Die „angemessene“ Entschädigung für den Verlust linksrheinischer Gebiete weltlicher Herrscher ging weit über das entsprechende Maß hinaus und zeigt deutlich den tatsächlichen Charakter des Beschlusses: Die festgelegte Neugliederung des Reiches diente einzig der Machtsteigerung einiger weltlicher Regenten, denn die Gebietszuwächse entsprachen nicht den durch Frankreich erlittenen Gebietsverlusten. Als Beispiel hierfür kann Preußen herangezogen werden: Preußen verlor in den linksrheinischen Gebieten 48 Quadratmeilen mit der dortigen Bevölkerung von etwa 120.000 Personen, erhielt jedoch einen Ausgleich von 235 Quadratmeilen und damit einen Bevölkerungszuwachs von über einer halben Million Menschen.185 Die Säkularisation führte zum „…Zerfall des ganzen tausendjährigen katholischen Reichskirchenverbandes, der Bistums- und Provinzialorganisation, dem alsbald die Auflösung des Heil. Römischen Reiches selbst folgte“186.
Weit über Deutschland hinaus verlor die Kirche ihre bisherige machtpolitische Stellung. Auch in ihrer Kompetenz den Menschen ein schlüssiges Weltbild darzulegen, büßte sie stark ein, denn nicht Kirche und Evangelium, sondern Vernunft und das Gefüge eines aufgeklärten Staatensystems sollten fortan das gesellschaftliche Miteinander vermehrt prägen.187
Unter Napoleon wurden Kirche und Papst zum Spielball der weltlichen Politik.188 Zugleich wurde dem Papsttum der Raum geschaffen, eine neue Form der Einflusspolitik zu etablieren, denn durch das französische Konkordat aus dem Jahr 1801 konnte die Kirche eine Brücke bauen, „über die das päpstliche Recht in Europa, auch in Deutschland, von neuem Einzug hielt.“189
Der Verlust der alten bischöflichen Ordnung, die nicht mehr existierende Reichskirche und der entschiedene Souveränitätsanspruch der Territorialstaaten, ließen nicht nur eine deutsche Nationalkirche möglich erscheinen190, sondern hoben im Gegensatz dazu auch Rom und das Papsttum in eine neue Rolle als Verhandlungspartner den Staaten gegenüber. Diese waren es, die durch ihren Territorialismus letztlich die Bestrebungen zur Bildung einer deutschen Einheitskirche verhinderten.191 Das Papsttum wurde zum Neuordner der deutschen Kirche in Verhandlung mit den Einzelstaaten.192 Hinzu trat eine aufkommende Symphatisierung der deutschen Katholiken mit dem Papst gegenüber einem überzogenen Staatskirchensystem, das die meisten Einzelstaaten bis zur Mitte des Jahrhunderts vertraten. Sowohl in der katholischen Bevölkerung, als auch unter den Bischöfen kam es zu einem wachsenden „Schulterschluss“ mit Rom.193
Jurisdiktionelle Neuordnung der katholischen Kirche
Der Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und der Untergang der alten Reichskirche194 stellten einen Abbruch in der bisherigen kirchlichen Verwaltungsstruktur dar. Deren Neuordnung konnte durch den ausgeprägten Föderalismus der deutschen Einzelstaaten nicht einheitlich verlaufen, sondern machte Einzelregelungen zwischen Kirche und Territorialstaat erforderlich.195 Die bisherige Verwaltungsstruktur der katholischen Kirche in Thüringen war an das Erzbistum Mainz gebunden. Am 1. Mai 1805 verfügte Papst Pius VII. (1742-1823) die Translation des Erzbistums Mainz nach Regensburg, so dass Carl Theodor von Dalberg (1744-1817) künftig Erzbischof von Regensburg war und die Mainzer Gebiete entsprechend zugeordnet wurden.196 Für die Katholiken der Stadt Erfurt und des Eichsfelds blieb demnach grundsätzlich die Verbindung zu Mainz bestehen.197
Im Umstrukturierungsprozess der preußischen Bistümer198 ab 1821 wurden die Stadt Erfurt, das Eichsfeld und das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach einbezogen. Ein Konkordat, welches das Miteinander, die Rechte und Pflichten von Staat und Kirche regelte, konnte für Preußen nicht erreicht werden.199 Um dennoch dringende Fragen, insbesondere die der Diözesanzugehörigkeit zu klären, einigten sich die Verhandlungspartner auf die Erstellung einer Zirkumsskriptionsbulle.200
Am 16. Juli 1821 erging die Bulle „De salute animarum“, die betreffs Thüringen festlegte, dass die Gebiete „…von der Diözese Maynz […] sammt der Stadt Heiligenstadt mit ihrem Dekanate […] und der Stadt Erfurt mit den drey vorstädtischen Pfarreien, wie auch die Pfarreien des Großherzogtums Weimar…“201 dem Bistum Paderborn202 zugeordnet werden.203 Bereits einen Monat später, am 16. August 1821, wurde in der Bulle „Provida solersque“, welche die neue oberrheinische Kirchenprovinz umschrieb, eine andere Zuordnung der Weimarer Gemeinden vorgenommen.204 Die Bulle bezieht sich dabei auf die besondere Situation der Rhön: „Mit der nämlichen Fuldaer Diöcese lassen Wir noch neun Pfarreien im Großherzogthume Sachsen-Weimar vereinigt…“205. Diese erneute Übertragung fand ohne Rücksprache mit der Weimarer Regierung statt, was zu erheblichen Auseinandersetzungen führte, die im entsprechenden Abschnitt zu den Rhöner Gemeinden näher dargestellt werden.
