06 »Bekomme ich auch einen von deinen sensationellen Espressi?«, fragte Paul Freudensprung, als sie allein in Pfeffers Büro waren.
Max Pfeffer schmunzelte und befüllte seine heilige Kaffeemaschine.
»Fast wie in alten Zeiten, hmmm?«, sagte Freudensprung.
»Aber auch nur fast«, sagte Pfeffer.
»Dir gefällt nicht, dass ich hier bin, oder?«
»Nein, das ist voll okay. Mich wundert nur, dass wir noch nicht einmal offiziell eine Soko gegründet haben, und schon werden uns die Leute aus aller Herren Länder ins Team gepackt. Kannst du damit leben, dass wir dir einen Schreibtisch bei Bella ins Büro stellen? Das mit der Materialausgabe für den ganzen Bürokram weißt du sicher noch. Ach, lass dir von den Jungen helfen. Schadet nix, wenn der Erdal dein Zeugs besorgt.« Die Maschine zischte, und frischer Kaffeeduft zog einmal mehr durch Pfeffers Büro. »Hier, dein Espresso, heiß und stark und schwarz.«
»Danke.« Hauptkommissar Paul Freudensprung pustete vorsichtig, bevor er den ersten Schluck nahm. »Sauguad. Hör mal, Max, ich war auch nicht so begeistert, als ich davon gehört habe, dass ich als LKA-Kontakt in die Soko soll. Auch wenn ich mich zugegebenermaßen freue, mal wieder mit dir und Bella zusammenzuarbeiten. Glaubst du, die haben mich abgestellt, weil ich mit einer Türkin verheiratet bin?«
»Was glaubst du?«, fragte Pfeffer zurück. Für ihn selbst war die Antwort klar.
»Vermutlich ja, oder?« Paul Freudensprung hatte seine Frau Aische vor einigen Jahren bei den Ermittlungen zum Mord an einem Galeristen kennengelernt. Damals war er noch in Pfeffers Team, und Max Pfeffer war später Trauzeuge gewesen. »Die kommen immer zu mir, wenn es irgendwas mit Türken zu tun hat. Wenn die wüssten, dass Aische so was von völlig untürkisch ist. Sie kann nicht mal richtig Türkisch. Ich mein, ihr Bruder ist Schauspieler. Das sagt doch schon alles. Und sie stammt aus einer Istanbuler Intellektuellenfamilie, nicht aus Anatolien. Die sind kack-liberal! Wie dein Erdal Yusufoglu übrigens auch.«
»Woher kennst du Erdals Familie?«, fragte Pfeffer erstaunt.
»Kenn ich nicht. Ich habe mich nur über die neuen Kollegen erkundigt. Das ist doch ganz logisch, dass man sich über seine neuen Kollegen informiert. Seine Eltern sind in München geboren. Sein Vater ist Professor für Neue Deutsche Literatur – ja, da staunst du – und die Mutter gilt als Expertin für orientalische Miniaturen aus dem frühen Mittelalter. Erdal spricht fast kein türkisch und ist nicht mal Moslem …«
»Sondern?«
»Gar nix. Wie seine Eltern. Tja, so viel zum Thema Türkei-Kompetenz in deiner Soko!«
»Toll«, sagte Pfeffer trocken.
»Na, sei es, wie es sei. Ich wollte jedenfalls nicht unbedingt in die Soko mit den ganzen Quoten hier. Ich war zuletzt nämlich in dem Team, das gegen den Chinesen und seinen Clan ermittelt.«
»Dann gibt es ihn wirklich, den geheimnisumwitterten Chinesen?«, fragte Pfeffer eher amüsiert.
»So geheimnisumwittert ist der eigentlich gar nicht. Wir wissen, wer er ist. Ich kann ihn dir beizeiten mal vorstellen. Ist natürlich ein ganz normaler braver Geschäftsmann, verwitwet, eine wunderschöne Tochter. Macht in Import und Export und zahlt ganz pünktlich seine Steuern. Absolut teflonbeschichtet, an dem bleibt nichts von der Scheiße haften, für die er verantwortlich ist. Egal, nicht unser Thema jetzt. Gehts dir gut?«
»Danke, geht«, sagte Pfeffer, der Smalltalk prinzipiell nichts abgewinnen konnte, aber brav mitspielte. »Flo ist seit einigen Wochen aus England zurück, pünktlich zum neuen Schuljahr. Du weißt doch, dass er zwei Jahre dort in die Schule gegangen ist. Nun wollte er doch zurück nach Good Old Germany und hier sein Abitur machen. Ist vermutlich besser so. Hat außer ›not really‹ praktisch kein Englisch gelernt. Aber er entwickelt sich ganz gut, der Kleine.«
»Und der Große? Cosmo?«
»Cosmo ist immer noch in Berlin.« Cosmo war Pfeffers älterer Sohn, der eigentlich Cosmas hieß, aber von allen nur Cosmo genannt wurde.
