»Ich liebe dich, Kleines.« Ich drücke ihr einen weiteren Kuss auf die Stirn, ehe ich vorsichtig aufstehe und sie zudecke. Dann lege ich das Buch auf den Tisch neben dem Bett, schalte die Lampe darauf aus und ihr Nachtlicht an, das kleine Sterne an die Decke projiziert. Anschließend verlasse ich ihr Zimmer. Ich muss morgen arbeiten und Maddi in die Schule, also werde ich früh aufstehen, um sie zu wecken und fertig zu machen, was keine leichte Angelegenheit ist.
Ich reibe mir über die Augen, lösche alle Lichter in der Wohnung, mache den Fernseher aus und gehe in mein Schlafzimmer. Ausgezogen lege ich mich ins Bett und nehme mein Handy, um mir einen Wecker zu stellen. Sofort springt mir eine Nachricht meiner Assistentin, Sam, bezüglich einer potenziellen neuen Klientin ins Auge. Der Umzug nach New York City hat mich zuerst beunruhigt. Allein die Preise für eine Wohnung reichten aus, um mir Herzrasen zu bereiten, aber es war die beste Entscheidung überhaupt. Impeccable Designs gilt als eines der besten Architekturbüros der Stadt und dank der Empfehlungen zufriedener Kunden habe ich mehr Arbeit, als ich bewältigen kann. Wenn die Dinge weiterhin laufen wie bisher, sollte ich nächstes Jahr in der Lage sein, mir für Madeline und mich eine größere Bleibe zu leisten.
Ich bin in die alte Wohnung von Fawn – der Ehefrau meines Bruders – gezogen; diese ist zwar schön, aber klein. Madelines Zimmer ist nicht einmal ein richtiges Zimmer. Ich glaube, dass es ursprünglich eine Abstellkammer war. Trotzdem kann ich mich glücklich schätzen, dass sie ihr eigenes Reich hat. Wirklich, ich kann mich über unsere Wohnsituation nicht beschweren. Levi und Fawn leben direkt gegenüber auf der anderen Seite des Flurs und sind immer bereit, mir mit Madeline unter die Arme zu greifen. Worüber ich mehr als froh bin, wenn ich länger arbeiten muss oder Maddi in der Schule krank wird, ich sie aber nicht abholen kann.
Ich verbinde mein Mobiltelefon mit dem Ladegerät und lege es auf den Nachttisch, ehe ich die Augen schließe. In den Jahren vor der Trennung hatte ich Probleme zu schlafen, aber seit Eva weg ist, hat sich das geändert. Auch heute döse ich mühelos ein.
3. Kapitel
Trolls
Courtney
Ehe die Ampel zurück auf Rot springt, eile ich mit den übrigen Passanten über die Straße, nur um mit meinem Schuh in einem Riss im Asphalt hängenzubleiben. Ich sehe mich schon auf die Nase fallen, erlange mein Gleichgewicht aber im letzten Moment wieder. Doch ein unglückbringendes Knacken später stehe ich erneut auf wackeligen Beinen, als mein Absatz abbricht.
»Mist.« Ich halte nicht an, denn die hupenden Autos um mich herum lassen mir keine Gelegenheit dafür. Stattdessen stolpere ich zum nächsten Bürgersteig. Dort angekommen, betrachte ich den Schaden. Mit einer Hand Balance an einer Laterne suchend, ziehe ich mit der anderen meinen Stöckelschuh aus, um diesen zu inspizieren.
Man möchte glauben, dass Heels, die beinahe tausend Dollar gekostet haben, weniger schnell kaputtgehen als solche aus billigem Kunststoff. Da sie ein Geschenk von Tom waren, sollte es mich nicht überraschen, dass sie auseinanderfallen.
Seufzend sehe ich mich um, in der Hoffnung, einen Laden zu sichten, in dem ich schleunigst ein neues Paar ergattern kann. Himmel, ich würde sogar Plastik-Flip-Flops nehmen. Als ich kein passendes Geschäft entdecken kann, werfe ich einen Blick auf meine Uhr. Mir bleiben zehn Minuten, um zu dem Meeting mit meinem Innenarchitekten zu gelangen. Bisher bin ich Mr Fremont noch nicht persönlich begegnet, sondern hatte hauptsächlich mit seiner Assistentin zu tun. Er wurde mir allerdings wärmstens empfohlen, weshalb ich große Erwartungen hege, dass mir seine Gestaltungspläne für mein Haus gefallen werden. Insbesondere da ich, wenn ich ganz ehrlich bin, nicht die Vorstellungskraft besitze, um mir auch nur eine Idee aus den Fingern zu saugen. Zumindest keine, die ich umsetzen möchte.
