Kardinäle, Künstler, Kurtisanen. Arne Karsten. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Arne Karsten
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783534273911
Скачать книгу
allerbeste Gewissen hätte. In diesem Sinne hatte er ein bitterböses Breve an Karl V. gesandt, in dem er diesem als Kriegstreiber schwerste Vorhaltungen machte und sich selbst als unschuldiges Opfer dieser hinterhältigen Machenschaften darstellte. Dieser Ton erschien ihm dann allerdings nach dem üblichen Hin- und Herüberlegen zu scharf, so dass der fast schon obligatorische Zweitkurier mit einem weitaus milderen Schreiben hinterhergeschickt wurde, aufgrund des schlechten Wetters seinen Kollegen jedoch nicht mehr einzuholen vermochte. So kam Karl in den Genuss der beiden Texte, auf die er sich zweifach zu antworten das Vergnügen machte: einmal schroff, einmal verständigungsbereit. War das der Punkt ohne Wiederkehr, der letzte Anstoß dazu, den Dingen ihren Lauf zu lassen und diesen Papst seinem Schicksal zu überantworten?

      Auch andernorts werden makabre Komödien aufgeführt. Geronimo Morone, die schwarze Seele der antikaiserlichen Verschwörung, sieht seiner für den nächsten Tag angesetzten öffentlichen Hinrichtung mit amüsierter Gelassenheit entgegen. Zu Recht: auf dem Schafott tut sich nichts, die schaulustigen Mailänder müssen enttäuscht von dannen ziehen. Der schlaue Diplomat wird nicht nur begnadigt, sondern rückt auch gleich wieder in seine alte Führungsposition auf. Im Zeitalter des Scheins sind Meisterbetrüger wie er absolut unverzichtbar. Das Jahr 1526 endet, wie es begonnen hatte: mit bösen Vorzeichen für Rom. Am Silvestertag nämlich schließt der Herzog von Ferrara einen Pakt mit dem Kaiser – rette sich, wer kann. Inzwischen nähert sich dessen immer zügellosere Armee Bologna und damit den Apennin-Übergängen. Clemens VII. aber sieht keinerlei Grund für Besorgnis oder gar Eile. Er führt in der nächsten Umgebung Roms Krieg gegen die Colonna und spanische Truppen, natürlich ohne die Unterredungen mit Moncada abzubrechen. Und während im Januar und Februar 1527 Moncadas Truppen Frosinone im römischen Hinterland belagern, versichern sich Papst und Kaiser in einem freundlich gehaltenen Briefwechsel ihrer guten Absichten und wechselseitigen Friedenssehnsucht, was Frankreich und Venedig naturgemäß aufs Höchste irritiert. Clemens zieht aus den milden Tönen seines Kontrahenten den Schluss, weiterhin am längeren Hebel zu sitzen, und hält dementsprechend seine Verbündeten energisch dazu an, mit der Expedition gegen Neapel endlich Ernst zu machen. Am 12. Februar soll das Unternehmen beginnen. Die Beute ist schon vorab verteilt. Das südliche Königreich ist für einen französischen Prinzen reserviert, der die siebenjährige Caterina de’Medici, eine Nichte des Papstes, heiraten soll; große Politik und Nepotismus befinden sich in zeittypischer Interesseneinheit. Der angesichts der Lage im Norden äußerst riskante Feldzug aber gerät von Anfang an ins Stocken: kein Geld, nichts zu essen, mangelhafte Logistik und keinerlei Enthusiasmus, stattdessen tiefes Misstrauen auf allen Seiten.

      Die eisernen Würfel fallen anderswo. Dem abgerissenen kaiserlichen Heer hingegen stellt sich auf seinem Weg zur Beute kein nennenswerter Widerstand entgegen. Stattdessen hat der Herzog von Urbino eine Art Escortservice eingerichtet. Ein kleiner Heeresverband der Liga zieht der feindlichen Armee voraus, der große Rest hinterher, in sicherer Entfernung, versteht sich. Jetzt endlich geht Clemens’ Beratern ein Licht auf. Vielleicht sollte man dem Herzog von Urbino seine verlorenen Gebiete zurückgeben. Der Papst ist strikt dagegen. Sein Geiz erlaubt vorerst kein Einlenken; zähneknirschend gibt er am 13. April dann doch nach – als es längst zu spät ist. Inzwischen nämlich hat die feindliche Truppe das Gebirge überschritten und peilt Florenz an: rasend vor Hunger und Wut. Ihr sind auch die eigenen Kommandeure längst nicht mehr gewachsen; der Einzige, der diese verrohten Söldner noch bändigen könnte, Frundsberg, hat einen Schlaganfall erlitten und die Sprache verloren.

      Statt sich in letzter Minute zu energischen Verteidigungsanstrengungen aufzuraffen, setzt Clemens weiterhin auf Verhandlungen, natürlich mit beiden Seiten. Einerseits fordert er immer kategorischer Unterstützung von seinen Verbündeten, andererseits schließt er mit den Kaiserlichen einen Waffenstillstand auf acht Monate. Im Glauben, jetzt endlich im sicheren Hafen angekommen zu sein, gibt er – wiederum den Bestimmungen des Pakts vorauseilend – allen Gegnern in der römischen Campagna ihre zwischenzeitlich entzogenen Besitzungen zurück. Frankreich und Venedig sind naturgemäß alles andere als erfreut über die hinter ihrem Rücken getroffenen Abmachungen; ihre ohnehin geringe Bereitschaft, dem irrlichternden Pontifex maximus noch zur Hilfe zu eilen, erlahmt vollends. Nur ein einziges Mittel könnte die rasende Soldateska jetzt noch aufhalten: viel Geld, bar auf die Hand. Dazu aber sieht Clemens nicht den geringsten Anlass; wo blieben dann seine Nepoten? Andere sind klüger und greifen nach diesem Strohhalm; Bologna etwa kauft sich in letzter Minute von der Plünderung frei.

