»Ich rufe dich an, ja?« Er drückte mir einen Kuss auf die Wange und huschte zur Tür.
Bemüh dich nicht, wollte ich sagen, verkniff es mir aber. Dann rief ich ihm doch etwas nach. »Kleiner Tipp, Manfred. Bevor du das nächste Mal eine dicke Frau vögelst, solltest du deinen Wortschatz erweitern, und dir eine andere Phrase überlegen als ›fette geile Sau‹, ja?«
Mit in Falten gelegter Stirn und mit der Hand an der Klinke blieb er stehen. »Warum das denn?«
»Vergiss es.«
»Aber es war ein Kompliment. Ich meine, du bist nun einmal dick. Genieß es. Steh dazu.« Dann drehte er sich um und ging.
Ich zog mich an, und dachte darüber nach, was er gesagt hatte. War es nur sein Tonfall, der mich irritiert hatte, und seine Wortwahl? Oder hatte ich mich irgendwie doch auch unwohl gefühlt, weil er mich ständig auf meine Körperfülle hingewiesen hatte? Egal, dachte ich, zumindest hatte ich Sex gehabt, und zwar mit dem dritten Mann in meinem Leben, wenn ich den Schotten nicht mitzählte, was ihm zweifellos nicht zustand. Sicher, der Sex hätte besser sein können, aber das war der nächste Schritt.
Ich setzte mich an meinen Laptop, unbefriedigt und unruhig. Mir fielen Tamsin und ihr Colin ein, und ich machte mich auf die Suche nach einer Webplattform für Plus-Size-Singles, die in meiner Nähe lebten. Eine Stunde später hatte ich einige deutsche und amerikanische Seiten gefunden, aber keine, die für mich infrage kam. Der webweite Enthusiasmus für Plus-Size-Dating hatte Wien offenbar noch nicht erreicht, was meine Mission zu einer wirklichen Herausforderung machte. Ich setzte mich auf das Sofa, und meine über acht Kilo schweren Maine-Coon-Katzen Loghain und Leliana platzierten sich auf meinem Bauch und meinen Schenkeln. Während ich ihnen abwechselnd das Fell bürstete und ihrem tiefen Schnurren zuhörte, dachte ich über die nächsten Schritte meiner Quest nach. Die Gewandung und Ausrüstung hatte ich mir schon organisiert, und die ersten beiden Schlachten hinter mich gebracht. Was brauchte ich für so ein Abenteuer noch? Eine Art Missionslogbuch oder Tagebuch wäre gut, dachte ich. Ich hatte schon öfter mit dem Gedanken gespielt, ein Blog anzulegen, bisher hatten mir aber am Ende immer das Thema und das Bedürfnis gefehlt. Jetzt würde ich es als weiteren Schritt betrachten, um IRL, in real life, also im echten Leben, zu einer Venus zu werden. Ein Blog über meine Erfahrungen bei der Suche nach Männern mit dem Beuteschema dick könnte mich dann auch zum Weitermachen motivieren, wenn ich zwischenzeitlich einmal den Mut verlieren sollte.
Ich scheuchte die Katzen weg und setzte mich wieder an den Computer. Ein paar Minuten experimentierte ich mit Worten und Namen und sicherte mir schließlich ein Blog unter venusinecht.wordpress.com. Ich spielte mit dem Layout und der Schrift und überlegte, ein paar verfremdete Fotos von mir hochzuladen. Dann beschloss ich, das Blog bis auf Weiteres mit meinen Zeichnungen zu bebildern. Mit einem Illustrationsprogramm machte ich ein paar schnelle, simple Vektorskizzen von runden Frauenkörpern. In meinem ersten Beitrag schrieb ich über meine Quest und die ersten, mäßig erfolgreichen Episoden mit Jeffrey und Manfred.
»Mit den Perversen wäre ich damit durch«, schloss ich. »Jetzt schlägt die Stunde der guten Liebhaber.«
KAPITEL 6
Horst Wittler, Gründer und, nach seinen eigenen Worten, Seele von WittNet, reichte mir das pitching document und sah seine Projektleiterin an. »Romys Ideen für die Frechen Früchtchen sind wirklich entzückend. Findest du nicht, Alexa?«
Alexa nickte stumm und sah aus, als würde sie sich mit Mühe eine bissige Bemerkung verkneifen.
Die nächsten Wochen würden zäh werden, dachte ich. Seit ich vor einer halben Stunde den Besprechungsraum im 23. Stock des neuen Hochhauses neben der UNO-City betreten hatte, sah Alexa mich feindselig an. Ihre kaum verhüllte Aversion hatte mich nicht überrascht, wohl aber, dass sie sich auch in Horsts Gegenwart keine Mühe gab, sie zu verbergen. Für Alexa reichte es offenbar für den Beginn einer lebenslangen Feindschaft, jemandem über die Füße gestolpert zu sein. Blöder Zufall aber auch, dass ich es bei meinem Überbrückungsjob ausgerechnet mit der Frau zu tun hatte, der ich nach Christians Vortrag in die Quere gekommen war.
