Das letzte Schwurgericht. Günter Huth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Huth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783429061586
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      »Naja, für uns war es natürlich eine Genugtuung, wenn er einen Straftäter, dem wir mühsam ein Verbrechen nachgewiesen haben, dann auch tatsächlich hinter Gitter geschickt hat. Und das oft auch lebenslänglich.«

      Kerner nickte. »Kann ich gut verstehen. Uns Staatsanwälten ging es ja nicht anders. Ich habe damals als Oberstaatsanwalt in zahlreichen Prozessen die Anklage vor dem Schwurgericht vertreten. Ich kann dir sagen, Kürschner hätte in seinen Verhandlungen eigentlich gar keinen Staatsanwalt gebraucht. Da ging es wirklich hart zur Sache. Dabei ist er immer völlig ruhig und freundlich geblieben. Das hat viele Angeklagte und ihre Verteidiger eingelullt. Wenn er dann das Urteil verkündete, hat es manchem Angeklagten regelrecht den Boden unter den Füßen weggezogen.

      Ich erinnere mich noch gut an den letzten Prozess, den er als Vorsitzender des Schwurgerichts geleitet hat. Ich habe damals in diesem Verfahren die Anklage vertreten. Es war zufällig auch meine letzte Verhandlung vor dem Schwurgericht, bevor ich dann die Ermittlungen gegen die Main-Spessart-Mafia übertragen bekommen habe. Es ging um einen ziemlich verzwickten Mordfall, letztlich ein Indizienprozess, der hinsichtlich der Beweislage auf etwas tönernen Füßen stand. Da ich von der Täterschaft absolut überzeugt war, habe ich natürlich alles darangesetzt, um eine Verurteilung zu erreichen.«

      »War das nicht die Sache mit diesem Winzer, diesem Thannenberger? Er hatte seine schwangere Freundin im Schlaf mit dem Kissen erstickt.«

      Kerner nickte.

      Brunner erinnerte sich. »Ich war damals nicht mehr bei der Mordkommission, sondern bereits mit der Gründung der Sonderkommission Spessartblues beschäftigt. Aber wir haben uns natürlich unter Kollegen darüber unterhalten. Wie ich hörte, war die Beweislage wirklich ausgesprochen schwierig. Thannenberger hat ja dann auch bis zum Schluss die Tat geleugnet.«

      »Ja. Es gab keine Zeugen, lediglich den Ehemann der Ermordeten, der sich zum Todeszeitpunkt seinerseits bei einer Geliebten aufhielt. Die Ehe war, wie er aussagte, total zerrüttet. Als er am Morgen nach Hause zurückkam, fand er seine Frau tot vor. Er hat dann sofort die Polizei verständigt. Am Anfang galt er ja als Hauptverdächtiger, aber seine Freundin verschaffte ihm ein wasserdichtes Alibi. Sie sagte aus, dass er die ganze Nacht bei ihr gewesen sei.

      Thannenberger gab schließlich zu, dass er bei der Ehefrau gewesen war, er habe sie aber weit vor dem festgestellten Todeszeitpunkt wieder verlassen. Bei der Obduktion wurde dann festgestellt, dass die Tote im vierten Monat schwanger war und an diesem Abend mit Thannenberger Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Das Kind stammte allerdings, wie die spätere Untersuchung ergab, von ihrem Ehemann.

      Nachbarn sagten aus, dass sie am späteren Abend aus der Wohnung Streit vernommen hätten. Diese Zeugen bestätigten, dass es sich dabei nicht um die Stimme des Ehemannes gehandelt hatte. Blieb nur Thannenberger. Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass die Ermordete wegen des Kindes die Beziehung zu Thannenberger beenden und zu ihrem Mann zurückkehren wollte. Bei dem dadurch ausgelösten Streit sei Thannenberger ausgerastet und habe in dessen Verlauf seine Geliebte mit dem Kissen erstickt. In der Lunge der Toten fand man Stoffpartikel, die mit dem Kissen übereinstimmten. Das Problem Thannenbergers war, dass man unter den Fingernägeln der Frau Hautmaterial von ihm sicherstellen konnte. Thannenberger hatte entsprechende Kratzspuren am Rücken. Er behauptete zwar, diese Spuren seien während des Liebesspiels entstanden. Wir gingen hingegen davon aus, dass sie sich im Todeskampf heftig gewehrt haben musste. Im Laufe des Prozesses hat er dann den Streit zugegeben, erklärte aber, er sei irgendwann im Zorn gegangen. Zu diesem Zeitpunkt habe die Frau noch gelebt. Das Schwurgericht hat diese Aussage als Schutzbehauptung eingestuft und ihm nicht geglaubt. Erschwerend für den Angeklagten kam hinzu, dass er einen schlechten Pflichtverteidiger hatte, einen Anfänger ohne Erfahrung. Dr. Kürschner hat meiner Meinung nach solche grünen Burschen bewusst ausgesucht, damit er sie beim Prozess ohne Salz und Pfeffer zum Frühstück verzehren konnte. Die Prognose des Gutachters gab dem Angeklagten dann den Rest. Thannenberger war Jahre zuvor zweimal wegen Körperverletzung verurteilt worden. Im Gutachten wurde ihm daher eine grundsätzliche Bereitschaft attestiert, Konflikte mit Gewalt zu lösen. Damit war die Sache gelaufen.«

      Kerner nahm einen Schluck Wein.