Die Herzogtümer Coburg, Gotha und Meiningen, sowie die Fürstentümer zu Schwarzburg und Reuß wurden in die Bistumsneuumschreibungen nicht mit einbezogen. Eine entsprechende Zuordnung wurde durch die Staatsregierungen mit den Bischöfen von Paderborn, Würzburg und Bamberg ausgehandelt.206
Ultramontanismus
Das Papsttum wurde als legitime Instanz anerkannt und für den Abschluss von Konkordaten und Konventionen, in denen die Staaten so weit wie möglich ein ihnen genehmes Staatskirchentum zu etablieren suchten, umworben.207 Besonders der Anspruch deutscher Staaten am je eigenen Staatskirchensystem festzuhalten208 und somit Einfluss auf die katholische Kirche in ihren Territorien zu nehmen, stärkte den Zusammenhalt von Papst und deutschen Katholiken, die, auch bedingt durch eine neue Form der religiösen Begeisterung, für ihre Kirche eintraten.209
Die katholische Kirche in Deutschland wandelte sich nicht nur in ihren Strukturen, sondern auch in ihrer geistigen Grundauffassung. Die Suche nach Glaubenstiefe und Sinngebung führte zu einer verstärkten Rezeption der katholischen Lehre und dem Wiedererstarken katholischer Glaubenspraktiken, die die katholische Aufklärung zuvor verworfen hatte.210
Der zunehmende Einfluss des Papsttums in Deutschland machte sich besonders an der Erscheinung des Ultramontanismus fest.211 In einer eher distanzierten Haltung zu Welt, Gesellschaft und politischem Zeitgeist standen die Ultramontanen auch in einer gewissen Opposition zum Staat, insbesondere zum Preußen Bismarcks. Hierin zeichnet sich eine grundsätzliche Kluft zwischen den Gedankenwelten auf. Der im Lauf des Jahrhunderts immer stärker werdende Nationalismus212, der nationalspezifische Charakteristika extrem betonte und versuchte Religion in einem „völkischen Sinne“ zu verstehen, womit zumindest eine Unterordnung kirchlicher Verantwortung unter die staatliche verstanden wurde213, trat in scharfen Gegensatz zum übernationalen Anspruch des Papsttums auf Eigenständigkeit und Letztverantwortung für alle Katholiken.214 In Verbindung mit den Gedanken des Liberalismus, der im Kirchenstaat ein Antimodell zum idealen Staatswesen sah und durch die Kirche im „Syllabus errorum“ Papst Pius’ IX. (1792-1878) verworfen wurde215, wurde die Kirche im preußisch geprägten Deutschland als ein „Relikt des Volksbrauchtums“216 betrachtet, das sich der weltlichen Macht klar unterzuordnen habe. Der staatliche Machtanspruch, gestützt durch eine protestantische Staatsauffassung217, die zu großen Teilen jedoch nur eine vordergründige war218, führte nicht nur zur Opposition des Papstes, sondern auch zur Verweigerungshaltung großer katholischer Bevölkerungsteile.219
Die Katholiken vertraten dabei jedoch nicht eine „Anti-Haltung“, sondern brachten sich in das politische Geschehen ein. Dabei verbanden sich Papsttreue, Eigeninitiative katholischer Laien und politisches Tagesgeschehen miteinander. Durch die Etablierung eines ausgeprägten katholischen Vereinswesens schufen engagierte Katholiken einen Rahmen, der nicht nur für das katholische Gemeindeleben, sondern auch für das gesellschaftliche, soziale und politische Wirken der Kirche bedeutsam war.220 Im Revolutionsjahr 1848 wurde der „Katholische Verein Deutschlands“ gegründet, der die Interessen der Deutschen Katholiken, in Treue zu Rom und den Bischöfen, im sich entwickelnden Parlamentarismus vertreten sollte.221 In der Zweiten Preußischen Kammer