• Nach und vor einer Sitzung (z. B. in der Supervision oder wenn sich die TherapeutIn Notizen macht) ist eine extrinsische Diagnose eine Möglichkeit, das Erleben zu benennen. Dies unterstützt den Prozess der Integration dessen, was passiert ist, und fördert darüber hinaus den Prozess des Sich-Erdens in der Vorbereitung auf die Begegnung mit der PatientIn.
Eine intrinsische Diagnose ist ein fortlaufender Prozess während der therapeutischen Sitzung. Eine extrinsische Diagnose kann in verschiedenen Momenten auftauchen – vor, während, nach der Sitzung – und muss verwendet werden, um einerseits den Kontaktprozess und anderseits eine intrinsische Diagnose zu unterstützen.
4. Schlussfolgerung
Als GestalttherapeutInnen brauchen wir beides, die Landkarte (eine extrinsische Diagnose) und den Orientierungssinn (eine intrinsische Diagnose). Die extrinsische Diagnose ist der Hintergrund für die Arbeit als PsychotherapeutIn. Immer wenn wir eine extrinsische Diagnose erstellen, legen wir fest, wie sich das Feld der therapeutischen Situation gestaltet. Wir legen das Augenmerk auf die Bedeutung der aktuellen therapeutischen Situation und beschreiben sie. In diesem Moment konzentrieren wir uns nicht auf das Mit-der-PatientIn-Sein. Wenn wir jedoch den Anspruch an uns stellen würden, den Fluss der therapeutischen Beziehung unablässig und ausschließlich im Auge zu behalten, würden wir paradoxerweise unsere therapeutische Flexibilität einschränken. Ein ungehinderter und nährender Kontaktfluss kann sich entwickeln, wenn wir uns auch die Zeit zugestehen, uns zu orientieren und nach Bedeutung zu suchen, um uns in einem dritten Element zu verankern und eine Diagnose zu erstellen.
Wir können mehrere verschiedene Arten von Landkarten haben, von denen jede die klinische Situation aus einer anderen Perspektive wiedergibt. Wie Einstein einst sagte: »Die Theorie entscheidet, was wir beobachten können.« Also können wir eine Landkarte haben, die auf der Beobachtung des Prozesses der Ko-Kreation im Hier und Jetzt basiert, eine andere, die auf der Beobachtung von Rollen und Interaktionen innerhalb eines Systems basiert und eine dritte, die auf der phänomenologischen Beobachtung der Symptome basiert. Während des psychotherapeutischen Prozesses entwickeln wir ganz natürlich Landkarten, um unserem Erleben Bedeutung zu verleihen. Wir kommen nicht umhin, irgendeine Art von Diagnose zu stellen. Alles, was wir tun können, ist, uns des Prozesses des Diagnostizierens stets bewusst zu sein und unsere Achtsamkeit wieder in den Kontakt mit der PatientIn zu lenken. Und wir müssen im Hinterkopf behalten, dass eine Diagnose nicht die Beschreibung des Menschen vor uns ist, sondern nur ein Werkzeug, das uns befähigt, unser Erleben mit diesem Menschen bedeutsam zu organisieren, und uns so dabei hilft, geerdet und bereit für eine Begegnung zu sein.
Die extrinsische Diagnose verliert an Bedeutung, je größer die Fachkompetenz und das Wissen der TherapeutIn werden. Alle Reisenden brauchen Landkarten, um sich zu orientieren, doch es stimmt auch, dass man sich mit zunehmender Erfahrung mehr und mehr auf seinen Orientierungssinn verlassen kann. Der Orientierungssinn ist etwas, das sich in jedem Augenblick Ihrer Reise ganz von selbst weiterentwickelt, ohne dass Sie dafür allzu viele Landkarten brauchen. Die intrinsische oder ästhetische Diagnose ist eine wichtige Orientierungshilfe, die uns in unserer Interaktion unablässig begleitet. Sie ist wesentlich, um spezifische Unterstützung in der Gestalttherapie zu geben. Keine Landkarte wird je genau genug sein, um uns vor den Schlaglöchern und Wegbiegungen entlang des Weges zu warnen. Keine Landkarte ist je aktuell genug, um das, was im Hier und Jetzt passiert, zu erfassen. Diese Art der Orientierung ist ausreichend, wenn der Reisende nach zahllosen Reisen und unzähligen studierten Landkarten weiß, wie er sich auf unbekanntem Gebiet bewegt.
Kommentar
Antonio Sichera
Mit ihrer Abhandlung nehmen Roubal, Gecele und Francesetti ein sehr heikles Thema in Angriff und widmen sich ihm mit Klarheit, Sorgfalt und Fachwissen. Ihre solide Erfahrung auf diesem Gebiet wird in ihren Ausführungen deutlich. Der Essay stellt einen wichtigen Beitrag zur Gestalttherapie dar, da er Daten systematisiert und mit Ernsthaftigkeit und einer Bewusstheit für die Probleme nach innovativen Lösungen sucht.
