Die vorliegende Dissertation soll einen Beitrag zur ansatzweisen Erfüllung dieser Aufgabe leisten. Die entscheidende Perspektive, unter der dies geschieht, ist eine lernende. Das heißt: Das Fußballfeld soll als pastoraler Lernort qualifiziert und beschrieben werden. Es geht konkreter darum, das Lernpotential des Fußballs für die Pastoral herauszuarbeiten.
An dieser Stelle bedarf es bereits einer ersten Differenzierung. Denn der Fußball ist heute ein unglaublich vielschichtiges Phänomen geworden. Man kann dabei beispielsweise denken an …….
… den Straßenfußball oder an die FIFA-Weltmeisterschaft
… den Amateur- oder den Profifußball
… die Regeln des Fußballspiels an sich
… die Diskussion um die Torlinientechnik
… den Fußball als riesigen, ökonomischen Wirtschaftszweig und Arbeitgeber
… den ehrenamtlichen Präsidenten eines Vereins in den unteren Amateurligen
… hochbezahlte Spieler und Manager in den internationalen Topligen
… den Fußball als Quotengarant für TV- bzw. Radioanstalten und Auflagengarant für Printmedien
… den Fußball als Stoffgeber für Musicals, Lieder, Bücher, Zeitschriften etc.
… den Fußball als Betätigungsfeld von Wettbetrügern und als Ort der Korruption
… die Fankultur in all ihren Facetten
Wenn hier also von dem Fußball gelernt werden soll, muss die Perspektive definiert werden, mit der der Fußball konkret in den Blick genommen wird. Und diese Perspektive ist die Leidenschaft der Menschen beim Fußball. Sie wurde einleitend andeutungsweise beschrieben und stellt ein Querschnittsthema dar, das sich durch sämtliche Bereiche des Fußballs zieht. Das heißt, dass die Menschen mit ihrer Leidenschaft zum Fußball das Subjekt der Arbeit sind und nicht der Fußball an sich als Phänomen.
Daraus ergibt sich ein spezieller Arbeitsauftrag für diese Arbeit: Es soll die Leidenschaft beim Fußball als pastoraler Lernort qualifiziert und beschrieben werden. Und es geht näherhin darum, das Lernpotential der Leidenschaft des Fußballs für die Pastoral herauszuarbeiten.
Was genau kann die Pastoral von der Leidenschaft des Fußballs lernen?
Der Inhalt des von der Pastoral zu Lernenden ist im Wesentlichen als Impuls zur Verbesserung der Sprachfähigkeit der Pastoraltheologie zu verstehen. Eine zentrale Aufgabe kirchlicher Pastoral ist es, die Botschaft Jesu unter den Bedingungen heutigen Lebens mit den Menschen gemeinsam zu entdecken. Dazu ist eine Sprache nötig, die die Menschen von heute verstehen. Die Pastoral hat dabei bereits viele Wege und Möglichkeiten gefunden sich verständlich auszudrücken. Diese Arbeit versteht sich als Anknüpfung daran und will im Hinblick auf die Leidenschaft des Fußballs einen weiteren Beitrag zur Bereicherung pastoral-theologischer Sprachfähigkeit leisten.
Denn auch der Fußball hat seine eigene Sprache, um sich zu artikulieren. Es ist eine Sprache, die offensichtlich weltweit von unzähligen Menschen verstanden wird. Ein Blick darauf aus pastoraler Lern-Perspektive ist also sinnvoll.
Aus dieser Zielsetzung heraus erklärt sich auch der Titel dieser Dissertation: „Leidenschaft und Fußball. Ein pastoral-theologisches Lernfeld.“
3. Hermeneutische Paradigmen
Beim Prozess des Erreichens dieses Ziels sind einige hermeneutische Paradigmen zu beachten, die für die gesamte Arbeit Geltung besitzen und stets mitgedacht werden müssen.
3.1 Persönliche Motivation
Die Verbindung der beiden Bereiche Fußball und Kirche ist dem Autor dieser Arbeit ein wichtiges Anliegen. Denn in dessen Biografie liegen das hauptberufliche Engagement als Pastoralreferent im Bistum Würzburg und das ehrenamtliche Engagement im Fußball (als Spieler, Trainer, Fan, Vorstandsmitglied) eng beieinander. So erklärt sich etwa das Zurückgreifen auf den VfB Stuttgart oder die SV-DJK Langenleiten an der ein oder anderen Stelle dieser Dissertation. Bei aller Begeisterung soll dabei die nötige Distanz zum Phänomen „Fußball“ nicht zu kurz kommen.
