»Christian war nur ein Trugbild«, sagte Olga. »Es lohnt sich nicht, einer Illusion nachzutrauern. Wie viel Zeit willst du noch verlieren?«
»Weißt du, wie viel Lust ich gerade habe, einen Mann kennenzulernen?«, fragte ich. »Ungefähr so viel, wie ein eingeschworener Apple-Fan Lust hat, auf Windows umzusteigen.«
»Weil du ja so viel zu verlieren hast.«
Ich schenkte Olga einen trotzigen Blick, zog mich aber trotzdem in den kleinen Waschraum der Damentoilette zurück und brachte mein Gesicht in Ordnung, so gut es irgendwie ging.
Als ich zurückkam, hielt mir Cem eine weitere Erdbeer-Colada hin und deutete mit dem Daumen auf den Blonden. »Mit freundlichen Grüßen von deinem neuen Verehrer.«
»Ich liebe es, wenn ich recht habe«, sagte Olga. »So, und jetzt flirtest du mal ein bisschen mit ihm.«
»So wie ich aussehe? Es ist euch schon aufgefallen, dass ich mein Gesicht nur sehr provisorisch restauriert habe, ja?«, fragte ich.
»Glück für dich, die meisten Männer achten nicht auf solche Kleinigkeiten«, sagte Cem. »Uns geht es um das große Ganze.«
Ein paar Augenblicke später hatten Olga und Cem sich diskret in Luft aufgelöst und der Blonde hatte sich auf dem Hocker neben mir niedergelassen. Er lächelte mir zu und fischte eine Visitenkarte aus der Brusttasche seines Poloshirts, auf dessen linker Brust es zwei Krokodile miteinander trieben. Toll, der Humor meines potenziellen Verehrers war ungefähr so tiefgründig wie eine Acht-Bit-Grafik.
»Manfred Neuber, Filialleiter-Stellvertreter vom Hypersport-Markt im Shopping Center Nord«, stellte er sich vor.
»Romy Morgenstern.« Ich wollte ihm erzählen, dass ich 3D-Artist war, an Social Games, Smartphonespielen, Serious Games, und sogar einem free to play MMO arbeitete. Im Moment hatte ich jedoch wenig Lust auf die unvermeidliche Diskussion über Frauen und die Computerspielbranche. »Ich kenne den Barkeeper«, sagte ich. »Außerdem muss ich bald nach Hause. Arbeiten. Und packen.«
»Wir haben uns gerade erst kennengelernt und schon willst du los?«
»Morgen um sieben muss ich im Flieger nach London sitzen.«
In weniger als 24 Stunden würde ich der Kreativdirektorin meines Lieblingsspiels gegenübersitzen. Ich musste den guten Eindruck, den ich bei den Vorrundengesprächen über Skype aufgebaut hatte, bestätigen, auch wenn ich mich gerade fühlte, als hätte mich eine Horde Orks als Fußmatte benutzt.
»Ist England im Jänner nicht etwas kalt für Urlaub?«, sagte Manfred.
»Ich muss beruflich hin.«
»Aha«, sagte er.
Er fragte nicht nach, dafür rutschte er näher, bis sein Schenkel mein Knie berührte. Mit meiner vom Weinen noch verstopften Nase roch ich sein Rasierwasser, das frisch, aber für meinen Geschmack etwas zu seifig roch. Ich zog mein Knie weg und nippte an meinem Cocktail, während er mir seine Karriere als Sportartikelverkäufer und seine Erlebnisse in der Kraftkammer schilderte.
Ich gab mir große Mühe, zuzuhören, wenn auch nur, um die Gedanken an Christian und Sonja aus meinem Hirn zu verscheuchen. Als mir Manfred gerade erzählte, wie viel Umsatz die Sportartikelmärkte ans Internet verloren, konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten.
»So schlimm ist das auch wieder nicht«, sagte Manfred und hob erschrocken seine Augenbrauen. »Die guten Märkte halten mit neuen Konzepten tapfer dagegen.«
Ich schüttelte den Kopf und sah mich nach einer Serviette um. »Kein guter Tag heute. Entschuldige.«
Cem und Olga tauchten wieder auf, und Cem nahm mich in den Arm. Manfred schob mir seine Karte hin, die ich auf dem Tresen liegengelassen hatte. »Ruf mich doch an, wenn du aus England zurück bist, ja?«, sagte er, und verließ die Bar.