»Mit Olga haben Sie ja schon öfter gearbeitet«, sagte Horst.
Ich nickte. »Wir sind ein eingespieltes Team.«
Alexa verzog den Mund. »Interessant. Dabei sind Sie ja ziemlich … unterschiedlich.«
Ich zog es vor, die Spitze zu überhören. Schließlich gaben sie und Horst ein Paar ab, das um einiges seltsamer war als Olga und ich; wie eine Eisprinzessin und ein glatzköpfiger, überenthusiastischer Onkel. Olga hatte ihn mir als harmlos beschrieben, doch unter seiner jovialen Fassade schien etwas Dunkles zu lauern.
»Olga hat erwähnt, dass Sie ab Sommer bei Knights of the Dragon Isle mitarbeiten«, sagte Horst. »Ich gratuliere.«
»Danke.«
»Ist Tamsin Daffyd noch Projektleiterin?«
Ich sah Horst überrascht an. WittNet war in der PR-Branche für seine Gesundheitskampagnen für Ministerien und Ähnliches bekannt, und er sah auch nicht aus wie jemand, der in seiner Freizeit Orks und Trolle jagte.
»Ich kenne sie von einem Abendessen mit Venture-Kapitalisten vor ein paar Jahren«, sagte Horst.
Ich nickte. Natürlich, für jemanden wie ihn waren Spiele ein Investment, nichts weiter.
»Da muss ich wohl auch gratulieren«, sagte Alexa. Sie wandte sich an Horst, und die feinen Linien um ihren Mund vertieften sich. »Wir sollten trotzdem bedenken, dass Romy der pädagogische Hintergrund für unser Projekt fehlt«, sagte sie.
Ich fragte mich, wie alt sie war. Zunächst hatte ich sie auf Anfang dreißig geschätzt, auf mein Alter also. Aus der Nähe aber sah sie ausgezehrt aus, fast schon welk, als müsse sie sich ständig aufopfern und verzichten. Ich fragte mich, was genau sie sich verkniff. Den Logos auf ihrer Jeans und Tasche nach zu schließen, war sie sich gegenüber zumindest in Sachen Markenkleidung großzügig.
»Klar, die Frechen Früchtchen sollen ansprechend gestaltet sein, Frucht- und Gemüsekinder eben, ein mutiger Zucchinijunge, ein süßes Rhabarbermädchen und so fort, Sie haben ja das Konzept gesehen. Trotzdem muss es aber ein hochseriöses Lernspiel werden. Gemüse und Obst, das die Jugend zu gesunder Ernährung motiviert«, sagte Alexa. »Das müssen sogar Sie für eine gute Idee halten.«
»Sicher«, sagte ich, obwohl ich vom Projekt inzwischen nicht mehr überzeugt war. Wer auch immer das Konzept geschrieben hatte, hatte die Botschaft von all dem Obst und hochwertigen Essen unter pädagogisch korrekten Mahnungen verschüttet, und ich zweifelte an der Wirksamkeit der ganzen Kampagne. Der erhobene Zeigefinger, den Alexa offensichtlich so schätzte, bewirkte gar nichts, dachte ich, auch wenn er sich hinter lustigen Animationen verbarg. Als jemand, der sich eineinhalb Jahrzehnte lang mit Diäten abgequält hatte, wusste ich, wovon ich sprach.
Ich seufzte, so, dass die beiden mich nicht hören konnten. Am liebsten wäre ich aus dem Projekt ausgestiegen, aber dann fiel mir ein, wie viel Geld ich für die Vampisierung meiner Garderobe in London gelassen hatte. Horst und Alexa jetzt abzusagen, konnte ich mir schlicht nicht leisten.
Am Nachmittag meldete ich mich bei einigen internationalen Plus-Size-Seiten an, um zu sehen, was passierte. Ich hatte das Wochenende durchgearbeitet, um das letzte Projekt abzuschließen, und brannte jetzt darauf, mit meiner Quest weiterzumachen. Ziemlich schnell waren meine Mailboxen mit Smileys und netten Mails gefüllt, aber alle stammten von Männern, die ein paar hundert oder ein paar tausend Kilometer entfernt lebten. Nachdem ich die Mails gelesen hatte, rief ich Olga an, um sie in Sachen Prinzensuche auf den neuesten Stand zu bringen.
Olga war hörbar über die Entwicklung erfreut. »Bist du sicher, dass es diese Plattformen nicht auch bei uns gibt?«, fragte sie.
Im Hintergrund hörte ich etwas, das sich nach dem Pfeifen einer Dampfmaschine und dem Klicken von ineinander greifenden Zahnrädern anhörte. Mir fiel ein, dass Olga gerade eine