69Methodisch anknüpfen lässt sich dabei an Felicitas Beckers Konzeptualisierung einer »Verflechtungsgeschichte«. Mit ihr in den Blick kommen die »Interaktion[en] zwischen Institutionen (privaten, korporatistischen oder staatlichen) oder Individuen über Landesgrenzen hinweg, und ohne dass ein Staat oder eine Gesellschaft unbedingt als treibende Kraft angesprochen werden könnte« (Becker, Netzwerke, 315).
70Dies zeigt Windler, Missionare in Persien, für die Beziehung zwischen der italienischen Kongregation der unbeschuhten Karmeliten und dem Papst bzw. der Propagandakongregation.
71Auch hier ist Beckers Konzeption der »Verflechtungsgeschichte« weiterführend, denn sie fokussiert auf »informelle, vielleicht gar nicht verschriftlichte gesellschaftliche Zusammenhänge und auf vielfach vermittelte, von keiner einzelnen Gesellschaft vollständig kontrollierte Interaktionen« (Becker, Netzwerke, 316).
72Vgl. dazu Benrath, Art. »Ablass«, 355–360; Hersche, Muße und Verschwendung, 523–527. Analytische Studien zum frühneuzeitlichen Ablasswesen, die über den Aspekt der reformatorischen Kritik hinausgehen, sind mit Ausnahme einer Studie zu Frankreich (Tingle, Indulgences) ein Forschungsdesiderat.
73Als neuere Überblicke eignen sich O’Malley, Trent, insbes. 205–247, 260–275; Ganzer, Konzil von Trient. Allerdings hat die neueste Forschung auch gezeigt, dass es verfehlt wäre, von einer eindeutigen, monolithischen, antiprotestantischen, auf dem Konzil von Trient beschlossenen Dogmatik auszugehen (vgl. Wassilowsky, Das Konzil von Trient, hier 10 f.; Emich, Konzil, hier 356 f.). Sowohl die Ereignisse auf dem Konzil als auch dessen Ergebnisse waren »in sich mehrdeutig, ambivalent, ambigue« (Wassilowsky, Das Konzil von Trient, 10).
74Dieser Begriff wurde von Ohlidal/Samerski, Einleitung, in die Forschungsdiskussion eingeführt, um am Beispiel der Jesuiten den Fokus auf die »multifunktionale[n] Phänomene und [den] Zwang zum Arrangement mit dem situativen Kontext« (ebd., 9) zu lenken. »Frömmigkeitskultur« bezeichnet demnach die »spirituelle und kultische Amalgamierung von Lokal-Internem und Institutionell-Externem, von Innovativem und Traditionellem« (ebd., 10). In der Forschungspraxis hat sich dieser analytische Begriff jedoch als wenig fruchtbar erwiesen, auch weil sein Vorzug gegenüber anderen Analysekategorien wie »Akkommodation«, »Akkulturation« oder »Hybridisierung« nicht plausibel genug gemacht werden konnte. In der vorliegenden Arbeit wird »Frömmigkeitskultur« daher eher gegenständlich als die Gesamtheit von religiösen Handlungen, Vorstellungen und materiellen Glaubensmanifestationen aufgefasst, wobei zu beachten ist, dass sich auch innerhalb der Konfessionen verschiedene Frömmigkeitskulturen mit regionalen oder lokalen Besonderheiten unterscheiden lassen (vgl. dazu Holzem, Westfälische Frömmigkeitskultur, insbes. 37).
75Begrifflich orientiere ich mich an der von N. Weber, Lokale Interessen, 34–48, für die politischen Außenbeziehungen entwickelten »integrativen Perspektive«.
76Ebd., 40.
77Gezeigt werden konnte dies insbesondere am Beispiel von Heilpraktiken, so etwa von Thiessen, Kapuziner, 428–449, und Sieber, Jesuitische Missionierung, 107–151.
78Labouvie, Verbotene Künste, 81 f.
79Greyerz et al. (Hrsg.), Interkonfessionalität.
