Venus in echt. Rhea Krcmárová. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rhea Krcmárová
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990010877
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über seinen flachen Bauch, über die Stelle, wo der Reißverschluss seiner Hose sein musste. Ich wünschte mir, Christian endlich ohne Scham ansehen zu können, nach vier Jahren voller verstohlener Blicke über Besprechungstische und Laptopränder hinweg, und betete zu allen Göttern, die mir einfielen, dass er mein Angebot annehmen und mit mir ausgehen würde. Dass er mit mir reden, flirten und mich küssen würde. Dass er endlich all das mit mir machen würde, was er in meiner Fantasie schon seit Jahren tat.

      Die Bilder an der Saalwand wechselten. Ich sah das Innere einer Suite, inklusive flackerndem Kaminfeuer und einer mit Kissen bedeckten Liege, über die jemand Rosenblätter gestreut hatte. Vielleicht könnten Christian und ich ja einmal ein Wochenende in diesem Hotel verbringen, dachte ich, sah meinen Körper tief in diese Kissen einsinken und glaubte, die Rosenblätter zu spüren, die an meinen Waden klebten. Christian kniete über mir, zog mein Wickelkleid auseinander, betrachtete meinen burgunderroten Balconette-BH und meinen XXL-Spitzenslip. Das weiche Licht des Kaminfeuers kaschierte die weißen Dehnungsstreifen, die meinen Bauch und meine Hüften überzogen. Christian übersah im Dämmerlicht auch die kleinen Dellen auf meinen Oberschenkeln. Ich genoss endlich die Wärme seiner Haut an meiner, spürte, wie seine Lippen meinen Körper erkundeten und ich unter seinen Berührungen dahinschmolz wie Frodos Ring in den Feuern von Mordor.

      Als Applaus aufbrandete und es hell im Saal wurde, verlor ich auf meinen hohen Absätzen fast das Gleichgewicht.

      Christian stieg von der Bühne, und war sofort von zwei Dutzend Menschen umringt, die mir die Sicht versperrten. Los, Romy, geh zu ihm, dachte ich. Jetzt, bevor ihn noch mehr Menschen belagern. Ich machte ein paar zaghafte Schritte nach vorne. Zwei Frauen Anfang zwanzig kreuzten meinen Weg, und ihre Blicke wanderten missbilligend meinen Körper entlang. Die eine beugte sich flüsternd zu ihrer Kollegin, bevor sich ihre Gesichter zu der Art von Grimasse verzogen, die eine dicke Frau nur zu gut kennt.

      Ich setzte mich auf einen der freigewordenen Stühle, um den richtigen Moment abzuwarten. Mit einem diskreten Seufzen streckte ich meine schmerzenden Beine von mir, und kramte in meiner Tasche nach meinem Handy, das sich irgendwo zwischen Skizzenheften, Tintenstiften, einem Schoko-Müsliriegel und einer Zeitschrift für digitale Illustration versteckte. Dann sah ich aus den Augenwinkeln, dass jemand auf mich zukam. Ich hob den Kopf und sah direkt vor mir eine sehr schlanke Brünette, deren Blick am Bildschirm ihres Handys klebte. Bevor ich meine Beine zurückziehen konnte, stolperte sie über meine Stiefeletten, verlor das Gleichgewicht, und wäre fast auf den Marmorboden geknallt, wenn ich ihr nicht schnell die Hand entgegengestreckt hätte. »Entschuldigen Sie bitte«, murmelte ich verlegen.

      Die Brünette ließ meine Hand los und sah mich giftig an. »Ihnen würde etwas mehr Rumlaufen nicht schaden«, sagte sie.

      Ich senkte den Kopf, während die Verlegenheit meine Wangen zum Glühen brachte. Rasch zog ich die Beine ein, nahm mein Smartphone und tat beschäftigt. Zwischendurch schielte ich zu der Menschentraube vor der Bühne. Jetzt? Nein, noch zu viele Leute.

      Nach zwanzig Minuten löste sich die Gruppe um Christian endlich auf. Nur noch er, die biestige Brünette und ich waren noch im Festsaal. Ich sah, dass er seine Tasche nahm. Jetzt oder nie, dachte ich, stand auf und ging zu ihm. »Hallo, Christian.« Mein Herz machte Sprünge wie Super Mario, meine Stimme klang ungefähr so melodisch wie ein uraltes Modem.

      »Romy, was für eine nette Überraschung.«

      Christians Lächeln ließ in meinem Bauch die Erregung brodeln wie einen frisch gebrauten Zaubertrank, und als er mir die Hand gab, fühlte ich mich wie elektrisiert. »Das war ein unglaublich spannender Vortrag«, sagte ich.

      »Danke. Was kann ich für dich tun?«

      »Also, ich wollte dich fragen, ob du mich … also mit mir …« Sehr eloquent, Romy. Wirklich. Ich holte tief Luft.