KAPITEL 3
Als ich am nächsten Nachmittag aus dem zu einem Bürogebäude umgebauten ehemaligen Lagerhaus im Londoner Eastend trat, nahm ich den Schneeregen kaum wahr, der mir ins Gesicht klatschte. Seltsam, wie nahe Desaster und Euphorie manchmal beieinander liegen, dachte ich. In der Nacht hatte ich kaum geschlafen und war immer wieder aus wüsten Alpträumen voller Hanteln stemmender Monster und dicker Pornoköniginnen aufgewacht. Jetzt schwebte ich fast über die mit Schneematsch überzogene Straße. Seit ich vor zwei Jahren das erste Mal als Elfenmagierin die Dracheninsel Oranthene im Spiel Knights of the Dragon Isle erkundet hatte, träumte ich davon, bei der Gestaltung dieser Welt mitzuarbeiten. Zu meinem Entzücken hatten mein Portfolio und mein Enthusiasmus Tamsin, die Kreativdirektorin von DrakeLore, tatsächlich überzeugt. In nur drei Monaten würde die Arbeit an Teil zwei beginnen, und ich würde mit den Genies zusammenarbeiten können, die sich diese opulente, komplexe Fantasiewelt ausgedacht hatten. Jetzt musste ich nur noch die Zeit bis dahin überbrücken, ohne vor lauter Ungeduld die Wände hochzugehen. Olga hatte mich für ein Kinderlernspiel namens Freche Früchtchen zum Thema Bio-Obst vorgeschlagen, an dem sie selbst mitarbeitete. Äpfel und Spargel zu zeichnen, würde natürlich nicht so spannend sein, wie Magier und Elfenkriegerinnen zum Leben zu erwecken, aber für eine Frau wie mich, die inzwischen wieder gerne kochte und aß, war das Projekt eine nette Zwischenlösung, und das Honorar konnte ich auch gut gebrauchen.
Die nächsten paar Stunden lief ich aufgeregt durch London. In jeder Statue glaubte ich, einen Ritter der Dracheninsel zu sehen und die Tauben, die frierend auf den Denkmälern hockten, verwandelte ich im Vorbeigehen in Jungdrachen. Erst, als mir so kalt war, dass ich glaubte, auf meinen Wimpern bildeten sich Eiskristalle, ging ich ins Hotel zurück. Jetzt, da meine Aufregung sich langsam legte, tauchten die Ereignisse des vergangenen Abends wieder vor mir auf. Christian, seine dicke Sonja und die verunglückte Begegnung mit Manfred. Ich setzte mich aufs Bett, starrte durch das Fenster, ohne die Nacht, die sich langsam über London legte, wirklich wahrzunehmen, und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Mir war, als hätte jemand all meine Glaubenssätze mit einem Langschwert zerschmettert, und ich hatte keine Ahnung mehr, was stimmte und was nicht. Was, wenn tatsächlich mehr Männer dicke Frauen mochten, als ich immer gedacht hatte?
Ich bestellte beim Zimmerservice Tee und Sandwiches und packte meinen Laptop aus. Zuerst suchte ich nach »Plus Size Porn« und fand jede Menge schlanker Männer mit Frauen, die das Doppelte bis Dreifache von ihnen ausmachten. Einige dieser Frauen waren noch viel dicker als ich. Die paar Male, die ich mich bisher auf Pornoseiten verirrt hatte, hatte ich die Filme mit dicken Frauen als Randphänomen für Fetischisten gehalten. Jetzt sah ich, dass sich offenbar ziemlich viele Menschen für »Fat Porn« und »Chubby Porn« interessierten. Warum eigentlich? Was fand ein Mann wie Christian an Sonjas Körper so besonders, so erotisch? Was hätte er an meinem Körper ansprechend und erregend finden können?
Ich klickte wahllos auf einen der Clips und sah einen riesigen runden Frauenhintern, der fast das ganze Fenster ausfüllte. Er bewegte sich auf und ab, und erst jetzt bemerkte ich, dass die Frau auf ziemlich schlanken Männeroberschenkeln saß und ein Schwanz sich von unten zwischen ihre Schenkel bohrte. Der Hintern wippte und wackelte, während der feuchte Schwanz in der Frau verschwand, kurz hervor kam und wieder versank. Hände kamen ins Bild, die den Hintern drückten und kneteten. »Oh, Baby, yesss«, stöhnte die Frau. Sie zog ihre mächtigen, mit einer dicken Göttin tätowierten Pobacken auseinander, damit die Kamera einen besseren Blick auf ihre Pussy hatte, während der Mann in sie eindrang. Er sagte etwas zu ihr, aber der Ton war schlecht und das schmatzende Geräusch von Fleisch, das auf Fleisch prallte, übertönte seine Worte.
Die nächste Einstellung zeigte das Paar von der Seite. Der Mann lag auf einem großen Sofahocker und die Frau thronte auf seinem Schoß, mächtig wie die Urzeitgöttin, die ihren Hintern zierte. Sie bog den Rücken durch, während sie auf seinen Schenkeln hin-und herwiegte. Er richtete sich auf und steckte sein Gesicht zwischen ihre massigen Brüste. Dann stieg sie von ihm herunter, legte sich auf den Hocker und spreizte ihre üppigen Schenkel so weit sie nur konnte. Er betrachtete einen Augenblick lang lüstern ihre mit einem leichten Feuchtigkeitsschleier überzogene Pussy, dann stellte er sich zwischen