Seit seine Tochter vor zwei Monaten zur Welt kam, macht er so was wie heute Abend öfter. Unangekündigt vor meiner Tür aufkreuzen, mich fragen, ob wir zusammen zu Abend essen, ständig anrufen – solche Dinge. Das ist auch der Grund, weshalb ich mich dagegen entschieden habe, Tom seine Hälfte des Hauses abzukaufen und hier wohnen zu bleiben. Stattdessen habe ich mich dazu entschlossen, Abbys Jobangebot anzunehmen. Denn in der gleichen Stadt wie Tom zu leben, ist hart. Ich hasse es, ihm dauernd zu begegnen. Besonders furchtbar war, seiner damals noch schwangeren Freundin im Supermarkt über den Weg zu laufen und ihre gehässigen Blicke ertragen zu müssen. Auch dass seine Mutter auf der anderen Straßenseite wohnt und denkt, sie könne weiterhin vorbeikommen, wann immer es ihr passt, geht mir auf den Senkel. Versteht mich nicht falsch, ich liebe seine Mom, aber sie zu sehen, erinnert mich an die Familie, die ich verloren habe. Aber am meisten widerstrebt mir, dass Tom glaubt, noch eine Art Anspruch auf meine Zeit zu haben; dass er anrufen oder hier reinschneien dürfe, wenn ihm danach ist.
»Sie ist ausgegangen«, erklärt er und es gelingt ihm nicht, sein Missfallen darüber zu verbergen. »Kann ich reinkommen?«
»Ich bin beschäftigt, Tom. Ich muss noch eine Menge erledigen, bevor die Umzugsleute morgen erscheinen.«
Er wirft einen Blick über meine Schulter nach drinnen, ehe er wieder mich ansieht. »Ich kann dir helfen.«
»Nein danke.« Ich stelle mich ihm in den Weg, als er Anstalten macht, das Haus zu betreten.
»Courtney, ich ...« Er bricht ab und fährt sich mit den Fingern durch das Haar.
Früher fand ich es süß, wenn er das aus einer Unsicherheit heraus getan hat, aber jetzt geht es mir auf den Keks. Ehrlich gesagt nervt mich mittlerweile alles an ihm.
»Tom, geh heim.« Seufzend schüttle ich den Kopf.
»Kannst du vielleicht etwas nachsichtiger mit mir sein und versuchen, zu verstehen, was ich gerade durchmache?«
»Wie bitte?« Ich glaube, ich höre nicht recht. »Meiner Meinung nach war ich bisher viel zu nachsichtig mit dir. Und was zum Henker machst du momentan durch?«, frage ich gereizt, ehe ich mich davon abhalten kann.
»Meine Ehefrau verlässt den Bundesstaat. Das ist Grund genug, bestürzt zu sein.«
»Deine Ex-Frau«, stoße ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
»Ich liebe dich immer noch.«
»Du hast eine andere geschwängert, während wir verheiratet waren. Während ich mich zahlreichen Fruchtbarkeitsbehandlungen unterzog. Tut mir leid, aber ich glaube absolut nicht, dass du mich noch liebst. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob du das überhaupt je getan hast.« Der Drang, ihm die Tür vor der Nase zuzuknallen, ist groß.
»Du weißt, dass ich bei der Arbeit viel durchgemacht habe, und die Zeit, in der du versucht hast, schwanger zu werden ... Das war nicht einfach für mich.«
Ich ziehe scharf die Luft ein und umklammere die Klinke, um die rasende Wut, die plötzlich von mir Besitz ergreift, im Zaum zu halten. »Scher. Dich. Zum. Teufel.«
Wie konnte ich mit diesem Mann verheiratet sein? Warum habe ich erst so spät erkannt, dass er ein egoistisches Arschloch ist? Verdammt, ich muss auf beiden Augen blind gewesen sein.
»Scheiße. Tut mir leid.« Er schließt für einen Moment die Augen. »In meinem Kopf herrscht pures Chaos. Ich möchte, dass wir Freunde sind. Ich vermisse dich und mit dir zu reden.« Schon wieder fängt er damit an. In den letzten Jahren unserer Ehe wollte ich mit ihm sprechen, aber er hat mir das Gefühl gegeben, als wäre es kindisch, seine Zeit und Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Was zum Verrücktwerden war.