      »Christian, willst du anschließend …«

      Er schaute schräg an mir vorbei, und lächelte, wie ich es noch nie bei ihm gesehen hatte. Als wären seine Augen ein Bildschirm, bei dem jemand die stärkste Helligkeitsstufe eingestellt hatte. Ich folgte seinem Blick. Eine Frau, deren Anblick mich überwältigte, betrat den Raum. Hatte ich schon eine XXL-Figur, wies sie sicher noch ein bis zwei X mehr auf. Doch sie kaschierte ihre Rundungen nicht mit einem wallenden Zelt von einer Tunika, sondern trug sie zur Schau, so stolz, wie ich es noch nie bei einer dicken Frau gesehen hatte. Ihren Körper umhüllte ein schwarzrotes Kleid im Vintage-Stil, und ich fragte mich, wo sie so etwas bloß in Übergröße gefunden hatte. Auf ihren hochgetürmten weißblonden Haaren thronten zwei echte Rosen, deren Rot mit dem des Kleids und ihrem Lippenstift harmonierte. Dieses Plus-Size-Pinup kam direkt auf Christian und mich zu. Was wollte sie von uns?

      »Entschuldige mich bitte, Romy.«

      Christian drehte sich um und nahm sie in seine sehr weit ausgebreiteten Arme. Wer war diese Frau, die jetzt ihre gigantischen Hüften an seinen schmalen Bauch presste? Woher kannte er sie?

      Sie kicherte, stellte sich auf die Zehenspitzen, und berührte seine Schultern mit Fingernägeln, die aussahen wie auf dem Foto einer Burlesque-Diva, das ich letztens in meiner Facebook-Timeline gesehen hatte: perfekt oval, lackrot und mit halbmondförmigen Aussparungen am Ansatz. Sie flüsterte Christian etwas ins Ohr, sah sich um und kicherte. Er lächelte zurück und beugte sich zu ihr. Dann küsste er sie auf den Mund.

      Auf einmal war es, als hätte jemand mitten in einem Computerspiel den Pauseknopf gedrückt. Spieler- und Nichtspielercharaktere froren ein. Nur die Geräusche gingen verschwommen weiter. Der Teil meines Hirns, der noch funktionierte, versuchte verzweifelt, das Offensichtliche wegzuerklären. Mein Körper konnte nur dastehen und die beiden anstarren.

      Irgendwann erinnerte sich Christian wieder an mich. »Sonja, Liebling, darf ich dir Romy Morgenstern vorstellen? Sie macht Grafiken für Computerspiele.«

      Sonjas Blick glitt etwas abschätzig über mich. Wieder eine von den ängstlichen Dicken, die auf Nummer sicher geht, schien sie zu denken. Eine, die glaubt, dass Mode nur für die Dünnen da ist. Sie trat einen Schritt auf mich zu und ich konnte ihr Parfüm riechen, Samsara von Guerlain, was ich mir bisher immer verkniffen hatte, weil ich es für zu dramatisch und zu auffällig hielt.

      »Angenehm«, sagte Sonja. »Woher kennen Sie meinen Verlobten?«

      Sie waren verlobt? Nein, bitte, sag mir, dass das nicht wahr ist. Sonja wiederholte ihre Frage. Ich versuchte, aus dem Matsch, der einmal mein Hirn gewesen war, eine Antwort herauszupressen. »Ich habe bei einigen Projekten für seine Agentur mitgearbeitet.«

      Hinter mir beendete die Brünette ihr Telefonat, ich hörte das »klack, klack«, mit dem ihre Stilettos auf dem Marmorboden auftrafen. Christian lächelte auch sie an. »Hallo, Alexa.«

      Alexas Stimme klang wie Süßstoff, als sie Christians Namen aussprach, Sonjas Namen intonierte sie wesentlich säuerlicher, und mich ignorierte sie. »Gratuliere euch beiden zur Verlobung«, sagte sie und nahm Sonjas Hand. Ich sah, wie ihr Blick abschätzig über die Rundung von Sonjas Bauch glitt. »Na, wann ist es denn so weit?«

      Ich zuckte zusammen. Wieso mussten dünne Menschen dicke Frauen immer fragen, ob wir schwanger sind? Christian aber streichelte den Hügel unter dem Pinup-Kleid, und Sonja presste ihre Hand über seine. »Danke, Alexa«, sagte Sonja. »Das Baby kommt Ende des Sommers.«

      KAPITEL 2

      »Wenn du nicht bald einen Schluck trinkst, nehme ich das persönlich.«

      Ich seufzte, griff nach der Erdbeer-Colada, die ich stumm anstarrte, seit ich mich vor einer dreiviertel Stunde in Cems kleine Bar Chez Cem hinter dem Musikverein geschleppt hatte, und tat, wie mir befohlen. Dann sah ich Cem an, der über mir lehnte wie eine metrosexuelle Version des Gangsters Niko Belic aus Grand Theft Auto. »Zufrieden?«, fragte ich.

      Cem, talentierter Barkeeper, guter Freund und mein Nachbar, schüttelte den Kopf. »Du siehst immer noch erbärmlich aus.«

      »Vielen Dank, Cem.« Ich schob den Drink von mir, und blickte in den großen Spiegel über der Theke, der besser in eine südfranzösische Konditorei gepasst hätte als hier in die Wiener Innenstadt.