In jedem Fall war Mazarin von dieser Konstellation begeistert. Mit den Barberini hatte er einen hervorragenden Vorwand im Hause, sich in die Politik des Kirchenstaates einmischen zu können, und das tat er mit großer Entschlossenheit. Seine Politik zielte darauf, den Papst zu einer Amnestierung der Barberini zu bewegen: damit würde alle Welt sehen, wie weit die französische Macht reichte. Umgekehrt wollte Innozenz X. genau aus diesem Grund von Amnestie nichts wissen. Er war der Herr im Kirchenstaat und nicht im mindesten gesonnen, sich von anderen Mächten in innere Angelegenheiten hereinreden zu lassen.
Diego Velázquez, Porträt Papst Innozenz’ X. Pamphili, Galleria Doria-Pamphilj, Rom
Diego Velázquez, als spanischer Hofmaler wiederholt in Italien, schuf das Porträt des Pamphili-Papstes im Jahre 1650. In der Wahl des Malers drückte sich nicht zuletzt die politische Ausrichtung des Papsttums in diesen Jahren aus: Innozenz X. (1644–1655) setzte zu Beginn seiner Herrschaft eindeutig auf ein gutes Verhältnis zu Spanien; entsprechend schlecht entwickelten sich die diplomatischen Beziehungen zu Frankreich. Eindrucksvoll kommt in dem Bild die Verschlagenheit des für seine Stimmungsschwankungen und unkontrollierten Wutausbrüche berüchtigten Pontifex zum Ausdruck, der bei der Enthüllung des Bildes gesagt haben soll: „Troppo vero“ – „Zu wahr!“
Kein Wunder also, dass Innozenz X. auf die Ausführungen des Botschafters d’Étampes-Valençay mit Unwillen reagierte, als man auf die Barberini-Affäre zu sprechen kam. Das war allerdings nicht der einzige Grund für seinen Wutanfall. Vielmehr hatte der Papst vor ein paar Tagen erfahren, dass d’Étampes im Botschaftsgebäude einem lange gesuchten Berufskriminellen und mehrfachen Mörder Unterschlupf gewährte. Das klingt für unsere Ohren unglaubwürdig, war aber im Rom des 17. Jahrhunderts nicht gar so sensationell. Wenn man dem päpstlichen Stadtherren die Grenzen seiner Macht vor Augen führen wollte, war die Beherbergung von Kriminellen keine schlechte Methode. So dachte sich auch d’Étampes und ließ für den Banditen sogar einen versteckten Verschlag zimmern. In den folgenden Wochen war die Gegend um die französische Botschaft ein gefährliches Pflaster. Eines Morgens fanden Passanten im Morgengrauen vor dem Tritonenbrunnen einen abgeschlagenen Kopf, der so entsetzlich zugerichtet war, dass er nicht einmal identifiziert werden konnte. Wenig später wurde ein Soldat der päpstlichen Truppen in derselben Gegend umgebracht.
Schließlich aber kamen die päpstlichen sbirri (wörtlich: Häscher, die frühneuzeitlichen Vorläufer der Polizei im Kirchenstaat) dem Banditen auf die Schliche. Auf seinen Kopf war inzwischen die beachtliche Summe von 300 scudi ausgesetzt, etwaigen Denunzianten vollkommene Anonymität zugesichert worden. Unter diesen Umständen waren sogar einige Botschaftsangestellte zur Aussage bereit, die nicht nur die Anwesenheit des Verbrechers bestätigten, sondern den Bütteln des Papstes auch noch sein Versteck verrieten, „denn um das Kopfgeld zu bekommen kümmerte man sich nicht um die Schande, für einen Verräter gehalten zu werden und einen Rebellen gegen seinen Herrn“.
Innozenz X. war sich seiner Sache also zu Recht sicher, als er in seiner Wut dem französischen Botschafter an den Kopf warf: „Nehmt zur Kenntnis, dass wir Berichte und Beweise haben, dass sich in Eurem Palast Verbrecher aufhalten!“ Und wie hatte d’Étampes darauf reagiert? Nicht etwa mit Verlegenheit oder gar einer Entschuldigung, sondern mit entrüstetem Leugnen! Dergleichen war unerhört? Innozenz verlor den Rest seiner Fassung. Es fehlte nicht viel, und der fünfundsiebzigjährige Greis hätte sich auf sein Gegenüber gestürzt. Die Audienz endete mit der brüsken Verabschiedung d’Étampes, und noch bevor der Botschafter den Quirinalspalast verlassen hatte, rief der Papst den Chef der Stadtverwaltung, den governatore di Roma, Monsignore Girolamo Farnese, zu sich. Hier galt es, ein Exempel zu statuieren, und zwar ein weithin sichtbares. Wenn d’Étampes-Valençay glaubte, er könne den päpstlichen Ordnungskräften auf der Nase herumtanzen, so würde es höchste Zeit, ihn eines Besseren zu belehren!