»Ich möchte nicht mit dir befreundet sein, Tom. Wirklich, ich kann es kaum erwarten, dich nie wiederzusehen.«
»Das meinst du nicht ernst. Du liebst mich.«
»Ich habe dich geliebt. Aber das ist vorbei. Mittlerweile mag ich dich nicht einmal mehr.«
»Das war es also? Du ziehst nach New York, und ich sehe dich nie wieder?«
Die Traurigkeit in seiner Stimme ist nicht zu überhören, aber seine Gefühle liegen nicht mehr in meiner Verantwortung. »Einst wollte ich für immer mit dir zusammen sein. Ich wollte ein Happy End wie im Märchen, aber das hast du mir genommen. Also ja, das war es. Ich möchte nicht mit dir befreundet sein. Eigentlich will ich gar nichts mehr mit dir zu tun haben.«
Er blickt zu Boden. »Du wirst niemals wissen, wie sehr es mir leidtut«, erwidert er und sieht wieder zu mir hoch. Das Ganze scheint ihn zu treffen, und mein Herz – das er mit seiner Achtlosigkeit zerdrückt hat – erleidet einen weiteren Knacks. Mir gefällt nicht, dass er leidet, aber er war es, der die Auswirkungen seines Betruges nie bedacht hat.
»Leb wohl, Tom.« Ich schließe die Tür und damit auch dieses Kapitel meines Lebens.
»Also, was denkst du?«
Ich schaue mich in dem Haus um. Okay, vielleicht ist Haus ein wenig zu hoch gegriffen, da das Innere völlig leer ist. Es gibt keine Küche und kein Badezimmer; genauer gesagt stehen noch nicht einmal Wände. Das Ganze ist eine Außenhülle, die entfernt an ein Haus erinnert.
»Ähm.« Noch einmal blicke ich mich um und wundere mich, ob mir irgendetwas entgangen ist. John, mein Immobilienmakler, lacht. Er ist ein paar Jahre älter als ich und sieht gut aus, ein bisschen wie Prinz Harry. Seine Haarfarbe erinnert an Kupfer und bringt seine strahlend grünen Augen zum Leuchten. Er ist sportlich gebaut und das Lächeln in seinem Gesicht wirkt, als wäre es durch nichts zu erschüttern.
»Ich verstehe dich. Man kann das potenzielle Endergebnis nur erahnen, aber der Preis ist spitze. In dieser Gegend wirst du einen solchen Deal kein zweites Mal finden.«
»Es kostet über eine Million.« Erneut lasse ich den Blick umherschweifen. »Dabei hat es noch keine Wände.«
»Betrachte es wie eine leere Leinwand.« Er lächelt noch breiter, wodurch ein kleines Grübchen in seiner linken Wange zum Vorschein kommt.
»Alles andere wäre ohnehin schwer, wenn nichts da ist.« Meine Mundwinkel zucken amüsiert.
»Ich kenne einen guten Innenarchitekten. Er ist neu in der Stadt, aber was ich bisher von seiner Arbeit gesehen habe, war toll. Ich mache euch miteinander bekannt, wenn du dich für dieses Haus entscheiden solltest.«
»Bist du wirklich der Ansicht, dass das hier eine gute Investition ist?« Unschlüssig beäuge ich den ausladenden Raum.
»Ich habe dir Vergleichsobjekte in dieser Gegend gezeigt. Die meisten Immobilien in dieser Straße sind für fünf Millionen oder mehr verkauft worden. Ich denke, dass es dich etwa achthunderttausend Dollar kosten wird, um dir hieraus dein Traumhaus zu machen. Von daher, ja, ich halte es für eine großartige Investition.«
Niemals hätte ich gedacht, dass ich eines Tages mit jemandem darüber sprechen würde, eine Million Dollar für ein Eigenheim auszugeben – oder ähnlich viel, um es herzurichten. Aber jetzt stehe ich in einem Rohbau und überlege, genau das zu tun. Allein der Gedanke, so viel Geld in die Hand zu nehmen, verursacht ein unangenehmes Kribbeln auf meiner Haut, insbesondere nach einer Kindheit, in der mein gesamtes Leben in einen einzigen Koffer passte.
»Die Gegend ist schön«, sage ich, wenn auch mehr zu mir selbst als zu John, während ich zu einem Fenster hinübergehe, das an eine ruhige Straße in Riverdale grenzt, ein hübsches Viertel in der Bronx.
»Es ist eine wirklich schöne Gegend. Die Schulen hier gehören zu den besten der Stadt. Nur für den Fall, dass du einmal Kinder möchtest.«
Kinder. Dieser Traum ist schon lange ausgeträumt. Wenn ich dieses Haus kaufe, würde ich mir einen Hund zulegen –