Aus Ermangelung anderer Möglichkeiten, ziehe ich meinen Schuh wieder an. Unter gar keinen Umständen werde ich barfuß über eine dreckige Straße in New York City laufen. Ich ernte mehr als nur ein paar seltsame Blicke, als ich unbeholfen den Gehweg entlangstakse; diese ignorierend, konzentriere ich mich darauf, irgendwie heile an mein Ziel zu gelangen. Sobald ich das Bürogebäude erreiche, in dem Impeccable Designs seinen Sitz hat, eile ich durch die Sicherheitskontrolle und betrete den Fahrstuhl. Im neunundvierzigsten Stock angekommen, betrachte ich die dunkelblauen Wände und die gerahmten Blaupausen. An einem kleinen Sitzbereich mit einem gläsernen Kaffeetisch, zwei niedrigen Ledersesseln und einem schwarzen Ledersofa vorbeistolpernd, stehe ich schließlich vor einem Empfangstresen. Eine wunderschöne blonde Frau sitzt dahinter und mustert mich mit besorgtem Gesichtsausdruck.
»Kann ich Ihnen helfen?«, erkundigt sie sich.
Vorsichtig stütze ich mich mit meinem Gewicht auf den Schuh, dessen Absatz nicht abgebrochen ist. »Ich habe ein Meeting mit Mr Fremont.«
Sie schaut auf ihren Computer und tippt etwas in ihre Tastatur ein. »Courtney Williams?« Sie sieht mich wieder an, und ich nicke. »Ich lasse ihn wissen, dass Sie hier sind. Sie können dort drüben Platz nehmen, während Sie warten. Darf ich Ihnen etwas bringen? Einen Kaffee oder ein Wasser?«
»Haben Sie zufälligerweise ein extra Paar Schuhe?«, scherze ich halbherzig, und sie lächelt mitfühlend.
»Zufällig, ja.« Sie kramt unter ihrem Schreibtisch herum, ehe sie mir einen kleinen Umhängebeutel hinhält. »Sie können diese haben. In meiner Schublade habe ich noch welche.«
»Ist das Ihr Ernst?«, frage ich ungläubig und werfe einen Blick in den Beutel. Darin befinden sich schwarze, weiche Ballerinas mit Gummisohle.
»Wir Frauen müssen zusammenhalten.« Sie zuckt mit den Schultern, während ich am liebsten über den Schreibtisch springen und sie umarmen würde.
»Vielen lieben Dank. Ich werde mich revanchieren.«
»Alles gut, machen Sie sich keine Gedanken.«
Blinzelnd sehe ich sie an. Sie könnte ein Model sein, und meiner Erfahrung nach denken solche Frauen nur an sich selbst. In der Regel helfen sie einer anderen nicht aus, wenn diese in Schuhnöten ist. Selbst wenn, müsste man für einen solchen Gefallen sein Erstgeborenes hergeben. Okay, zumindest waren die meisten Ehefrauen von Toms Kollegen so drauf.
»Danke.« Gedanklich mache ich mir eine Notiz, ihr den größten Blumenstrauß zu schicken, den ich bestellen kann. Dann schlüpfe ich aus meinen High Heels und in das flache Paar, ehe ich meine in meiner Handtasche verstaue.
»Gern geschehen.« Wir lächeln einander an; sobald jedoch jemand mit rauer Stimme von der anderen Seite des minimalistisch, aber elegant eingerichteten Empfangsraumes meinen Namen sagt, schaue ich zu ihm hinüber. Sofort gerät meine gesamte Welt ins Wanken.
Umwerfend ist das Wort, das mir in den Sinn kommt, während ich Mr Lucas Fremont betrachte. Er trägt eine schwarze Krawatte, ein blütenweißes Hemd und eine schwarze Hose. Seine Kleidung schmiegt sich wie eine zweite Haut an seinen schlanken, muskulösen Körper. Ich lasse meinen Blick an ihm hinaufwandern und mir wird klar, dass er ein Mann ist, der um sein gutes Aussehen weiß, aber sich keine großen Gedanken um sein Erscheinungsbild macht. Seine Haare sind ein bisschen zu lang, dunkelblond und scheinen von Natur aus hier und da ein paar hellere Akzente zu haben. Seine Haut ist von der Sonne gebräunt und nicht von einem regelmäßigen Besuch im Solarium, wie es bei Männern heutzutage im Trend liegt. Er hat ein markantes Gesicht, das nicht gänzlich frei von Bartstoppeln ist, als hätte er heute Morgen vergessen, sich zu rasieren. Seine Augen ... Sie sind hellblau und umgeben von dunklen Wimpern, die sie noch mehr zum Leuchten bringen.
»Courtney.« Seine tiefe Stimme reißt mich aus meiner Starre und erst jetzt merke ich, dass er nähergekommen ist. Nah genug, dass ich meinen Fehler sofort erkenne. Denn seine Augen sind nicht blau, sondern eher von einem weichen Grau mit einem dunkelblauen Ring um die Iris.
»Ähm. Ja.« Ich schlucke, mache einen Schritt auf ihn zu und strecke ihm die Hand entgegen.
»Schön, Sie kennenzulernen.« In dem Moment,