      Der Papst aber pocht auf sein Vertragspapier und entlässt seine letzten Truppen. Als das kaiserliche Heer vor den Mauern von Florenz angekommen ist, brechen dort Tumulte aus. Seit vier Jahren trug die Arnostadt die Kosten der päpstlichen Politik; jetzt aber, im Augenblick der höchsten Gefahr, sieht sie sich allein gelassen. Längst war ein großer Teil des Patriziats und die überwältigende Mehrheit der Mittelschicht das pseudorepublikanische Vormundschaftsregiment des Papstes beziehungsweise seiner arroganten Parvenüs vor Ort überdrüssig. Sie alle werden jetzt vertrieben, jedoch binnen weniger Stunden zurückgeholt und wieder eingesetzt. Noch ist die Macht des Papstes nicht gestürzt, noch funktionieren seine Sicherheitskräfte. Um dieselbe Zeit, am 25. April 1527, hatte sich Clemens wieder seiner Verbündeten erinnert und eine neue Föderation mit Frankreich und Venedig geschlossen. Doch dieser Panikdiplomatie trauen die nominellen Alliierten längst nicht mehr; auf ein alles entscheidendes Gefecht lassen sie sich weiterhin nicht ein.

      Nur pro forma werden einige Truppen per Eilmarsch Richtung Tiber geschickt; sie bleiben Zaungäste des dortigen Geschehens. In Rom nimmt der Papst den condottiere Renzo da Ceri unter Vertrag. Dessen große Zeit liegt lange zurück. Er versichert seinem Auftraggeber, dass die Verteidigung der Ewigen Stadt kein Problem darstelle und sich das feindliche Heer an deren Mauern die Zähne ausbeißen werde. Clemens ist beruhigt; vorsichtshalber lässt er jedoch einen feierlichen Aufruf an die Römer ergehen, sich ihrer mehr als zweitausendjährigen ruhmreichen Geschichte würdig zu erweisen. Das Echo ist schwach; der reichste Mann Roms, so Guicciardini süffisant, spendet dem Gemeinwohl stolze hundert scudi.

      So kommt es, wie es kommen muss. In den Morgenstunden des 6. Mai 1527 erstürmt das kaiserliche Heer unter Bourbon, der gleich zu Beginn von einem Arkebusenschuss tödlich getroffen wird, ohne allzu große Mühe die Borgomauern, strömt von dort nach Trastevere und ergießt sich über die Brücken, die einzureißen man nicht für nötig befand, in die übrigen Stadtteile. Eine monatelange Terrorherrschaft der Soldateska hebt an, der inklusive der Kampfhandlungen an die viertausend Personen zum Opfer fallen. Und jetzt stürzt auch die Macht der Medici in Florenz quasi von selbst. Eine der üblichen Plünderungen aber, wie sie viele Städte der Zeit über sich ergehen lassen müssen, ist der Sacco di Roma nicht. Zum einen wird die Anarchie zum Dauerzustand; für die Römer bricht ein Alptraum an, der ein volles Dreivierteljahr dauert. Er kann zum anderen schon deshalb nicht enden, weil die Söldner keinen Befehlshaber mehr anzuerkennen bereit sind. Selbst kaiserliche Würdenträger, in die Ewige Stadt zur Herstellung eines Minimums von Ordnung abkommandiert, müssen um ihr Leben fürchten. Vor allem aber ist die Gewaltanwendung anders als sonst motiviert und auf andere Ziele gerichtet. Ein Großteil der deutschen Söldner hat aus der reformatorischen Propaganda die Botschaft mitgenommen, dass der Papst der Antichrist, Rom die Hure Babylon sei, die Vernichtung der Stadt und ihres Hauptes also ein frommes, möglicherweise sogar die seligen tausend Jahre Christi auf Erden einleitendes Erlösungswerk bedeute. Und dieser Auftrag wird nach Vorschrift, genauer: nach Gebrauchsanweisung vollzogen. Die wirkungsvollsten der antipäpstlichen Pamphlete nämlich waren, um ein leseunkundiges Publikum anzusprechen, mit aussagekräftigen Holzschnitten versehen. Darauf verrichten Landsknechte ihre Notdurft in die päpstliche Tiara, baumeln Kardinäle am Galgen. In der virtuellen Welt der Flugblätter wie in deren getreulicher Umsetzung auf römischen Straßen und Plätzen läuft alles auf einen dauerhaften Karneval, auf eine verkehrte, von oben nach unten und von unten nach oben gekehrte Weltordnung hinaus, in der die einfachen Leute sich selbst ein ewiges Schlaraffenland bescheren.

      Dessen Verwirklichung schien jetzt endlich, im Zeichen des nahenden Weltenendes, angebrochen. Alle Zeugen der bestürzenden Vorgänge, so emotional ihr Bericht im Einzelnen auch aufgeladen ist, stimmen hierin überein: dass die Stunde der Profanierung, der systematischen Entweihung geschlagen hat, dass die Riten der Kirche jetzt zu deren Verhöhnung benutzt werden. Spottumzüge mit hohen Prälaten, rückwärts auf Maultiere platziert, dienen der Belustigung,