»Wusste ich gar nicht.« Paul Freudensprung trank seinen Espresso mit einem Schluck aus. »Studiert er?«
»Nein.« Pfeffer lachte trocken. »Abhängen nach dem Abi. Eigentlich sollte das nur ein Jahr dauern, nun gehts munter weiter. Na, er finanziert es sich weitgehend selbst, Tim steckt ihm immer wieder was zu, und wenns gar nicht reicht, kommt er zu mir gekrochen. Ich frag nicht groß. Ich wette, dass er an seiner Karriere als neuer Superstar arbeitet. Dabei fände ich es langsam an der Zeit, dass er was Vernünftiges macht.«
»Berlin ist doch voll out«, sagte Freudensprung.
»Sagt der Mann, der sich in solchen Sachen bestens auskennt.«
»Na eben, wenn selbst jemand wie ich das weiß.«
»Brauchst du mir nicht sagen! Sag das meinem Sohn. Wobei er neulich schon meinte, dass Warschau nun das neue heiße Ding sei …«
Die Tür wurde aufgerissen und Erdal Yusufoglu stürzte herein. »Wir haben ihn!«
»Was? Wen?« Pfeffer zog die Stirn zweifelnd kraus. »Unseren Toten? So schnell?«
»Jep.« Yusufoglu schwenkte stolz ein Blatt Papier, den Schwarzweißausdruck eines Fotos. Mittlerweile war auch Bella Scholz ins Büro gekommen. Sie hielt sich den Bauch.
»Ganz ein Flotter, der junge Kollege«, keuchte sie.
»Na ja«, Erdal Yusufoglu lächelte verschämt, »in München und Umgebung gibt es momentan nur sehr wenige Vermisste, und niemanden, auf den das Profil hätte passen können. Also bin ich schnell die bundesweiten Daten durchgegangen. Hier. Hasan Birol. Gemüsehändler aus … haltet euch fest … Berlin. Seine Frau hat ihn vorgestern als vermisst gemeldet.«
Pfeffer nahm das Blatt von seinem Kollegen und legte es neben das Foto des Toten. Die Ähnlichkeit war eindeutig. »Glückwunsch«, sagte Pfeffer. »Sieht wirklich so aus, als wäre das unser Mann. So, und dann die Fragen: Warum war er in München? Wo hat er gewohnt? Und vor allem: Warum musste er hier sterben?« Er sah Hauptkommissarin Scholz auffordernd an.
»Okay«, sagte die. »Das Foto geht raus an die Kontaktbeamten, und wir machen uns auch auf die Suche. Alle Pensionen und Hotels checken. Vor allem in der Ludwigsvorstadt und im Westend.« Erdal Yusufoglu nickte. »Aber, Leute, bitte denkt dran, dass wir nicht bekannt geben, warum wir ihn suchen. Auf die Frage nach dem Warum antworten wir, dass wir dringend mit ihm sprechen müssen, okay?«
»Noch etwas«, sagte Pfeffer. »Wenn unsere Täter aus der rechten Szene kommen sollten, dann können die Deppen doch eh nicht ihre Mäuler halten. Daher bitte ein paar Kollegen dazu abstellen, die einschlägigen Chats und Foren zu durchforsten, ob es da irgendwelche Hinweise gibt.«
»Und was machen wir mit der Familie?«, fragte Bella Scholz. »Es müsste jemand von den Birols herkommen und den Toten identifizieren.«
»Es müsste erst einmal jemand zu denen hinfahren und die Todesnachricht überbringen«, sagte Pfeffer.
»Ich verständige die Berliner Kollegen«, antwortete die Hauptkommissarin.
»Okay.« Pfeffer nickte. »Nein. Warte.« Er sah aus dem Fenster und tat so, als würde er überlegen, obwohl sein Entschluss bereits feststand. »Wir haben noch Nachrichtensperre für den Fall. Die Bosse wollen erst am Montag auf der Pressekonferenz über den Fall berichten. Da wäre es ungut, wenn die Kollegen in Berlin oder wer sonst noch durch die Gegend laufen und Geschichten in die Welt setzen.«
»Und jetzt?«, fragte Paul Freudensprung. »Oh, verstehe. Du willst nach Berlin.«
»Richtig. Bella, kümmerst du dich bitte um einen Flug für mich. Heute noch, wenn es geht. Danke.«
Für Max Pfeffer gab es noch einen weiteren wichtigen Grund, warum er die Familie persönlich benachrichtigen wollte. Die Jahre im Polizeidienst hatten ihn gelehrt, dass man die Witwe eines türkischen oder orientalischen