Das Internet der Dinge – ein faustischer Pakt?
Dass all diesen Verheißungen des Internets der Dinge gewichtige mögliche Gefahren gegenüberstehen, haben wir bereits im Prolog dargelegt. In Abb. 1.2 seien diese Zusammenhänge nochmals illustriert.
Heute fahren Automobile unabhängig voneinander und offline. Allfällige Staus lassen sich durch geschicktes Umfahren umgehen. Das gilt auch für den Energieverbrauch, er lässt sich gezielt verringern. Wird mithilfe des Internets der Dinge alles miteinander verknüpft und online betrieben, so erhöht sich nicht nur die Koppelung. Die Komplexität des Verkehrssystems steigt aufgrund der immer sophistizierter werdenden Computersysteme und damit auch die Störungsanfälligkeit. Auch kleine technische Probleme oder Eingriffe von Hackern bewirken eine kaum mehr aufhaltbare Kettenreaktion. [16]
Abbildung 1.2 Entwicklung der Mobilität im Zeitalter des Internets der Dinge (in Anlehnung an CLEARFIELD und TILCSIK (2018, 51).
Das autonome Fahren und die elektronische Börse haben vieles gemeinsam!
Ähnliches gilt für die Börse. Vor der Einführung der elektronischen Börse wurden die Geschäfte im Ring abgewickelt, die Wertschriftenhändler riefen einander die Kurse zu, und die rückwärtigen Dienste führten diese aus. Dabei kam es kaum zu Fehlern. Bei der elektronischen Börse, insbesondere beim Hochfrequenz-Handel, steigt die Komplexität exponentiell an. Es können pro Sekunde über 30 000 Angebote bearbeitet werden. Und mit den heute dominierenden Produkten wie ETFs (Equity Traded Funds – einen Index abbildenden Aktienfonds) wird die Koppelung erhöht. Wie gefährlich dies sein kann, zeigt die Börsenentwicklung im Dezember 2018. Dieser Monat war der schlechteste seit 1931, und dies nicht wegen sich verschlechternder Fundamentaldaten, sondern weil automatische Handelsalgorithmen von Hedgefunds eine Abwärtstendenz prognostiziert und damit eine Kettenreaktion ausgelöst hatten.
Das Internet der Dinge wird zweifellos zur dominierenden Technologie der Zukunft werden. Deshalb muss es einen zentralen Fokus bei Überlegungen zur künftigen Unternehmensführung einnehmen. Dies aber immer unter Berücksichtigung der möglichen Schäden, die diese Technologie anrichten kann. [17]
Diese Überlegungen führen nahtlos zum Thema der Zukunft der Arbeit. Nach RIFKIN (2014) gibt es für die nächsten zwei Generationen ausreichend Gelegenheit zur Arbeit, nämlich bei der Demontage der Infrastruktur der zweiten industriellen Revolution und beim Aufbau der digitalen Plattformen und des Internets der Dinge. Eine Differenzierung drängt sich angesichts neuerer Erkenntnisse auf. Gemäß einer Studie von McKINSEY (2018) werden in der Schweiz bis 2030 eine Million Jobs wegfallen. Anderseits entstehen dafür fast so viele neue Arbeitsplätze. Sie erfordern aber ganz andere Fähigkeiten. Firmen und Bildungsinstitute stehen vor der Aufgabe, rund 800 000 Arbeitskräfte umzuschulen und weiterzubilden. Eine Untersuchung der Weltbank (NZZ, 2018) stellt fest, dass der Rückgang von industriellen Arbeitsplätzen sich vor allem auf die angelsächsischen Staaten konzentriert. Grund dafür sind einerseits der fehlende soziale Schutz und anderseits die Mängel im Bildungswesen.
Welche Verantwortlichkeiten ergeben sich für die Zukunft der Arbeitswelt?
Die obigen Aussagen sind allerdings mit großer Vorsicht zu genießen. Deshalb wird in Abb. 1.3 ein Szenario vorgestellt, das die Thematik aus einer anderen Perspektive beleuchtet: Wer soll in Zukunft die Verantwortung tragen für eine nachhaltige Entwicklung der Arbeitswelt?