80Brückner, Art. »Gnadenorte«, Sp. 796. Laut Brückner ist »Gnadenort« ein Neologismus der modernen Volkskunde, abgeleitet vom Quellenbegriff des »Gnadenbildes«. Im 1869 erschienenen Band 4 (Tl. 5) des Grimm’schen Wörterbuchs wird »Gnadenort« definiert als »Kirche, wo ein Gnadenbild verehrt wird« (Deutsches Wörterbuch, Bd. 8, Sp. 581). Vereinzelt lässt sich die Begriffsverwendung schon fürs 18. Jahrhundert nachweisen, für den vorliegenden Untersuchungsraum etwa auf einer Votivtafel aus der Gnadenkapelle der Alp Nadels von 1728 (»Ich will sagen Mitt Einem Wort[,] Was es ges[c]hehen in disen gnaden Ort[…].«) oder in einem Visitationsdekret des Churer Bischofs aus dem Jahre 1782, erlassen für das Vinschgau (BAC, 722.03.04: Johann Franz Dionys von Rost, Chur, 31.08.1782: »Dass die Gnadenorte, welche von merern auch scheinbarern allda geschehenen Gutthaten und Wunderwerken also benamset werden […].«). – In diesem (volkskundlichen) Sinne ist auch ein »Wallfahrtsort« ein »Gnadenort«, doch braucht es für einen Wallfahrtsort noch mehr als nur die Wunderdokumentation, etwa spezielle Wallfahrtsbruderschaften, Einrichtungen für Pilger sowie eine weit über das lokale Umfeld hinausreichende Ausstrahlungskraft (vgl. die Definition von W. Freitag, Volks- und Elitenfrömmigkeit, 49 f.).
81Zur Begriffsgeschichte und Begriffsverwendung siehe Cracco, Dai Santi ai Santuari, 25–27; Julia, Sanctuaires, 243–252. Wie letzterer betont, ist der französische Begriff »sanctuaire« ebenfalls ein Neologismus der modernen Geisteswissenschaften, eine »d’introduction récente« (ebd., 249). Im Italienischen ist die Bezeichnung »santuario« bereits in der Frühen Neuzeit in der heutigen Bedeutung gebräuchlich.
82Scharfe, Über die Religion, 48, spricht von einer »Konkretisierung des Heiligen«: »Gott oder ein ihn repräsentierender Heiliger zeigt sich an einem bestimmten Ort (oft in einer bestimmten Gestalt, in einem Bild), wo der Gläubige die Gnade in Empfang nehmen kann – es ist nun also ein definierter Ort, wo der Mensch mit dem Jenseitigen in Verbindung tritt: dingliche Konkretisierung des Heiligen gewissermaßen als Replik der Mensch- und Leibwerdung Gottes.«
83Im Gegensatz dazu war der Ort des sonn- und feiertäglichen Gottesdienstes für die Pfarreigenossen durch die Pfarrkirche (oft statuarisch-verbindlich) vorgegeben.
84Cozzo, Madonna di Tirano, 61 f.: »[…] al santuario […] il Fedele può decidere di recarsi liberamente per motivazioni proprie e scelte personale normalmente legate all’ ›eccezionalità‹ di quel luogo, nel quale si sono verificati (o si ripetono) prodigi, nel quale sono accaduti (o avvengono) miracoli.«
85Tilatti, Luoghi, 9: »Uomini che [ai santuari] si recano tramite pellegrinaggi più o meno prolungati nella speranza concreta e nell’attesa del manifestarsi del miracolo.«
86Mattioli Carcano, »Tabulae Pictae«, 21 f.: »Il santuario, meta di una peregrinatio [sic] più o meno longa, intraprese per impetrare una grazia, per significare la riconoscenza od, semplicemente, ripercorrendo itinieranze [sic] sancite da antiche tradizioni comunitarie o familiari, diviene un simbolico approdo dove il Fedele, carico della propria quotidianità […], trova lo spazio in cui si attua una sorta liberazione, seppure temporanea, dal male fisico e spirituale.«