      »Das Schwurgericht hat seinen Unschuldsbeteuerungen nicht geglaubt, und Kürschner hat ihn zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verdonnert. Auch für mich persönlich war es durchaus ein gerechtes Urteil. Natürlich habe ich mich auch gefreut, dass ich meinen letzten Schwurgerichtsprozess nicht verloren habe.«

      Es trat eine kleine Gesprächspause ein, weil die Bedienung an den Tisch trat und die beiden einen weiteren Schoppen bestellten.

      Brunner wechselte das Thema. »Was macht denn die Jagd?«

      Kerner ging gerne darauf ein. »Meine Position beim Amtsgericht Gemünden gibt mir natürlich auch für mein Hobby mehr Spielraum.«

      Plötzlich huschte ein nachdenklicher Zug über Kerners Gesicht. Brunner bemerkte es sofort.

      »Simon, hast du in irgendeiner Form ein Problem? Ich sehe doch, dass dich etwas beschäftigt.«

      »Du hast recht. Es ist aber eigentlich nicht von Bedeutung. Mir ist nur vor ein paar Tagen etwas ganz Merkwürdiges passiert. Ich saß vor meiner Jagdhütte und habe gearbeitet. Anschließend wollte ich mich noch im Wald ansetzen …« Ausführlich schilderte er daraufhin Brunner das Erlebnis mit dem Rabenvogel.

      »Der Täter hat den Raben nicht nur dort angenagelt, er hat ihm auch die Augen ausgestochen. Ich will dem Vorfall jetzt nicht so viel Bedeutung beimessen. Ich vermute, dass mich irgendjemand einschüchtern will. Vermutlich ein Mensch, den ich verurteilt habe.«

      »Scheint mir so eine Art Spessartvoodoo zu sein«, kommentierte Brunner Kerners Bericht etwas scherzhaft. Er maß der Sache keine Bedeutung bei.

      Kerner machte eine abschließende Handbewegung und stellte fest: »Jetzt sitzen wird doch wirklich sehr selten zusammen und was machen wir? Wir reden nur über dienstlichen Kram. Wir sind wirklich unverbesserlich.«

      »Simon, du hast Recht, komm, erzähl mal, was macht die Liebe? Hält es deine Steffi noch immer mit dir aus?«

      Kerner lachte. »Ich kann nicht klagen. Die Tatsache, dass ich nun jeden Abend ziemlich pünktlich nach Hause komme, hat unserer Beziehung sehr gut getan. Du weißt schon, regelmäßig essen, Gespräche … etc.« Er schmunzelte.

      »Und, läuten irgendwann die Hochzeitsglocken? Ich war schon lange nicht mehr auf einer zünftigen Hochzeit.«

      »Da wirst du dich wohl noch einige Zeit gedulden müssen«, gab Kerner zurück. »Es liegt wirklich nicht an mir. Ich hätte mich schon getraut, aber Steffi findet es schön, so wie es gerade ist. Sie sieht keinen Grund zur Eile.«

      »Ja, ja, Steffi war schon immer eine sehr selbstbewusste, emanzipierte Frau. Pass bloß auf, dass sie dir kein anderer wegschnappt!«

      Kerner machte eine wegwerfende Handbewegung.

      Die beiden saßen noch einige Schoppen lang beisammen, ehe sie sich auf den Heimweg machten. Den Weg in die Sanderau zu Brunners Wohnung bewältigten sie zu Fuß. Dort nahmen sie noch einen letzten, einen allerletzten und einen allerallerletzten Absacker. Gegen drei Uhr morgens legten sie sich dann schlafen.

      Mitten in der Nacht wachte Kerner auf, weil er auf die Toilette musste. Als er wieder im Bett lag, hatte er leichte Probleme, wieder in den Schlaf zu finden. Plötzlich fiel ihm der alte Richter ein, der einen derart grausamen Tod sterben musste. Er konnte sich noch gut an ein Gespräch erinnern, das er damals mit dem Leitenden Oberstaatsanwalt geführt hatte. Es war im Kollegenkreis allgemein aufgefallen, dass Dr. Kürschner seit etwa einem Jahr mehr oder weniger auffällige Verhaltensweisen zeigte. Seine Strenge, die ihm schon immer eigen gewesen war, bekam in den Verhandlungen einen immer mehr aggressiven Touch. Unter dem Gesichtspunkt, dass seine Pensionierung bevorstand, wurde über dieses Verhalten hinweggesehen.

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