Mit dieser Vereinfachung blende ich eventuelle weitere innerorganisatorische «Rollensender» wie Vorgesetzte, Unterstellte, Kollegen oder ausserorganisatorische (etwa Familie, Freizeitkontakte, Arbeitskontakte) aus.
Für die Analyse der weitergefassten organisationalen Rolle verweise ich auf das Instrument der Rollenanalyse nach Schein in Kapitel VII (3.1).
Diverse dieser Lehr-/Lern-Dyaden machen also wiederum ein organisatorisches Rollengefüge aus, beispielsweise wenn verschiedene Lehrpersonen einer Gruppe Lernender zugeteilt sind; Lehrende übernehmen zudem im Rahmen ihrer Institution wiederum weitere Rollen wie etwa Projektleitung.
Rollen 2–7 entsprechen erstens den Handlungsfeldern der weiter oben formulierten Standards und damit zweitens den Themenbereichen in den folgenden Kapiteln.
Reflexionsfragen «Rollenstrauss»
●Wo und wie bewegen Sie sich als Ausbildner/in im «Rollenstrauss»?
●Welches sind Ihre Vorlieben, welches nicht?
●Was erwarten Lernende von Ihnen?
●Können Sie dabei Konfliktfelder benennen?
●Wie gross ist Ihr Interpretationsspielraum?
●Nutzen Sie ihn?
3.Biografisch-reflexiver Zugang
3.1Lernen Erwachsener
Sämtliche weiterbildungspolitischen und -praktischen Bemühungen zielen letztlich darauf, das Lernen Erwachsener zu unterstützen, sei es im Rahmen von Lehre, Beratung oder Planung und Leitung. Entsprechend beschreibt der Begriff des Lernens den Kern der Herausforderungen erwachsenenpädagogischen Handelns.
Wir haben bei der Formulierung und Diskussion von Lernprinzipien (siehe oben, Kapitel 2.3) bereits ein Verständnis menschlichen Lernens skizziert, das nun noch vertieft werden soll. Lernen ist zu Recht eine der zentralen Grössen der Erziehungs- und Bildungswissenschaft. Ohne die menschliche Fähigkeit zu lernen wären sämtliche Versuche von Erziehung und Bildung vergebens. Demnach lässt sich menschliche Lernfähigkeit als Basis jeglicher Bildungsarbeit sehen.
Üblich ist, bei der Klärung, wie menschliches Lernen zu begreifen sei, auf psychologische oder neuerdings wieder auf pädagogische Lerntheorien zurückzugreifen (vgl. z. B. Faulstich 2013; Göhlich/Zirfas 2007). Kritisch darf hier gefragt werden, ob es denn überhaupt eine Lerntheorie braucht, um gut zu unterrichten oder professionell Bildungsangebote zu konzipieren. Eine mögliche Antwort ist: Es geht prinzipiell auch ohne Lerntheorie, dennoch hilft ein für sich geklärtes, angemessenes Verständnis menschlichen Lernens zumindest dabei, die gröbsten Fehler zu vermeiden, die Lern- und Aneignungsbemühungen Lernender eher im Weg stehen, als diese fördern (was gar nicht so selten vorkommt!). Didaktisches Handeln besitzt eine die Lernenden und ihre Lernbemühungen unterstützende Funktion, es ist kein Selbstzweck. Vielmehr bemisst es sich danach, inwiefern es gelingt, Lernprozesse zu fördern.
Es gibt zahlreiche lerntheoretische Ansätze, die wir keinesfalls umfassend referieren wollen. Wir wollen dennoch kurz überlegen, welche Anforderungen es an eine dem Lernen Erwachsener angemessene Lerntheorie gibt.
Dabei beziehen wir uns stark auf die Überlegungen von Peter Faulstich, ehemals Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Hamburg. Er formuliert (mit z. T. anderen Worten) vier Ansprüche an eine angemessene Lerntheorie (Faulstich-Wieland/Faulstich 2006, S. 32):
1.Menschen sind keine passiven Apparate, die auf Reize reagieren, sondern aktive Personen, die überlegen und abwägen können, was sie machen wollen. Diese Offenheit und Freiheit menschlichen Handelns müssen Lerntheorien berücksichtigen.
2.Menschen unterscheiden sich von anderen Systemen, die auch mit Lernen in Verbindung gebracht werden, etwa von Tieren, Organisationen oder Staaten. Sie handeln auf der Grundlage eigener Sinnentwürfe und verhalten sich nicht nur in Reflexen und Routinen. Lerntheorien müssen dieser Spezifität des Menschen gerecht werden.