3.2 Den Eigenwert von Religion bzw. Pastoral und Fußball respektieren
Fußball und Religion (im zweiten Hauptteil) bzw. später (im dritten Hauptteil) Fußball und Pastoral werden in dieser Dissertationsschrift in eine Verbindung gebracht. Dabei besteht die Gefahr, diese Bereiche oberflächlich, vorschnell und sachlich unzulässig zu vermischen, wenn man etwa liturgische Gesänge in der Kirche mit Fangesängen im Stadion vergleicht. Deshalb muss differenziert werden: Fußball ist und bleibt Fußball, Religion ist und bleibt Religion, Pastoral ist und bleibt Pastoral. All diese drei Bereiche sind in ihrem Eigenwert zu schätzen und zu respektieren.
Im dritten Hauptteil soll aufgezeigt werden, inwiefern die Pastoral von der Leidenschaft beim Fußball lernen kann. Eine unsachgemäße Vermischung der beiden Felder ist nicht angebracht. Auch nicht zielführend ist die Anbiederung der Pastoral an den Fußball bzw. des Fußballs an die Pastoral. Nur wenn der Eigenwert beider Bereiche anerkannt wird, können Pastoral und Fußball in ihrer je eigenen Souveränität und in Offenheit aufeinanderzugehen, und nur so kann sich die Pastoral lernend vom Fußball bereichern lassen.
Völlig unangebracht und unredlich ist es weiterhin, den Fußballern pastoralreligiöse Einstellungen oder Verhaltensweisen zu unterstellen, gemäß dem Motto: „Ihr seid ja eigentlich alle religiös und wisst es gar nicht!“ Es darf also weder der Fußball im Sinne der Pastoral noch umgekehrt die Pastoral im Sinne des Fußballs zweckentfremdet werden. Gleichermaßen kann und will Fußball keine Religion sein, wie später darzulegen sein wird.
3.3 An bisherigem Engagement anknüpfen
Diese Arbeit stellt nicht die erste Veröffentlichung und Ausführung dar, die zum Thema Fußball und Pastoral gemacht wurde. Ein Blick ins Literaturverzeichnis dieser Dissertation macht dies schnell deutlich.
Sie stellt auch nicht die einzige pastorale Initiative und Bemühung der gesamten Kirche bzw. von einzelnen pastoralen MitarbeiterInnen vor Ort dar, die Themen Pastoral und Fußball in eine sinnvolle Verbindung zu bringen. Im Folgenden seien daher einige beispielhafte Initiativen und Projekte genannt, ohne näher darauf eingehen zu können und ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
So fand am 21. September 2005 ein Fußball-Kleinfeldturnier für Kinder auf dem Petersplatz statt, das vom Vatikan und dem italienischen Fußballverband organisiert wurde, um auf ein gemeinsames Sozialprojekt zugunsten von Kindern in sechzehn osteuropäischen Staaten aufmerksam zu machen.14 Der damalige Papst Benedikt äußerte sich zudem sehr positiv über den Fußball: „Fußball ist das Heraustreten aus dem versklavten Ernst des Alltags in den freien Ernst dessen, was nicht sein muss und deshalb so schön ist.“15
In diesem Zusammenhang können auch die Auswahlmannschaft des Vatikan, die Vatikanliga und die vatikanischen Pokalwettbewerbe erwähnt werden. Die Auswahlmannschaft besteht hauptsächlich aus Einwohnern Roms und bestreitet nur selten Länderspiele gegen Auswahlteams anderer Länder, wenn dann meist gegen andere Kleinstaaten wie San Marino oder Monaco. Die Mannschaft ist allerdings weder Mitglied bei der UEFA noch bei der FIFA, da sie unter anderem keinen Fußballplatz vorweisen kann, der den FIFA-Normen entspricht.
1972 gründete Sergio Valcio die vatikanische Fußballiga „Attività Calcistica dei Dipendenti Vaticani“ um etwas für das Gemeinschaftsgefühl der VatikanMitarbeiter und etwas für deren körperliche Fitness zu tun. Die 16 Teams der Liga rekrutieren sich aus den Verwaltungsabteilungen des Vatikans (z.B. Museum, Post, Radio) und die Spiele