Abbildung 1.3 Szenario zu Verantwortlichkeiten für die Zukunft der Arbeit [18]
Der Arbeitsmarkt von Ländern wie der Schweiz oder Deutschland könnte sich in Zukunft in drei Segmente teilen. Das oberste Segment bilden die gut ausgebildeten Arbeitskräfte, die bei der Mensch-Maschinen-Symbiose einen Mehrwert erbringen. Die Verantwortung der Rekrutierung und Förderung dieser Mitarbeitenden sollte bei der Wirtschaft liegen. Das dritte Segment umfasst alle jene Berufe, die auf einer engen Beziehung zwischen Menschen aufbauen, wie die Gesundheitspflege, die Altersbetreuung oder der Schulunterricht. Hier sollte die Verantwortung in Zukunft vermehrt bei der Zivilgesellschaft mit ihrem Milizsystem liegen. Das zweite Segment beinhaltet die potenziell gefährdete Arbeit. Hier sollte der Staat subsidiär zum Zuge kommen, dies durch Aus- und Weiterbildungsangebote zur Erreichung des ersten Segments, durch die Entwicklung neuer Berufsbilder für das dritte Segment sowie beim Reißen aller Stricke durch ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Reflektierende Unternehmenspraxis
Ein grundlegendes Verständnis für den Umgang mit diesen Megatrends ist Voraussetzung für eine verantwortungsvolle Führung in Zeiten des digitalen Wandels. Unser Buch will dazu die Voraussetzung schaffen und fokussiert dabei auf die Frage: Welche Denkmuster und Werkzeuge sind geeignet, um diese und ähnliche Spannungsfelder bestmöglich zu bewältigen, und wie gehen Führungskräfte bei deren Umsetzung in der Unternehmenspraxis vor? Welche inhaltlichen Strategien und Taktiken sie entwickeln, und wie dabei ihre soziale Führungskompetenz zum Tragen kommt, wird anhand von Praxisbeispielen ergänzend illustriert. Führungskräfte sollen aber mit erster Priorität ein Instrumentarium kennenlernen, das sie auf den Umgang mit komplexen Zusammenhängen vorbereitet.
Unser Buch fokussiert auf Denkmuster und Werkzeuge beim Umgang mit den Spannungsfeldern des Wandels.
Weshalb wird dieser Umgang mit den genannten Megatrends nicht öfter thematisiert? Es fehlt schlicht ein ganzheitliches Verständnis für diese Entwicklungen. Der Grund dafür ist die meist von Expertinnen und Experten geführte, stark spezialisierte Diskussion. Diese haben meist eine eingeengte Sichtweise auf das technologisch Machbare und die sich abzeichnenden Wettbewerbsvorteile. Als Spezialisten und Berater müssen sie aber kaum Verantwortung für die Wirkung ihres Denkens und Handelns in Gesellschaft, Wirtschaft [19] und Unternehmen übernehmen. Nicht ganz von der Hand zu weisen ist auch deren Einstellung zum Thema der Führung, wie Mitroff (2018, Pos. 259) treffend bemerkt: «Es ist eine selbstgefällige Annahme, dass – im Vergleich zur Technologie – Management einfach, wenn nicht gar trivial sei.»
Führungskräfte sind nicht einfach für die Umsetzung technologischer Neuerungen zuständig, sondern sie müssen ihre Mitarbeitenden für diesen Wandel begeistern, dessen Auswirkungen für die gesunde Entwicklung des Unternehmens richtig einschätzen und den Wandel selbst weiterentwickeln und beschleunigen. Damit leisten sie auch einen Beitrag zum Gemeinwohl, den die Zivilgesellschaft heute von Führungskräften zu Recht erwartet.
Ein umfassendes Führungsverständnis setzt ein stetes Überdenken der eigenen Aufgabe im größeren Kontext des Wandels von Gesellschaft, Wirtschaft und Unternehmen voraus – überzeugende Führungskräfte beweisen sich in diesem Umfeld als reflektierende Praktiker. Aber erfordert der tiefgreifende Wandel tatsächlich ein grundlegend neues Führungsverständnis, wie dies heute vielerorts gefordert wird? Oder kommen jetzt erst recht