Man kann nicht umhin, einigen wesentlichen Punkten zuzustimmen, die der Text aufzeigt: Er spricht gegen einen weit verbreiteten und gefährlichen Mangel an theoretischem Hintergrund und fordert bei GestalttherapeutInnen ein fundiertes Wissen über die am häufigsten gebrauchten Modelle und sprachlichen Gepflogenheiten auf diagnostischem Gebiet. Er lädt zum kritischen Gebrauch solcher Schemata ein und betont, wie wichtig es ist, solche Instrumente im gestalttherapeutisch-hermeneutischen Rahmen zu nutzen, ohne die eigene Einstellung zum Gestaltansatz aufzugeben. Und schließlich geht es in dieser Abhandlung um die Notwendigkeit eines wohldurchdachten und achtsamen Umgangs mit Problemen – in einem starken gestalttherapeutischen Sinn –, der keine Annäherung versucht, sondern eine authentische Gestaltpsychopathologie schafft, die auf den wichtigsten Beiträgen basiert.
An dieser Stelle sollen weder die klugen, ernstzunehmenden und richtungweisenden Feststellungen dieses Essays noch die begrüßenswerten Entwicklungen analysiert werden, die er einläutet. Ich halte es jedoch für fair, ein paar Kritikpunkte hervorzuheben. Tatsächlich hat uns Heidegger gelehrt, dass das Denken immer eine radikale Übung ist, die sich idealerweise auf einen Ausgangspunkt zubewegt, im Sinne einer bewussten Vermeidung von Kompromissen und Abkürzungen. Ich würde sagen, dass es in dem Text aus dieser hermeneutischen Perspektive einige »Vereinfachungen« und ein paar Antworten gibt, die seiner grundlegenden Aufgabe nicht ganz gerecht werden, eine »kommunizierbare«, mitteilbare und dennoch typisch gestalttherapeutische diagnostische Perspektive zu schaffen. Ich werde den Platz, den ich zur Verfügung habe, dazu nutzen, zwei wesentliche Punkte hervorzuheben.
Im ersten Punkt geht es um Philosophie. Der Text stützt sich auf eine Auslegung von Perls / Goodman, die die intrinsische Diagnose mit dem gleichsetzt, woran die TherapeutIn intuitiv innerhalb des Setting laufend arbeitet. Dabei findet kein expliziter Rückgriff auf ein Tertium statt. Eine weitere Grundlage des Textes stellt die Interpretation des theoretischen Referenzmodells von Perls und Goodman dar, gemäß dem berühmten Spruch, dass »Diagnose und Therapie derselbe Prozess sind«. Den Abschnitt in ihrem Werk Gestalttherapie, in dem es um die »extrinsische Interpretation« geht, wertet der Text als mögliche theoretische Erklärung, weshalb man diagnostische Instrumente »außerhalb« des Settings nutzen sollte. Landkarten können solche Instrumente sein, die der TherapeutIn helfen, sich zu bewegen und zu orientieren und dabei die folgenden Aufgaben nicht aus den Augen zu verlieren: die Notwendigkeit einer »Fixierung« und Standardisierung von Charaktertypen und Kategorien des Unwohlseins, die im »intrinsischen« Moment der Diagnose nicht vorkämen, wäre hier angebracht. Wir sehen uns der Lösung einer raffinierten gestalttherapeutischen Aporie gegenüber, die jedoch mit Sicherheit nicht im Einklang mit dem Text von Perls und Goodman steht.
Was Perls und Goodman in diesem Abschnitt meinen, ist keine »Arbeitsteilung« zwischen intrinsisch und extrinsisch, sodass die wahrnehmende therapeutische Handlung innerhalb eines Settings auf einem ersten Level und eine anschließende Reflexion und Orientierung auf einem zweiten Level stattfinden würde. Das mag für uns von Vorteil sein, und wir haben ja auch tatsächlich die Freiheit, den Text auf verschiedene Arten auszulegen, doch zuerst muss man anerkennen, dass es von einem philologischen Standpunkt aus nicht so ist. Perls und Goodman machen ganz deutlich, dass die Gestalttherapie ausdrücklich weit von jeglichem extrinsischen Gebrauch von Interpretation und Diagnose entfernt ist, den die Begründer für schädlich und nutzlos halten, während die Umsetzung einer Interpretation, eine intrinsische Diagnose, typisch gestalttherapeutisch ist. Das ist die Intervention, die die TherapeutIn in dem Setting initiiert, nicht ohne das Tertium der Theorie, doch mit einer so flexiblen, »biegsamen« diagnostischen Theorie an der Hand, dass sie sie angepasst und »innerhalb« statt außerhalb des Settings angewandt werden kann.
Es ist so, als würde Gestalttherapie immer wieder betonen: Wir kommen nicht ohne ein diagnostisches Modell aus, da das Tertium grundlegend wichtig ist, um nicht in symbiotischen Wahnsinn zu verfallen. Dieses theoretische Bezugsmodell, das uns rettet, muss jedoch so dicht am