3.Wenn wir für eine humane Gesellschaft einstehen, muss Bildungsarbeit immer auch darauf gerichtet sein, Bildung zu ermöglichen – als permanente Bemühung des Einzelnen, sich und andere zu verstehen und auf dieser Grundlage vernünftig handeln zu können im Sinne humaner Lebensbedingungen. Eine angemessene Lerntheorie sollte diesen normativen Bezugspunkt aufnehmen.
4.In der Erziehungs- und Bildungswissenschaft ist der Blick immer auch gerichtet auf Konzepte von Lehre, Beratung und Moderation. Eine Lerntheorie sollte Hinweise auf eine adäquate Gestaltung dieser praktischen Handlungsformen geben.
Sprechen wir hier explizit vom Lernen Erwachsener, kommt die Frage hinzu, was eigentlich «Erwachsensein» meint und was ein Lernverständnis auszeichnet, das diesem Status gerecht wird. Diese Frage klingt zunächst eher nach einer abgehobenen Denkübung als nach etwas, was man diskutieren müsste, um die eigene Weiterbildung professionell zu gestalten. Eine Vergewisserung dieses Begriffs hilft trotzdem dabei, sich wenigstens über eine Leitperspektive zu verständigen. Zum Erwachsensein gibt es verschiedene Definitionen (vgl. Faulstich/Zeuner 2006, S. 36). Erwachsensein kann gefasst werden als:
●biologisch: Zustand körperlicher Reife,
●juristisch: Erwerb von Pflichten und Rechten mit Beginn der Volljährigkeit,
●psychologisch: Stabilität von Verhaltens-, Erlebens-, Denk- und Lernformen,
●soziologisch: Übernahme sozialer Rollen wie Partnerschaft und Elternschaft,
●ökonomisch: Stehen in Erwerbstätigkeit und wirtschaftlicher Selbstständigkeit.
Deutlich wird, dass keine genaue Definition und trennscharfe Einteilung möglich ist. Kern aller Ansätze ist allerdings die Idee eines selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Menschen (vgl. Faulstich/Zeuner, S. 36). Entsprechend könnte der mündige, vernünftige, freie, kritisch denkende Erwachsene als Leitbild für Lehren und Lernen dienen. Erwachsenenpädagogisches Handeln in seinen verschiedenen Formen sollte daher darauf ausgerichtet sein, diesem Leitbild zu folgen. Neben dieser allgemeinen Bestimmung müssen aber weitere Aspekte von Erwachsenensein einbezogen werden. Weiterbildungsteilnehmende zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie in vielfältige Kontexte wie Erwerbsarbeit oder Familie eingebunden sind, eine ausgeprägte vorauslaufende Biografie haben (vgl. Alheit 2010) und ihr Lernen immer Anschlusslernen und geprägt von verfestigen Emotionen ist (vgl. z. B. Gieseke 2016).
Diese Ansprüche und Aspekte dienen uns als Leitlinien, um unterschiedliche lerntheoretische Ansätze in ihrer Tragfähigkeit zu beurteilen, wie dies auch Faulstich vorgenommen hat (2008).
In der Lernpsychologie dominieren behavioristische und kognitivistische Ansätze (das Folgende ist nah angelehnt an Haberzeth 2010). Dabei wird zunehmend auf neurophysiologische Befunde der Hirnforschung zurückgegriffen. Behavioristische Positionen konzentrieren sich auf beobachtbares Verhalten. Sie versuchen, menschliches Verhalten auf der Grundlage von Reiz-Reaktions-Verbindungen zu erklären. Verzichtet wird dabei auf den Einbezug psychischer (Innen-)Vorgänge zur Erklärung von Lernen. Dass behavioristische Positionen in der Lernpsychologie nach wie vor stark vertreten sind, lässt sich etwa in den Lehrbüchern von Edelmann/Wittmann (2012) und Mielke (2001) ablesen. Zentrale Begriffe sind etwa Reiz und Reaktion, bedingter und unbedingter Reflex sowie Kontingenz. Es geht um operantes Konditionieren oder um verschiedene Formen der Lernverstärkung wie positive Verstärkung oder Bestrafung. Behavioristische Ansätze eignen sich allerdings kaum dafür, die Komplexität menschlichen Lernens adäquat abzubilden, sie beschreiben vielmehr Spezialfälle menschlichen Verhaltens, zu denen es dann kommt, wenn Menschen in ihrer Sichtweise so stark eingeschränkt sind, dass sie nur noch auf einzelne Aspekte der Umwelt reagieren. Zugleich werden die immer gegebenen Gründe des Handelns nicht beachtet und Zielperspektiven des Lernens bleiben aussen vor.
In Abgrenzung zu behavioristischen Ansätzen haben sich kognitivistische Positionen