Der mit dieser Studie eröffnete punktuelle, wahrscheinlich aber repräsentative Einblick in die aktuellen Strategien des Umgangs des pastoralen Personals mit dem Phänomen der Kasualienfrommen offenbart, dass sowohl die Kasualienfrommen selber in ihrer individuellen Differenz zu den „Kirchenfrommen“ wie auch der theologische Gehalt des anstehenden Ritus weitgehend nur in der Weise des Nicht-Thematisierten, des Ausgeschlossenen in den diversen Vorbereitungsgesprächen präsent sind. Dieser weitgehende Ausschluss des eigentlich Unvermeidbaren – der personalen Differenz wie des sachlichen Gehalts dessen, worum es geht – schreibt sich dem Diskurs natürlich ein, schließlich braucht dieser Ausschluss Energie und Strategie. Diese Beobachtungen, letztlich Ausfaltungen der Unbekanntheitsthese, dramatisieren nicht wenig die Beobachtungen zur Mehrheits- und Frömmigkeitsthese.
Solche Sprachlosigkeit ist aber ein unabweisbares Zeichen. Man darf es weder übersehen noch ihm ausweichen. Diese Sprachlosigkeit ist vielmehr der Ort, an dem die neue Sprache gefunden werden kann, weil man an ihm erfährt, dass und warum die alte versagt. Das Versagen der alten Sprache zeigt sich dabei wohl mehr noch als ein pragmatisches, denn als ein hermeneutisches Problem. Denn worum es in den Kasualien geht, das ist den Kasualienfrommen wohl noch verstehbar zu machen. Aber was diese kirchlichen Riten für sie bedeuten, welchen Wahrheitswert sie besitzen und welche Konsequenzen, das definieren sie selber und offenbar durchaus in einer für die christliche Tradition nicht einfach zu akzeptierenden Weise.
Der kirchliche Referenz- und Bedeutungsraum, der für die Kirchenfrommen den Zusammenhang von Sinn und Bedeutung mehr oder weniger festlegt und sichert, fällt bei den Kasualienfrommen aus und kann eben auch nicht einfach wiederhergestellt werden. Man sollte es daher auch gar nicht versuchen, so sehr man diesen kirchlichen Raum natürlich auch den Kasualienfrommen stets anbieten muss. Aber es braucht nun andere Orte und Mechanismen, um nicht nur den Sinn der Kasualien zu vermitteln, sondern auch ihre Bedeutung für diese Menschen entwickeln zu können. Diese Bedeutung aber ist eben nicht beliebig, sondern vom Gehalt der jeweiligen Riten abhängig.
4 Resümee
Die Studie von Först/Kügler hilft, das Neue im neuen Phänomen der Kasualienfrommen als unbekannte Mehrheit der Kirche nicht zu übersehen und dieses Neue nicht in Beschwichtigungs- oder Ausgrenzungsdiskursen zu verstecken. Will man nicht einfach die Strategie fahren, möglichst viele Kasualienfromme wieder zu Kirchenfrommen zu machen, was aus kirchlicher Sicht vielleicht wünschenswert, aber kaum realistisch wäre, muss man das Neue wahrnehmen, das die Kasualienfrommen repräsentieren, und die Sprachlosigkeit erst einmal akzeptieren, welche die kirchliche Pastoral ihnen gegenüber an den Tag legt.
Das Neue für die katholische Pastoral könnte etwa in der Erkenntnis bestehen, dass die alte kirchlich-sozialräumliche Sicherung spezifischer unverzichtbarer Zusammenhänge (allgemeiner Sinn und spezifische Bedeutung der Kasualriten, Individualität des sakramentalen Gnadenempfangs und Gemeinschaftlichkeit seiner Feier und seiner Wirkungen, Bestätigung der eigenen Existenz als von Gott gewollte und Kritik dieser Existenz in ihren Schwächen und Sünden) mit dem Auftauchen der „unbekannten Mehrheit“ so nicht mehr existiert, jedenfalls nicht mehr für viele Mitglieder der Kirche, und auch, dass sie für die meisten von ihnen auch nicht wiederhergestellt werden kann.
Die Kirche hat auf diese Situation pastoral zu reagieren. Das bedeutet nicht Nachgiebigkeit und „unverbindliche Freundlichkeit“. Denn Pastoral ist nicht die etwas gnädigere Handlungsvariante des strengeren systematischen Diskurses, sondern die kreative und handlungsbezogene Konfrontation von Evangelium und Existenz, eines Evangeliums, das von Jesus aus für alle Menschen gilt und das Heil aller will.
Das spricht für eine Individualisierung der Sakramentenpastoral, nicht im Sinne des früheren Heilsegoismus oder einer gemeinschaftsabwehrenden Privatfrömmigkeit, sondern im Sinne einer Konzentration auf die Bedeutung einer gewünschten kirchlichen Ritualhandlung im je individuellen Leben.
