Hause aus dem Fenster schaute und zufällig mitbekam, wie sich jemand im Haus gegenüber eines schäbigen Gästeklappbettes entledigte, indem er es zwischen die Mülltonnen stellte, machte es bei ihm »Klick!«.
Er strahlte, grinste und schnippte mit den Fingern. »Yeah! Das ist es?«
»Ist dir eingefallen, wie man Fort Knox knacken kann, mein Junge?«, fragte sein alter, weißhaariger, zahnloser Großvater.
Nicht Fort Knox, dachte Lee begeistert. Aber Geena Jackson - was für mich viel wichtiger ist.
Er blieb seinem unrasierten Grandpa die Antwort schuldig, stürmte aus der Wohnung und schnappte sich das Klappbett, bevor es sich ein anderer unter den Nagel reißen konnte.
Gleich um die Ecke stand ein Haus, in dem niemand mehr wohnte. In einem der Räume sollte es endlich passieren. Nicht auf dem dreckigen Fußboden, sondern auf einem richtigen Bett. Auf dem Klappbett, das er soeben organisiert hatte.
Er würde Geena davon erzählen, und sie würde bestimmt nicht Nein sagen, wenn er ihr vorschlug, sich mit ihm für ein erstes heißes Schäferstündchen in dieses Abbruchhaus, in dem sie unbeobachtet und ungestört sein würden, zurückzuziehen. Lee malte sich das Ganze in den schillerndsten Farben aus, und sein Herz schlug dabei kräftig gegen die Rippen.
Wenn Geena nicht noch so jung gewesen wäre, wenn er einen Job und eine eigene Wohnung gehabt hätte, hätte er sie auf der Stelle geheiratet.
Aber die Umstände waren vorerst noch gegen einen solchen Schritt, und so musste er wohl oder übel warten.
Nicht mehr warten wollte er jedoch auf das Glück in Geenas Armen. Während er das Klappbett um die Ecke schleppte, dachte er: Ich werde die Liege erst mal im Keller verstecken, damit es sich kein verwanzter Penner darauf gemütlich macht.
Bevor er das Abbruchhaus betrat, blieb er kurz stehen. Er schaute nach links und rechts. Niemand war in der Nähe. Prima. Rasch huschte er in das alte Gebäude, das wohl nicht mehr allzu lange hier stehen würde.
Aber Geena und ich werden noch sehr lange an dieses Haus denken, ging es ihm durch den Sinn, und ein verträumtes Lächeln glitt dabei über sein hübsches Gesicht.
Er stieg die Kellertreppe hinunter und gelangte in einen düsteren Gang. Seine Gedanken beschäftigten sich so sehr mit dem, was er hier schon bald mit Geena Jackson anstellen würde, dass er sich kaum umsah.
Doch plötzlich stutzte er.
Verdammt, was ist denn das?, schoss es ihm mit einem Mal durch den Kopf.
Er ließ das Klappbett los. Es kippte gegen die Wand.
Er eilte ein paar Schritte ohne das Bett weiter und blieb dann abrupt stehen.
Vor ihm saß eine Frau auf einem Stuhl. Sie war gefesselt. Ihr Mund war zugeklebt.
Und sie war tot...
19
Die Mordkommission unter der Leitung von Lieutenant Kramer war noch am Tatort, als Milo und ich eintrafen. Larry Brown, Kramers Assistent, kam uns entgegen.
Wir wechselten ein paar Begrüßungsfloskeln. Dann reichte Brown uns an seinen Vorgesetzten weiter.
Kramer informierte uns ausführlich. Dann zeigte er uns die Leiche. Man hatte Laura Holden vom Stuhl losgebunden, den Klebestreifen von ihrem Mund entfernt und sie auf den Boden gelegt.
»Wie