Der Plan, den der greise Papst und der governatore di Roma nun fassten, war ebenso schlicht wie spektakulär: er sah nicht weniger als die Erstürmung der französischen Botschaft vor, mithin die Verletzung der diplomatischen Immunität, um den Verbrecher festnehmen zu können. Zu diesem Zweck würde man nicht nur ein paar sbirri losschicken, sondern ihnen zur Rückendeckung 150 Mann der päpstlichen Garde mitgeben. Die Soldaten waren in drei Gruppen zu 50 Mann aufzuteilen. Jede Gruppe hatte eine der Zugangsstraßen zur Botschaft zu sperren und erhielt zu diesem Zweck auch gleich noch ein leichtes Feldgeschütz. War die französische Botschaft auf diese Weise isoliert, sollten die sbirri ohne Vorankündigung das Tor des Palazzo aufsprengen, das Personal festsetzen und sich auf die Suche nach dem Mörder machen, ihn festnehmen und daraufhin zum Quirinal gehen, um ihn dem Papst vorzuführen. Der würde in diesem Moment gerade d’Étampes zur Audienz empfangen und ihm das menschliche Corpus Delicti zeigen, wenn es an den Fenstern des Audienzzimmers vorbeigeführt wurde. Kein Zweifel, das würde Eindruck machen! Und bei dieser Gelegenheit konnte Innozenz dem Botschafter nicht nur sein Vergehen vorwerfen, sondern den arroganten Kerl auch gleich aus Rom ausweisen.
Gesagt, getan: als d’Étampes einige Tage später erneut zur Audienz erschien, wurde der Plan in die Tat umgesetzt. Die Tore der französischen Botschaft waren kaum gesprengt, als die sbirri auch schon das gesamte Botschaftspersonal festnahmen, damit es nicht etwa den Hausherrn benachrichtigen konnte. Dann machte man sich daran, das beschriebene Versteck zu suchen, wo man den Verbrecher in ahnungslosem Schlaf antraf, ihn sich in aller Eile ankleiden ließ, fesselte und zum Quirinal abführte. Da von Seiten der völlig überraschten Franzosen keinerlei Widerstand geleistet wurde, brauchten die Soldaten nicht einzugreifen und auch der Einsatz der Feldgeschütze in den engen Straßen Roms unterblieb.
Als der Papst die Prozession der sbirri mit dem Delinquenten in ihrer Mitte sah, rief er den Botschafter ans Fenster und machte seine Vorsätze wahr, indem er ihn ins Gesicht einen Lügner nannte, und, besonders tödlicher Vorwurf in der auf Etikette bedachten höfischen Gesellschaft, einen schlechten Edelmann. D’Étampes war tatsächlich für einen Augenblick sprachlos, erst recht als ihm bedeutet wurde, er habe drei Stunden Zeit, um Rom, sechs Stunden, um den Kirchenstaat zu verlassen. Doch war es eher ein Schweigen der Wut als der Beschämung. Kaum in der Botschaft zurück, schickte er einen Eilboten los, der die Nachricht vom Skandal nach Paris bringen sollte. Daraufhin verließ er wie befohlen Rom.
Der Nachrichtenverkehr im 17. Jahrhundert war für unsere Begriffe äußerst langsam; selbst ein hoch bezahlter Eilbote brauchte unter günstigen Bedingungen rund zehn Tage von Rom nach Paris. Es versteht sich, dass d’Étampes der Ansicht war, die Ereignisse würden die Sendung eines solchen rechtfertigen. Die Antwort des französischen Königs kam denn auch rasch, und sie fiel aus, wie d’Étampes es erhofft und erwartet hatte. In hochoffizieller Empörung über die Verletzung der diplomatischen Immunität wurde verlangt, der Papst solle unverzüglich Genugtuung leisten, und zwar indem er zuallererst den Botschafter nach Rom zurückrufe, zweitens die am Übergriff auf die Botschaft beteiligten sbirri öffentlich hinrichten lasse und drittens den governatore der Stadt Rom nach Paris schicke, damit er dort offiziell den König um Entschuldigung bitte.
Der Papst war erneut außer sich. Hatte er nicht mit seiner Polizeiaktion lediglich das Recht, ja die Pflicht eines verantwortungsbewussten Landesherren ausgeübt? War nicht auf dem Botschaftsgelände tatsächlich ein notorischer, steckbrieflich gesuchter Mörder gefasst worden? Und hatte d’Étampes-Valençay schließlich nicht nur mit dessen Aufnahme gegen Recht und Gesetz verstoßen, sondern ihn darüber hinaus auch noch angelogen? Der Wutausbruch war verständlich und ebenso die nächste Reaktion Innozenz’ X. Gegenüber dem Überbringer des französischen Forderungskataloges, Henri Arnauld, Abt von S. Nicola, lehnte er es kategorisch ab, über eine Rückkehr d’Étampes in die Ewige Stadt auch nur zu verhandeln. Die unerträgliche Arroganz und maßlose Unverschämtheit des Diplomaten wolle er an seinem Hof nicht mehr dulden.
Das mochte vielleicht verständlich sein, gefiel aber