Im Zentrum aller Sakramentenpastoral hat das konkrete Verhältnis von Individuum und dem Gehalt der Kasualie zu stehen. Es ist in jedem einzelnen Fall neu über Sinn und vor allem Bedeutung des jeweiligen Sakraments, der jeweiligen Sakramentalie im Leben des je individuellen Kasualienfrommen nachzudenken. Für jene, die das dann tun müssten, die Priester und hauptamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, könnte das zur Chance werden, den Reichtum der Sakramente in den vielen Leben der Menschen heute zu entdecken.
ES GEHT UM ETWAS NEUES
Die pastoraltheologische Herausforderung der Kirchenaustritte
1 Die Situation und ihre Versuchungen
Die Transformation der Kirche von einer Zwangs- in eine Freiwilligengemeinschaft unterstellt die Kirchenmitgliedschaft dem Kosten-Nutzen-Kalkül des Einzelnen. Religion vergesellschaftet sich zunehmend marktförmig, also unter Kundenentscheidung. Für niemanden aber ist es leicht zu akzeptieren, dass man nichts mehr von ihm wissen will. Da unterscheiden sich Institutionen nicht allzu sehr von Personen: Beide sind gekränkt. Deshalb gleichen sich auch die Reaktionsmuster, mit dieser Kränkung umzugehen.
Einige davon sind Versuchungen, denn sie halten nicht, was sie versprechen. Man kann etwa mit depressiver Passivität reagieren: die irgendwie einfachste Möglichkeit. Man kann die Ausgetretenen als „Abgesprungene“ und „Abtrünnige“ denunzieren, bekanntlich war das die dominante Strategie der Kirche bis vor kurzem, und solange die Kirche sozialmoralisches und transzendentes Drohpotential besaß, konnte man sich das auch leisten. Man kann aber auch in betriebsamen Aktivismus flüchten und auf Kränkungslinderung durch betäubende Selbstbeschäftigung hoffen. All diese Strategien sind sozialpsychologisch verständlich, aber theologisch doch ein wenig unreflektiert, denn sie orientieren sich primär am Kränkungspotential der Austrittszahlen. Zudem nutzen sie offenkundig relativ wenig.
Weiterführender dürfte es sein, erst einmal herauszufinden, was denn das Neue an der aktuellen Kirchenaustrittslage ist und welches prophetische Potential sie besitzt.68 Interessanterweise hilft da der Blick auf jene theologieinternen Diskurse, die sich bislang dominant mit dem „Kirchenaustritt“ beschäftigen, weiter.
2 Das Kirchenrecht: „Du bist draußen“
Die zugegebenermaßen maliziösen pastoraltheologischen Vermutungen, dass das Spannendste am Kirchenrecht sei, was nicht drin steht, und es zudem eher selten pastoral weiterführende Handlungshilfen bereitstellt, kann man beim Thema „Kirchenaustritt“ unmittelbar verifizieren. Denn der Kirchenaustritt, der ja den liberalen, religionsneutralen Staat voraussetzt, kommt im CIC explizit nicht vor.
Natürlich sind damit die kirchenrechtlichen Kollegen und Kolleginnen nicht sprach- und hilflos gegenüber dem Phänomen der Kirchenaustritte: Es entspannt sich denn auch seit einiger Zeit eine rege Diskussion,69 ob, und wenn ja, unter welche Canones der Tatbestand der Kirchenaustrittserklärung im liberalen Staat fällt. Konkret heißt dies, inwiefern der vor dem Staat erklärte Kirchenaustritt die Delikte der Häresie, der Apostasie und des Schismas erfüllt, welche die automatische Exkommunikation nach sich ziehen, oder ob etwa der Entzug des Kirchenbeitrags die jedem Gläubigen aufgetragene Solidaritätspflicht gegenüber der Kirche verletzt. Ein Römisches Schreiben70 hat diese Diskussion 2006 neu belebt.
In der 3. Auflage des LThK (1996) etwa schreibt Joseph Listl noch mit einiger Eindeutigkeit:
Der Kirchenaustritt ist stets eine gegen die Einheit der Kirche gerichtete Straftat (Schisma; Trennung von der kirchlichen Einheit); je nach der Willensrichtung der Erklärung kann Kirchenaustritt auch Apostasie (Glaubensabfall; z. B. bei Übertritt zu einer anderen nichtchristlichen Religion) oder Häresie (Irrglaube, bei Übertritt zu einer anderen christlichen Konfession) sein. Wer den Kirchenaustritt erklärt hat, zieht sich die gem. c. 1364 § 1 CIC von selbst eintretende Kirchenstrafe der Exkommunikation zu.71
Aber es finden sich auch andere Stimmen. So kommt eine Stellungnahme der „Österreichischen Theologischen Kommission“ zum Thema „Kirchenzugehörigkeit